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#31 Ein paar Gedanken über Sidon und PEGIDA

Vor wenigen Tagen erschien bei heise online ein Interview mit einer Frau, die früher ein Mann war. Nach über 1000 z.T. gehässigen Kommentaren sieht sich heise gezwungen, dass Forum zu schließen. Zur gleichen Zeit wird auf den einschlägigen Facebook-Seiten wie Pegida oder anderen rechten Gruppierungen der Brandanschlag in Tröglitz kommentiert: „Scheiß Asylbetrüger!“ „Dreckspack!“ Bedauern, dass zum Zeitpunkt des Feuers noch keine Flüchtlinge im Heim waren: 120 Likes.

Ein Sprung zurück.

In Genesis 9 lesen wir, wie ein Mann namens Noah einen Weinberg anbaut (nach der Boot-Geschichte), sich betrinkt und schließlich nackt einschläft. Sein Sohn Ham sieht ihn so und erzählt seinen Brüdern davon. Die decken ihn zu und dann wird die Sache hässlich: Noah wacht auf, realisiert was geschehen ist und verflucht Hams Familie, beginnend mit dessen Sohn Kanaan.

In der Antike war ein Fluch keine Kleinigkeit. Insbesondere nicht, wenn der Vater ihn aussprach. Ein Fluch ging über die bloße Bedeutung der Worte hinaus – er hing wie eine Wolke über einem, prägte das ganze Leben.

Hams Sohn Kanaan war also verflucht, was implizierte, dass Kanaans Söhne ebenso verflucht seien, unter anderem dessen ältester Sohn Sidon.

Wir erfahren ferner, dass Sidon eine ganze Reihe Söhne hatte. So viele, dass Sidon als Vater einer ganzen Nation gilt. Einer Nation, die wieder und wieder in der Bibel erwähnt wird.

Im Buch der Richter erobern und unterdrücken die Sidonier die Israeliten.

(Spannend zu bemerken, dass die Geschichte mit einem Vater beginnt, der seinen Sohn verflucht (einer Kleinigkeit?), aber dass diese Wunde schwärt und nicht verheilt, bis – Generationen später – die Nation des Sohnes die des Vaters unterdrückt. Einige Wunden verheilen nie, oder?)

(Außerdem interessant, dass eine Wunde, zugefügt vom eigenen Vater, nicht einfach abgetan werden kann – statt dessen weitet sie sich aus, betrifft Menschen, die eigentlich nichts damit zu tun haben. Warum sind diese zwei Länder im Krieg? Antwort: Weil ein Vater seinen Sohn verflucht hat.)

(Und wo wir gerade dabei sind: Habt ihr in letzter Zeit irgendwelche Filme gesehen, in denen die Charaktere ungelöste Probleme mit ihren Vätern hatten? Natürlich. (Die letzte Greys Anatomy Staffel handelte davon. Die Serie Parenthood fast dauerhaft.) Wir erzählen immer noch die gleichen Geschichten, erleben den gleichen Schmerz – in tausenden Jahren haben sich viele Dinge verändert – und manche gar nicht.)

Mehr zu den Sidoniern:

König Salomon heiratet ein paar sidonische Frauen, die ihn davon überzeugen, ihrem Gott Asthoreth zu huldigen.

Coloured illustration of a bearded prophet confronting a luxuriously dressed king and queenEinige Generationen später heiratet der israelische König Ahab die sidonische Prinzessin Isebel, was Schwierigkeiten mit sich bringt (Könige 1 & 2).

Der Prophet Jesaja sagt den Sidoniern furchtbare Dinge voraus und rät ihnen, beschämt zu schweigen, weil sie niemals Ruhe finden werden wegen all des Leids, das sie verursacht haben (Jesaja 23).

Der Prophet Jeremia spricht von einem zukünftigen Tag, an dem es keine Hoffnung mehr für Sidon geben wird (Jeremia 25, 47).

Und Ezechiel bleibt der Tradition treu, die Nachbarn zu verurteilen und prophezeit eine blutige Zukunft, in der die Sidonier untergehen werden.

Zusammenfassend kann man sagen, dass die Sidonier die Bösen in der Geschichte sind. Sie sind die schlechten Nachbarn, das teuflische Imperium, die Unterdrücker nebenan.

Was uns zu Jesus führt.

In den Evangelien lesen wir, dass Jesus nach Sidon geht. (Markus 7)

Jesus spricht mit Sidoniern und zeigt sich von ihrem Glauben beeindruckt (Matthäus 15). (Ich persönlich denke übrigens, dass Jesus in der Matthäuspassage zu der Frau so spricht, weil er es lustig und sarkastisch meint – als ob die Worte „Hunde“ in Anführungszeichen stehen sollten, weil es so bescheuert klingt. Und was Jesus liebt, ist die Erwiderung der Frau…)

Jesus heilt Menschen aus Sidon, die ihn aufsuchen. (Lukas 6, 17)

Und anschließend wandert er durch die Städte Israels und wirkt Wunder. Als er trotzdem auf Ablehnung stößt, sagt er, dass es den Sidoniern am Ende aller Tage besser gehen wird, als den Israeliten. (Matthäus 11)

Warum ist das interessant?

Zu Jesus Zeiten gab es eine große Übereinkunft bezüglich der Rumänen Bulgaren Sidonier: Sie waren die Ungläubigen, die Heiden, verfluchte Leute die fremden Bräuchen und Göttern folgten. Unrein. Verloren. Barbarisch.

All das in großem Kontrast zu dem Selbstbild, dass die Menschen (damals?) pflegten: Wir sind Sie waren die Guten, die Frommen, diejenigen, die rechtschaffen waren.

Wir sind drinnen. Sie sind draußen.

Wir sind auf Gottes Seite – sie nicht.

Jesus stellt die Dinge auf den Kopf, wenn er darauf beharrt, dass es den Rumänen Bulgaren Sidoniern eines Tages besser gehen wird.

Besser, ein Sidonier zu sein, als ein tief (patriotischer?) religiöser Anhänger, der die anderen ausschließt.

Jesus kümmert sich nicht um die Geschichte Sidons. Er ist da, um diese Wunde zu kurieren, buchstäblich Menschen aus Sidon zu heilen.

Was hat das mit dem Bibelverständnis (oder dieser Reihe) zu tun?

Wenn man die Bibel liest, insbesondere die frühen Teile, dann sollten wir uns fragen, wie Jesus mit den jeweiligen Themen umgehen würde.

Sollten wir unsere Feinde töten?

Nein, Jesus sagt, wir sollen sie lieben.

Sollten wir andere verurteilen? Entscheiden, wer drinnen ist und wer draußen?

Welchem System, welchen Kategorien oder Schubladen wir auch anhängen – die Chance ist nicht klein, dass Jesus sie auf den Kopf stellen würde.

Was also lernen wir von den Sidoniern?

Es gibt ein ganz spannendes Detail, das Jesus erwähnt, direkt nach dem Teil über das Ende aller Tage. Er sagt, dass Gott

…die Wahrheit vor den Klugen und Gebildeten verbirgt und sie den Unwissenden enthüllt.

In einer hochreligiösen Kultur wie jener zu Jesu Zeiten, verteidigen die Menschen ihren Glauben, ihre Sicht der Welt mit den Fäusten (Uhh… eigentlich genauso wie heute.) Geschichten darüber, wer sich rechtschaffen verhält und wer nicht, wer verflucht war und wer nicht, hatten (haben?) eine enorme Kraft.

Aber Jesus zufolge ist Gott an etwas ganz anderem interessiert.

Wie offen sind wir dafür, was heute und hier geschieht? Wie empfänglich ist unser Herz für ein neues, frisches Wort über Gnade? Sind wir begierig zu lernen, zu wachsen, uns zu verändern? Wollen wir die Dinge in einem neuen Licht sehen?

Denn wenn das so ist, dann spielt es keine Rolle, wo man herkommt. Denkt daran, PEGIDA, wenn ihr das nächste mal das „christliche Abendland“ verteidigt.

[Alle Teile der Reihe.]

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