An unserer Schule existiert eine national preisgekrönte Theatergruppe. Und damit meine ich keine „och, was ein süßes Krippenspiel, die Kinder haben sich aber Mühe gegeben“-Theatergruppe, sondern eine „wtf sind das noch Laien…!?“-Theatergruppe.
Als ich meine Klasse fragte, ob sie auch in diesem Jahr Lust auf einen Theaterbesuch hätten, meldeten sich 29 von 29 Schülern. Das begeistert mich. Im vierten Jahr hintereinander durften wir jetzt das Ergebnis der Gruppe Gee Whiz bestaunen. In all den Jahren ist in meiner Klasse eine Wertschätzung für künstlerisches Tun entstanden – es wird nicht gequatscht, nicht gegessen und keiner spielt mit seinem Handy. Achtklässler, die Lust auf Kunst und Kultur haben empfinde ich nicht als selbstverständlich. Es ging auch nicht um eine „Alles ist besser als Unterricht“-Haltung sondern bewusstes Erleben. Wir nehmen das mit, es gehört zu unserem Schulleben wie selbstverständlich dazu, ins Theater zu gehen, ins Museum oder den Aachener Dom. Wer weiß, wozu man als Erwachsener noch Zeit hat?
Das Stück „Was das Nashorn sah, als es auf die andere Seite des Zauns schaute“ spielt während des zweiten Weltkriegs im Konzentrationslager Buchenwald.
Ich habe lange Jahre im Ausland gelebt, habe eine internationale Familie. Immer wieder stelle ich mir die Frage, wie ich mich 1940 positioniert hätte. Wäre ich mitmarschiert? Wäre ich aufgestanden? Die Ungewissheit erschrickt mich. Wäre aus mir ein guter Nazi geworden? Wäre ich laut grölend durch die Straßen gezogen? In diesen Momenten habe ich Angst vor mir selbst und ich empfinde solche Stücke immer auch als Frage an mich: „Was hättest du getan?“ und “Was tust du heute?”
Als wir die Aula betraten, war das Bühnenbild befremdlich – Koffer und alte Kleidungsstücke hingen an den Wänden und erinnern an die Kisten voller Brillen und Schuhe in Auschwitz. Wir, die Zuschauer, waren von der Bühne durch einen hohen Gitterzaun getrennt und auf jedem Zuschauerstuhl klebte ein Judenstern. Unangenehm fühlt sich das an, denn: Wir sind die Eingesperrten. Vor uns Gitter. Neben uns auch.
Das Stück von Jens Raschke handelt von den Tieren eines Zoos neben dem Konzentrationslager. Die Fabel spielt vor einem wahren Hintergrund: 1938 wurde unmittelbar an dem Zaun des Konzentrationslagers Buchenwald ein Zoo errichtet. Erbaut von den Häftlingen sollte er den Wärtern, ihren Familien und den Bewohnern der Stadt Weimar zur Zerstreuung dienen. Im Laufe des Stückes wird deutlich, dass die meisten Tiere dankbar für ihren Platz im Zoo sind. Keiner möchte auffallen, keiner schaut über den Zaun „zu den Gestreiften“. Zu uns. Zu mir. Nur eines der Tiere ist entsetzt, schaut hin, bemerkt uns, fragt, warum alle Vögel weggeflogen sind und verweigert sich, dem Amüsement “der Gestiefelten” zu dienen.
Teil des Bühnenbildes war ein großes Ofenrohr, aus dem immer wieder Rauch quoll. Der Schornstein des Krematoriums. Ich, wir.. hinter dem Zaun und vorne raucht der Schlot. Ich bin hier eingesperrt, ich werde womöglich in diesem verdammten Ofen enden – und die Leute auf der Bühne sehen zur Seite, wollen nicht auffallen. „Schaut hin!“, möchte ich ihnen zurufen, nein entgegenbrüllen. „Schaut doch verdammt nochmal hin!“
Am Ende des Stückes rebellieren manche Tiere, andere sterben und schließlich wird alles gut: „Die Vögel!“ Ja, sogar die Vögel kommen und werden fröhlich von den Überlebenden begrüßt, bis…
es um uns herum dunkel wird und…
lautes Getöse und explodierende Bomben zu hören sind und…
mir schlagartig klar wird, was gerade geschehen ist.
Das Stück ist zu Ende. Es kommt kein Rauch mehr aus dem Ofenrohr. Ich bleibe zutiefst entsetzt und berührt und beeindruckt zurück.
Ich kann mich nur tief verneigen vor der Leistung von Lutz Krämer und jedem einzelnen Darsteller von Gee Whiz und kann, möchte, will euch ermuntern, wieder ins Theater zu gehen. Schön, dass auch das Medienecho (hier und hier) überaus positiv ausfiel. Es lohnt sich.
Wow, klingt echt super! Bekomme schon beim Lesen ne Gänsehaut…
Theater von der Qualität habe ich bisher leider nicht gesehen….