Ich bin ein grundsätzlich glücklicher Mensch.
Manchmal frage ich mich, ob das nur an chemischen Botenstoffen in meinem Hirn liegt. Oder an einer antrainierten Haltung. Vielleicht daran, dass ich einen Beruf ergriffen habe, der meinen Talenten ziemlich gut entspricht. Keine Ahnung.
Ich schreibe das, weil es wichtig ist, um die folgenden Zeilen einzuordnen – denn gerade bin ich ziemlich unzufrieden.
Anfang der Woche habe ich mich über einige Schüler geärgert. Nicht laut, sondern innerlich. Über ihre Trägheit. Kinder, die gefühlt schon in der Unterstufe jede Anstrengung, jedes Lernen ausblenden und ihre Zeit absitzen.
Das hat mich wütend gemacht. Über die vergeudete Zeit. Das verschwendete Potenzial.
Aber schnell hat sich mein Ärger auch auf mich selbst gerichtet. Wann bin ich eigentlich das letzte Mal aus meiner Komfortzone ausgebrochen? Wann habe ich das letzte Mal etwas Neues gelernt? Etwas zum ersten Mal gemacht? Mich wirklich, wirklich herausgefordert? Wann habe ich zuletzt das gleiche geleistet, was ich von meinen Schülern Tag für Tag verlange?
Das macht mich wütend. Über meine verdeutete Zeit. Mein verschwendetes Potenzial.
Ich werde nicht klug, nur weil ich in die Schule gehe – ich muss trainieren, schwitzen, mich anstrengen. Es muss manchmal weh tun. Genauso, wie man nicht fit wird, nur weil man in ein Fitness-Studio geht – man muss trainieren, schwitzen, sich anstrengen. Es muss manchmal weh tun.
Ich frage mich, wer eigentlich die Kontrolle über mein Leben hat. (Ist das schon eine beginnende midlife-crisis? Darf ich mir dann morgen einen Porsche kaufen?)
Neulich las ich, dass, wenn man seine Doktorarbeit rechtzeitig fertigstellen möchte, es hilfreich ist, möglichst vielen Menschen davon zu erzählen. Die geschürte Erwartung würde einen aus der Bequemlichkeit reißen, einen voran treiben. Wenn ich wirklich aus meiner Komfortzone ausbrechen will, ist es statistisch also hilfreich, diese Informationen möglichst breit zu streuen.
Ich versuche also, diesen Zorn aufzunehmen (viel mehr ist von meinen Aikido-Stunden nicht geblieben) und mich aus meiner Lethargie zu lösen.
Ein paar Dinge bereiten mir echtes Grausen und ich versuche sie zu vermeiden, wo es nur irgendwie geht:
- ich bin völlig unmusikalisch
- ich koche sagenhaft schlecht und nicht mal meine wunderbare Frau erträgt mein griesgrämiges Gesicht in der Küche
- seit Jahren verhöhnt mich ein Physikbuch aus dem Regal und erinnert mich daran, wie wenig ich doch aus seinem Inhalt verstanden habe. Es gibt kein Buch, zu dem ich eine ambivalentere Beziehung habe, als dieses.
- ich will mich politisch engagieren und bin doch nicht mehr als ein Cheerleader, der auf Twitter die wirklichen Macher mit „Likes“ anfeuert.
- ich habe seit Jahren keinen Sport mehr getrieben, dafür zillionen Packungen Chips gegessen und Stunden auf dem Sofa verbracht.
Kultur. Gemeinschaft. Bildung. Politik. Physis. In keinem dieser Bereiche bin ich je erfolgreich angetreten und das ärgert mich maßlos. Denn das Ergebnis lautet ja nicht einmal „er hat im Rahmen seiner Möglichkeiten das Beste draus gemacht“ sondern schlicht: „Schade, er hat es nicht einmal versucht.“
Ich möchte das nicht als Koketterie verstanden wissen oder „fishing for compliments“. Ich weiß recht genau, was ich kann und auch, dass ich in dem ein oder anderen Bereich wirklich gut bin.
Aber das reicht mir nicht. Mir nicht.
Ich habe diese Woche angefangen zu laufen. Und das auf so niedrigem Niveau, dass mir wegen meiner schmerzenden Oberschenkel heute sogar meine Kinder davongelaufen sind. („Aber Jan“, höre ich euch sagen, „da läuft doch eine 4jährige auf dem Foto vor dir!“
Genau. Das. ist. der. Punkt.)
immer wieder: Wer hat die Kontrolle über mein Leben?
Als Sportler kann ich nur sagen: los geht‘s. Es gibt imho keinen Vergleich zur erfolgreichen Aufnahme des Kampfes mit den eigenen Möglichkeiten und Grenzen. Du hast ja ein open mindset, das zeigt dein Blogbeitrag. Die Schenkel werden auch aufhören weh zu tun und dann kommt irgendwann der erste offizielle Lauf. Und dann die Endorphine. Es gibt so viel mehr als Arbeit im Leben. Ich glaube, es war Jan Frodeno (Sonntag Erster in Frankfurt beim Ironman), der sagte: Das ist Zeit für mich imTraining, ich verbringe sie nur mit mir. Sport ist neben der Liebe und Familie das Beste was einem passieren kann. Und es verändert den Blick auf sich selber und die Arbeit.
Danke! Ich versuche dran zu bleiben.
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