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Abschied nehmen.

Abschied nehmen. 1

Heute musste ich meine liebste und wunderbarste Tante viel, viel, viel zu früh beerdigen. Jene Tante, der wir einmal zum Geburtstag Dutzende Postkarten voller Liebe schickten. Es hilft nur wenig zu wissen, dass sie eine unfassbare Kämpferin war und bis ganz zuletzt die Kontrolle über ihr Leben behielt. In ihren letzten Tagen war sie Tag und Nacht und bis zum Schluss von Freunden und Familie umgeben, was ein tröstlicher Abschied ist, den man nur jedem Menschen wünschen kann.

Heute sind Wunden aufgerissen, die lange nicht verheilen werden.

Ich erinnere mich an die Tagebücher zweier Krebserkrankungen, die ich vor langer Zeit gelesen habe. Meine Tante schien einen Mittelweg zwischen beiden gefunden zu haben: Sie war zu scharfsinnig und klug für Randy Pauschs Kalenderweisheiten und zu pragmatisch für Schlingensiefs Wut und Zorn. Bis zuletzt reiste und lebte und las und lernte und diskutierte sie.

Heute frage ich mich, ob ich Prioritäten im Leben richtig setze. Ob meine „Work-Life-Balance“ stimmt.

Mache ich, was ich liebe? Liebe ich, was ich mache? Trenne ich zwischen „Work“ und „Life“?

An vielen Stellen meines Lebens war meine Tante präsent. Als ich vor Jahren völlig naiv bei Günther Jauch in der Sendung saß, war sie diejenige, die mich vorbereitete. Mit einem Blick auf die Gästeliste erkannte sie deren Position und auch, was meine Rolle sein würde. Jede einzelne Frage, die mir in der Sendung gestellt wurde, ist sie mit mir im Vorfeld durchgegangen. Sie wußte einfach, was kommen würde.

Als ich darüber nachdachte, den Schritt in die Schulleitung zu gehen, war sie diejenige, bei der ich mir Rat einholte. Ich habe nie jemanden kennengelernt, der einen so scharfen Verstand und so viel Wissen vereinte, wie sie.

Ich bin am Boden zerstört und wütend und traurig und sprachlos. Und wütend. So unendlich wütend.

Ich weiß nicht, ob solche Tage wie heute besonders gut oder besonders schlecht dafür geeignet sind, sein Leben auf den Prüfstand zu stellen. Vielleicht muss das heute auch einfach raus. Schreiben hat etwas Therapeutisches. Aber das wisst ihr ja.

 

 

6 Gedanken zu „Abschied nehmen.“

  1. Letzte Woche ist ein sehr langer guter Freund von mir an Krebs gestorben. Es geht mir genau so wie dir, wenn ich an ihn denke. Und ja, man denkt sehr viel darüber nach was eigentlich wirklich wichtig ist im Leben. Mein Beileid.

  2. Lieber Jan-Martin,
    deine Worte zeigen, dass deine Tante Spuren der Liebe hinterlassen hat. Schön, dass es so ist. Und so traurig, so jemanden zu verlieren. Mein Beileid.

  3. Ich wünsche dir, dass deine Wut und Trauer sich in Dankbarkeit wandelt. Du schreibst so tief berührt und berührend von ihr, dass sie dich auch weiterhin begleiten wird, da bin ich sicher. Alles Liebe!

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