Meine Co und ich versuchen stets, die Klassenlehrerstunde am Ende der Woche für gruppendynamische Spiele zu nutzen. Kern vieler dieser Übungen ist, die Kinder vor eine Aufgabe zu stellen, die sie nur gemeinsam lösen können. Wesentlicher Bestandteil ist jedoch auch, dass diese Aufgaben zu Frust führen und Aggressionen: Man ist voneinander genervt, der Ton wird oft rauer, bevor man sich irgendwann zusammenrafft und dann überraschend schnell zum Ziel kommt. Unseren Kindern machen diese Spiele sehr großen Spaß und sie haben sich eine gewisse Schläue im Lösen der Übungen erarbeitet.
Auch diesen Freitag haben wir ihnen eine Aufgabe gestellt:
Drei Kinder verlassen den Raum. Die Übrigen bilden, nachdem Tische und Stühle an die Seite geschoben wurden, einen kleinen Kreis. Als Spielleiter sage ich: „Ihr seid die coolsten Kinder der Schule. Die da draußen wollen in euren Kreis.“
Den drei Schülern draußen wird folgendes gesagt: „Die da drinnen bilden einen Kreis. Eure Aufgabe ist es, in den Kreis zu gelangen.“
Runde 1
Dann geht es los und Kandidat 1 kommt zurück in den Klassenraum.
Dort haben die Schülerinnen und Schüler bereits eine Art Wagenburg gebaut. Jeder steht eng eingehakt mit dem Nachbarn, bereit sein Revier zu verteidigen. Die hineingeholte Schülerin baut sich kurz in Footballer-Position auf und stürmt dann auf den Kreis zu. Wenige Sekunden später ist sie im Inneren. Das ging schnell.
Runde 2
Die Schülerin wird in die Gemeinschaft aufgenommen und der nächste Kandidat wird hereingeholt. Mittlerweile ist die Strategie angepasst worden, die Wagenburg noch enger, die Entschlossenheit höher. Kandidat 2 hat mehr Mühe, braucht einige Minuten und wirft sich schließlich mit brachialer Gewalt in den Kreis. Viel Gelächter und ein großer Menschenhaufen aus Fünftklässlern. Nur noch Lukas wartet draußen.
Runde 3
Als sich die Kinder erneut zu einem Kreis aufbauen, meldet sich Thomas: „Herr Klinge, ist es eigentlich verboten, Lukas einfach in den Kreis zu lassen?“ Ich lächle und schüttle den Kopf. Aber Thomas Worte finden kein Gehör – im Gegenteil: Seine Nachbarn johlen und drohen, ihn auch aus dem Kreis zu werfen. Lukas kommt herein und es gibt den nächsten großen Zusammenprall.
Zurück in der Klasse
In der Klasse werten wir das Spiel aus. „Das war lustig!“ „Ich musste so lachen!“ „Elanur ist auf mir gelandet und jetzt habe ich hier einen blauen Fleck!“
Erst zum Schluss wird es ruhiger.
Als deutlich wird, dass ich gar nicht verboten habe, dass die drei in den Kreis dürfen, schaut der ein oder andere zerknirscht. Und auch, dass die drei Kandidaten nicht auf die Idee kamen, einfach mal zu fragen. Sofort das Bedürfnis nach Abschottung auf der einen, sofort brachiale Gewalt auf der anderen Seite. Was gesagt wird. Was gehört wird.
Ein Sinnbild für unsere Zeit.
Und genau wie gute Science-Fiction-Geschichten ist Schule dann am besten, wenn Sie die Gegenwart widerspiegelt.
Ich habe mal eine Variante davon gespielt. Die einzelnen Schüler bekamen den Auftrag hinein zu gelangen. DIe Gruppe den Auftrag ihn draußen zu halten.
Aber wenn er Frage „Darf ich bitte in den Kreis?“ stellte, würde er einfach so hinein gelassen.
Die Ergebnisse:
A) Die Gruppe wendete Gewalt an.
B) Der einzelne wendete Gewalt an.
C) Die Frage stellte keiner.
Vor 15 Jahren