Via Twitter habe ich Kontakt mit dem Kollegen @TeacherRogueOne aufgenommen, der seit langem einige Unterrichtskurse in ein langes Rollenspiel („Classcraft“) verwandelt hat. Diesen Ansatz finde ich extrem spannend und hatte ihn gebeten, das Spiel an für Einsteiger vorzustellen. Dieser Bitte ist er freundlicherweise an dieser Stelle nachgekommen und viele von euch haben um mehr Details und einen tieferen Einblick gebeten. Nun: Vernetzung lebt von Austausch, Wertschätzung und Rückmeldung und darum an dieser Stelle die zweite Folge zu Classcraft im Unterricht: „Storymodus und Fernunterricht“. Viel Spaß!
Vorwort
Willkommen zurück zum zweiten Artikel über Classcraft. Hier startet nun die Reihe mit den Fortgeschrittenen-Guides. Aus gegebenem Anlass zeige ich euch, wie man Classcraft im Fernunterricht einsetzen kann. Dazu brauchen wir den Storymodus, also werden wir uns nach dem Regelwerk im letzten Artikel nun mit dem zweiten Herzstück von Classcraft auseinandersetzen. Ich werde diesmal aber eher auf die technische Seite davon eingehen, um zu zeigen, wie man den Storymodus einrichtet.
Auf die Basics und Feinheiten des Storytellings gehe ich im nächsten Artikel ein, der hier bald™ erscheint.
Vorher aber noch der…
DISCLAIMER
Hier lehne ich mich einfach an Jan-Martin Klinges Disclaimer aus einem seiner Blogbeiträge an:
Ja, man kann sich über Gamification im Unterricht aufregen, neidisch sein, es niedermachen oder sogar mich persönlich angehen. Wenn ihr so ein Typ Mensch seid, dann lest nicht weiter.
Euch interessierten und netten Leuten schreibe ich diesen Blogbeitrag, weil ich euch einfach einen Einblick in andere Unterrichtsideen geben will und euch einfach etwas zeigen möchte, was meine Klassen teilweise völlig umgekrempelt, meine Schüler vorangebracht vielen von ihnen gutgetan hat.
die Anfänge
Wozu überhaupt ein Storymodus?
Kurz gesagt: Wegen der Immersion und der emotionalen Bindung ans Unterrichtsgeschehen.
Und die lange Version: Als Classcraft 2012/2013 startete, gab es das Regel-Grundgerüst, die Skills der einzelnen Berufe und die Klassentools. Allein damit konnte man auf jeden Fall ein bis zwei Jahre Classcraft spielen, ohne dass es sich abnutzte. Aber man merkte, dass irgendwie der rote Faden fehlte.
Mitte 2017 bekam Classcraft eine eigene ausgefeilte Fantasy-Welt, vor deren Hintergrund nun die Abenteuer, die „Quests“ spielen konnten. Die Quests sind eine Verzahnung einer fantastischen Rahmenhandlung und des Lerngegenstandes aus dem Unterricht, dazu gleich mehr.
Außerdem können die Spieler auch in Erfahrung bringen, wo ihre Spielfiguren eigentlich herkommen, was es mit deren kulturellen Hintergrund auf sich hat, wo die „Pets“ herkommen usw.
Wozu das alles nun?
Die Antwort kommt aus dem (Computer-)Spieledesign: Bei Rollenspielen mit langer Spielzeit, ob nun analog oder digital, ist das entscheidende Element, die Spieler bei der Stange zu halten, die Geschichte. Die Story und die einzelnen Quests müssen so gestaltet und erzählt sein, dass der Spieler nicht nur darin eintaucht, sondern auch erfahren will, wie es weitergeht. Die Story muss die Spieler auch emotional auf verschiedenen Ebenen berühren: Es braucht einen Handlungsbogen und/oder Figuren, an die sich die Spieler emotional binden, mit ihnen mitfiebern, sich mit ihnen identifizieren oder – etwas rollenspielspezifisch – dass sie die Welt mit und durch ihre eigene Figur erleben.
Storymodus
Das alles liefert der Storymodus: die Spieler / Schüler werden noch tiefer in das Spielgeschehen – und damit in den Unterricht – eingebunden. Die Immersion ist also wichtig, aber auch der rote Faden durch das Schuljahr hinweg, der die Spannung aufrechterhält, den Fortschritt durch die Visualisierung auf der Map begreifbar macht und so das Spiel trägt.
Der Storymodus verknüpft den Unterrichtsgegenstand mit der Fantasiewelt von Classcraft. Statt zu sagen: „Löst die Matheaufgabe im Buch auf S. 138“, zeigt man eine entsprechende Map und sagt: „Ihr Abenteurer steht vor einem riesigen Kristallturm, der ein Geheimnis birgt und dessen Tor ist durch ein Zahlenschloss gesichert. Nur wenn man die richtige Zahl einstellt, öffnet sich das Tor und ihr könnt den Turm erforschen. Den Hinweis findet ihr in eurem Questbuch auf der Seite 138. Viel Erfolg, junge Abenteurer!“
Das war jetzt ein simples Beispiel, das das Prinzip der Verzahnung von Spiel- und Unterrichtsebene zeigen soll. Wie raffiniert ihr das ausgestaltet, ist euch überlassen bzw. wird im nächsten Guide beschrieben werden.
Hands on: Der Storymodus
Zu Beginn sucht ihr euch im Menü eine passende Landkarte aus, auf der eure Questreihe spielen soll. Ich verwende die Karten auch gerne als Inspiration, um Geschichten zu entwickeln. Es gibt viele nette Details wie Ruinen, magische Stätten, Einschlagskrater, mysteriöse Türme usw., die die Fantasie beflügeln.
Und schon sind wir mitten drin: Der Storymodus besteht grundlegend aus zwei Ebenen, die Story-Ebene und die Aufgaben-Ebene. Bei der Story-Ebene muss jene erwähnte kleine Fantasy-Geschichte her, die die Schüler während der Unterrichtseinheit erleben. Sie muss wirklich nicht kompliziert oder komplex sein, es reichen ein paar Zeilen. Das ist aber natürlich euch überlassen, wie sehr ihr das ausgestalten wollt.
Um an so eine Geschichte zu kommen, habt ihr mehrere Möglichkeiten:
- Ihr denkt euch, wie gesagt, selber eine passende Geschichte zur Unterrichtseinheit aus. Dabei könnt ihr eurer Fantasie freien Lauf lassen, aber ihr müsst euch hier schon die komplette Geschichte zu den einzelnen Quests ausdenken. Es braucht also einen roten Faden, damit die Geschichte nicht zu sehr zusammengestückelt wirkt. Wenn ihr richtig gut seid, dann passt die Story irgendwie zum Unterrichtsgegenstand. Diese Verzahnung ist von großem Vorteil, gelingt aber nicht immer, weil man zu viel unter einen Hut bringen muss und gerade für Anfänger kann das schwierig sein.
- Ihr importiert eine vorgefertigte Questreihe von Classcraft: Seit knapp zwei Jahren gibt es offizielle Storyline-Episoden, die sich mit der Welt und der Herkunft der verschiedenen Charakterklassen beschäftigen. Man erfährt also etwas über die Geheimnisse der Welt von Classcraft, wo die Magier herkommen, wie die Heiler leben usw. Der Vorteil ist, dass man sich hier um die Story keine Sorgen machen muss, sondern sie nur zu übernehmen braucht. Der Nachteil jedoch ist, dass die Story logischerweise von eurem Unterrichtsgegenstand völlig losgelöst ist und deswegen aufgesetzt wirkt. Außerdem gibt es die Storys nur auf Englisch, aber ein paar Kollegen, auch ich, tauschen die Übersetzungen, beispielsweise auf unserem deutschen Discord-Kanal (Einladung gibt es auf Anfrage bei mir).
- Ihr holt euch eine passende Questreihe auf dem Marktplatz: Classcraft hat eine Datenbank mit Questreihen, die von Lehrern aus der ganzen Welt und zu jedem vorstellbaren Fach und Thema eingereicht wurden. Man hat also eine riesige Auswahl an Quests, aber man muss sie erst übersetzen, da sie fast immer auf Englisch sind und auch für sich anpassen.
Schritt für Schritt zur eigenen Questmap
Wenn wir den Quest-Editor öffnen, sehen wir zuerst die World-Map von Classcraft. Hier platzieren wir unseren Marker für die Questreihe und werden dann aufgefordert einen Aufgabennamen und eine Aufgabenkarte auszusuchen. Zurzeit gibt es 24 dieser Karten und es kommen immer wieder neue dazu. Ist das erledigt, weisen wir die Aufgabe der Klasse zu, mit der wir das spielen wollen. Nun erscheint die Aufgabenkarte und wir wählen einen Startpunkt, indem wir einfach auf eine interessante Landmarke auf der Map klicken (könnte z.B. ein Hafen sein oder ein Dorf). Im neuen Kontextmenü schreiben wir nun eine kleine Einführungsgeschichte ins Abenteuer. Diese kann man auch mit Bildern schmücken. Außerdem können wir hier bereits Dateien hinzufügen, die sich die Spieler runterladen oder ansehen können.
Ist die Einleitung fertig geschrieben, fügen wir nun einen zweiten Punkt auf der Map hinzu: Das ist die erste, richtige Quest! Hier hat man vier Optionen:
- Eine „Aufgabe“ erstellen (die am häufigsten benutzte Option und genau das, was wir machen werden)
- Die Quest mit „Google Classroom“ verknüpfen (was ich aber nicht benutze und daher nichts dazu schreiben kann. Für Interessierte gibt es aber entsprechende Tutorials auf Youtube)
- Ein Quiz in Form von „Google Forms Quiz“ einfügen (was ich aber auch nicht verwende. Ich warte noch darauf, dass die „Mini-Bosse“ vollständig in die Quests implementiert werden. Zurzeit schalte ich von der Karte um zu einem Mini-Boss aus meiner Boss-Bibliothek. Ein Artikel zur Verwendung der Mini-Bosse kommt noch.)
- Ein Ende für die Questreihe setzen. Erklärt sich von selbst. Hier gibt es einen ausklingenden Storytext und eine vorher eingestellte, abschließende Belohnung für das Bestehen aller Aufgaben. Kennt man ja aus Rollenspielen.
Wir nehmen die erste Option und erstellen eine Aufgabe. Im ersten Fenster führen wir die Storyline aus der Anleitung weiter. Jetzt aber, im zweiten Fenster, schreiben wir die Aufgabenstellung rein und können auch Dateien hinzufügen, beispielsweise Fotos oder Arbeitsblätter im PDF-, Word-, oder Excel-Format.
Für die Quest stellen wir noch eine Belohnung ein: Erfahrungspunkte und Goldstücke werden automatisch an die Schüler verteilt, wenn wir die Quest als „Erledigt“ markieren.
Das wiederholen wir nun solange, bis die Unterrichteinheit komplett in die Map übertragen wurde und setzen einen Endpunkt, wo das Abenteuer vorbei ist.
Die einzelnen Questpunkte verbinden wir noch mit dem Pfad-Tool und voilà, fertig ist die Questmap.
Weitere Einstellungsmöglichkeiten und der Clou für den Fernunterricht
Ist die Questreihe vollständig erstellt und die Unterrichtseinheit in ein Abenteuer umgewandelt, schalten wir die Startquest frei. Nun „wandern“ die Schüler nach und nach parallel zum Unterrichtsgeschehen durch die Questmap. Um es spannender zu machen, sehen die Schüler nur den Teil der Karte, den sie freigespielt haben. Der Rest liegt unter einem Nebel und ist nicht sichtbar. Das erhöht natürlich den Reiz, die gesamte Karte freizuschalten.
Im regulären Präsenzunterricht nehmen wir den Unterrichtsgegenstand also durch und ich schalte daraufhin für die gesamte Klasse das nächste Ziel frei.
Für den Fernunterricht bietet Classcraft eine spannende Möglichkeit: Man kann Questreihen so einstellen, dass die Schüler über ihren Account in ihrem individuellen Tempo arbeiten und sie die Aufgabenlösungen hochladen können, um auf der Map weiterzukommen. Es können eine Deadline und für schnelles Einreichen Extrabelohnungen eingestellt werden.
Die Schüler laden ihre Lösungen über ihren Account hoch, ich kontrolliere die hochgeladenen Aufgaben, verteile die Belohnung und der Schüler darf zum nächsten Questziel fortschreiten. Bin ich jedoch mit der Bearbeitung der Aufgabe unzufrieden, kann ich die eingereichte Aufgabe entsprechend markieren und dem Schüler nochmals Hinweise geben, was er verbessern soll.
Außerdem kann ich auch ein speziell auf die Aufgabe bezogenes Diskussionsforum freischalten, über das sich die Schüler austauschen können, wenn sie doch mal Fragen haben oder Hilfe brauchen.
Der Storymodus ist zurzeit wegen Corona aus der kostenpflichtigen Premium-Version von Classcraft in die kostenlose Version übernommen worden. Wer das Feature für den Fernunterricht ausprobieren will, kann gleich loslegen.
Falls ihr Fragen habt, gerne in die Kommentare oder auch über Twitter an @teacherrogueone.
Bis zum nächsten Guide: Storytelling mit Tipps und Tricks für Fortgeschrittene und Profis.
Danke euch beiden, dass ihr diesen wunderbaren Einblick organisiert habt.
Ich finde eure Ideen und Umsetzungen immer sehr inspirierend.
Das ist wirklich spannend! Angelehnt an Martins tolle Goisweid-Mathe-Reihe hatte ich ein umfangreiches Märchenquest entwickelt – aber mangels Office-Implementation „nur“ mir irgendwelchen iServ-Tools umgesetzt. Der Classcraft-Storymodus macht das alles natürlich spannender und deutlich hübscher möglich – daran werde ich mich sobald wie möglich wagen… Vielen Dank!
Die interessanten Einblicke in den Unterricht machen auf jeden Fall Lust, das Ganze mal selbst auszuprobieren. Mal sehen, ob sich da nächstes Schuljahr eine Gelegenheit findet.