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Wie der latente Rassismus aus Jim Knopf meinen Unterricht verändert.

Wie der latente Rassismus aus Jim Knopf meinen Unterricht verändert. 1Jeden Samstag ist bei uns in der Familie „Lesetag“. Ursprünglich aus dem wenig romantischen Grund eingeführt, meine Tochter wenigstens an einem Tag der Woche zum Lesen zu zwingen, hat er sich mittlerweile zu einer liebgewonnenen familiären Tradition entwickelt.

Jim Knopf

Aktuell lesen wir „Jim Knopf und Lukas der Lokomotivführer“. Immer abwechselnd ich und die Große ein Kapitel, zwischendurch die Kleine eine ganze Seite oder die wörtliche Rede.

Das Buch hat alles, was man braucht, um eine Sechsjährige zu begeistern: Ein Kind steht im Mittelpunkt des Buches, es gibt nicht nur einen Drachen, sondern eine ganze Drachenstadt, eine Prinzessin muss gerettet werden und – Spoileralarm – es gibt auch Meerjungfrauen und eine Piratenbande. Viel Abenteuer in relativ kurzen, vorlesefreundlichen Kapiteln.

Zwischendurch bemerke ich bei meiner ältesten Tochter immer wieder eine gerunzelte Stirn. Wenn vom „kleinen N*****“ die Rede ist. Oder die Chinesen (lustig gemeinte) Absonderlichkeiten wie Mäuseschwänze und Froschlaichpudding essen und Lukas die Bitte äußert, nicht auch noch „gebratene Schuhbänder“ serviert zu bekommen.

„Das ist schon irgendwie rassistisch, oder?“, fragt sie irgendwann.

Rassismus in der Literatur

Das löst in mir einen längeren Denkprozess aus.

Ich kann mich noch gut an den gesellschaftlichen Aufschrei erinnern, als vor Jahren die Bücher von Ottfried Preußler und Astrid Lindgren sprachlich angepasst wurden. Ich fühle mich nicht kompetent genug, um alle Fürs und Widers einer solchen Entscheidung beurteilen zu können, weiß aber, dass mich der latente Rassismus in dem Buch stört. Wieso kann der kleine schwarze Junge eigentlich nicht lesen und schreiben und warum spricht er „ist“ immer wie „is“ aus? Hm.

Als positiv empfinde ich, dass dies meiner Tochter auffällt. Für sie, geprägt von den Ethik- und Moralvorstellungen aus Raumschiff Enterprise, sind Menschen, die benachteiligt oder ausgegrenzt werden ein Grund, nachzufragen. Ihr persönlicher Trigger sei, so erklärte sie mir neulich, wenn „ein Mitschüler zum Beispiel sagt, Mädchen und Technik, das könne ja nichts geben…“ Nur um direkt im Anschluss jenen fiktiven Mitschüler in einer Zornesrede so zusammenzustauchen, dass ich regelrecht Mitleid mit dem Phantasiejungen hatte.

Wir unterhalten uns über das Buch und ich verliere für einen Moment meine Begeisterung und Freude. Sollte dieses Buch, dass ich als Kind so geliebt und das mich so verzaubert hat, wirklich so in Schieflage sein? Ich empfinde tiefes Bedauern.

Eine Internetrecherche belehrt mich. Tatsächlich würde man genannte Passagen heute wohl nicht mehr so formulieren. Auch Michael Ende würde das vielleicht nicht mehr tun.

Aber:

Ein Gegenargument

Wie der latente Rassismus aus Jim Knopf meinen Unterricht verändert. 2Tatsächlich steckt das Buch voll von Symbolik, die sich gegen die Rassenideologie der Nazis stellt. Als Jim Knopf und Lukas etwa in die Drachenstadt Kummerland kommen, um Prinzessin Li Si zu befreien, werden Sie mit dem Schriftzug über dem Stadttor empfangen: „Achtung! Der Eintritt ist nicht reinrassigen Drachen bei Todesstrafe verboten.“
Im Verlauf des Buches besiegen sie nicht nur die grausame Drachenlehrerin Frau Mahlzahn, sondern bekommen auch Hilfe von dem Halbdrachen Nepomuk, der sich dafür schämt, dass seine Mutter ein Nilpferd und kein Drache ist.

Und ganz am Schluss des Buches finden der schwarze Held und die chinesische Prinzessin zusammen, ohne das Hautfarbe oder Kultur eine erwähnenswerte Rolle spielen. Also ein Buch, das Grenzen überschreitet.

Die Beschäftigung mit der Thematik und das kritische Nachhaken meiner Tochter führt dazu, dass ich intensiver über meinen Unterricht nachdenke. Gibt es Situationen, bei denen Mädchen in meinem Unterricht benachteiligt werden? Sind Texte, Bilder und Aufgabenstellungen divers oder geht es immer nur um Marie Müller und Klaus Meier?

Oder anders: In welcher Welt sollen meine Töchter aufwachsen? Wie soll ihnen begegnet werden? Wir sollte ihnen begegnet werden, wenn sie eine andere Hautfarbe hätten, andere Vornamen trügen?

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