Ich bin inzwischen so lange im Geschäft, dass ich langjährige, ehemalige Schüler*innen allenthalben im Berufsleben wiedersehe. Gestern im Zuge der technischen Ausstattung unserer Schule habe ich ein längeres Gespräch mit einem solchen gehabt.
Es gehört zu den besonderen Privilegien dieses Berufes, immer wieder solche Begegnungen genießen zu dürfen. Wir haben nett geplaudert und uns beide über das Treffen gefreut. Ich muss gestehen, dass ich dabei den Sprung ins „Sie“ nie schaffe und stattdessen sofort das „Du“ anbiete. Etwas, dass den ehemaligen Schüler*innen oft schwer fällt – aber Menschen, die ich viele Jahre lang mit „Du“ angesprochen habe… das wirkt merkwürdig.
Aktuell haben wir einige Praktikant*innen an der Schule und – für mich besonders – darunter ist ebenfalls eine ehemalige Schülerin von mir. Solche Begegnungen sind mir immer eine ganz besondere Freude: Jemand, der diesen Beruf ergreift und dann auch noch in meinen Klassenraum stolpert – da öffne ich gerne Türen.
Nach einer Klassenarbeit haben meine 7er heute mit den Rationalen (negativen) Zahlen begonnen. Der Einstieg in ein neues Thema ist immer eine wunderbare Gelegenheit, sich auszuprobieren: Die Schüler*innen starten alle auf einem ähnlichen Verständnislevel und sind neugierig auf das neue Thema. Diese Chance habe ich heute meiner ehemaligen Schülerin, jetzt Kollegin, geboten.
Und während ich mich in der letzten Reihe lümmelte, konnte ich diese ersten Schritte in ein neues Berufsleben beobachten. Die Aufregung, das erste Mal vor einer Klasse zu stehen. Der Zettel mit minutiös geplanten Schritten. Meine eigene Klasse einmal aus der letzten Reihe zu sehen. Ich liebe alles daran – und ganz besonders, dass es in diesen Stunden nicht um eine Bewertung geht, sondern um ein Ausprobieren. Angesichts einer aktuellen Twitter-Diskussion vorher noch gefrotzelt, dass „solche Stunden ja auch völlig in die Hose gehen könnten“ und sie sich nicht irritieren lassen solle, wenn ich kopfschüttelnd in der letzten Reihe säße.
Wichtig war heute nur: Wie fühlt es sich an, in der Verantwortung zu sehen? Macht es Spaß, das Geschehen zu lenken oder erstarre ich angesichts der zahlreichen Blicke?
Im Nachklang noch ein kurzes Gespräch und das einzig von mir erhoffte Ergebnis: Leuchtende Augen und die Lust auf Mehr. Mehr Unterricht. Mehr Verantwortung. Unsicherheiten am Anfang gespürt aber dann nicht den Faden verloren, sondern mit Anlauf ins kalte Wasser gesprungen.
Definitiv mein „Wow der Woche“.
Fußnote: Praktisch auf den Tag genau vor zwei Jahren hatte ich schon einmal eine ehemalige Schülerin in meinem Unterricht. Es ist geradezu absurd, wie schnell die Zeit verfliegt.
Ja, die Frage, wie man ehemalige Schüler anredet, ist eine spannende. Es gibt ja durchaus Kollegen, die es sich zur Gewohnheit gemacht haben, Schüler in der Oberstufe grundsätzlich zu Siezen – und für die ist dann klar, dass sie es auch nach dem Ende der Schulzeit so halten werden. Früher gab es das wohl häufiger, aber mittlerweile kenne ich kaum noch jemanden, der das so macht.
Schüler, die man die ganze Schulzeit lang geduzt hat, nach dem Abschluss plötzlich zu siezen, ist aber auch gewöhnungsbedürftig – andererseits sollte es dann auch nicht bei der assymetrischen Anrede bleiben. Irgendwann sind die Schüler nun mal erwachsen, und das ist auch gut so.
Deshalb halte ich es auch so wie du und biete den Schülern nach dem Abschluss das „Du“ an, wenn es sich ergibt. Aber ihnen fällt das natürlich genau so schwer, vor allem, weil man sich ja danach in der Regel nicht mehr regelmäßig sieht. Und es gab sogar durchaus schon Schüler, die ich danach noch eine Zeit lang recht regelmäßig gesehen habe und denen auch nach Monaten des Dutzens noch zwischendurch ein „Sie“ herausgeruscht ist.