Zum Inhalt springen

Autofahr-Physik 1An anderer Stelle beschäftigte ich mich bereits mit der Fragestellung, welche Folgen ein explodierender Airbag auf ein Handy haben kann, welches man vor sein Gesicht hält.
Nun eine neue Fragestellung: Welche Auswirkungen hat ein Auffahrunfall, wenn man nicht angeschnallt ist? Kann man das irgendwie berechnen? Anschaulich machen?

Man kann!

Alle paar Monate wieder wird davor gewarnt, nichtangeschnallt zu fahren obwohl ich gestehen muss, dass auch ich manchmal zu den Leuten gehöre, die erst losfahren und sich beim Fahren anschnallen (ich meine… ich verliere wertvolle Sekunden, wenn ich mich erst anschnalle und dann losfahre, oder…!?!)
Man Ich erliege der Fehlvorstellung, bei geringen Geschwindigkeiten könne ich mich mit bloßer Muskelkraft ja am Lenkrad festhalten. Beim ersten googeln stieß ich dann auf allerlei Behauptungen, aber nachvollziehbar begründet wurde da nichts.

Welche Kraft wirkt auf einen nicht angeschnallten Fahrer, wenn ich einen Unfall baue?

Folgende Überlegungen zum Lösen der Aufgabe habe ich mir gemacht – über etwaige Korrekturen seitens “richtiger” Physiker bin ich wie immer dankbar.

Wenn die Herleitung gar nicht interessiert und nur an der Formel interessiert ist, überspringe getrost…

—————————————————schnipp————————————————–
Ausgangspunkt ist die Bewegungsenergie (Kinetische Energie), die ein Fahrer in einem fahrenden Auto hat. Sie entspricht E_{kin}=\frac{1}{2}\cdot m\cdot v^{2}. Dabei stehen die Abkürzungen E für Energie, m für die Masse (sozusagen das Gewicht) des Fahrers und v für die Geschwindigkeit des Autos; bedeutet entsprechend, dass wir v quadrieren (mit sich selbst multiplizieren). Weil in der Physik im allgemeinen mit besonderen Einheiten gerechnet wird (und die Formel für  \frac{Meter}{Sekunde} ausgelegt ist) müssen wir die Formel etwas umstellen, um einfach eine normale Geschwindigkeit in \frac{Kilometer}{Stunde} einsetzen zu können. Die Formel sieht dann so aus:

E_{kin}=\frac{1}{2}\cdot m\cdot (\frac{v}{3,6})^{2}.

Wenn wir hier jetzt ein Gewicht (75kg) und eine Geschwindigkeit (20km/h) angeben, erhalten wir 1157.

1157 was? Euro? Liter? Kühe?

Die Einheit beträgt Joule. Aber auch das hilft uns noch nicht weiter. Sind 1157 Joule viel? Oder wenig?

Wir brauchen also eine anschauliche Vergleichsgröße.

Eine meiner prägenden Kindheitserinnerungen ist, wie ich eines Nachts aus dem Etagenbett gefallen bin. Eine Möglichkeit ist also, sich vorzustellen, aus welcher Höhe man auf den Boden knallt. Diese Energie berechnet man mit einer ähnlichen Formel, der für die Lageenergie: E_{pot}=m\cdot g\cdot h. Dabei stehen die Abkürzungen der Reihe nach für Energie, Masse, Erdbeschleunigung und Höhe.  Die Erdbeschleunigung g ist – wie der Name schon andeutet – vom Planeten abhängig, auf dem wir uns befinden. Wäre ich auf dem Mond aus dem Etagenbett gefallen, wäre das Ereignis sicher nicht so schmerzhaft gewesen. g ist auf der Erde stets 9,81  \frac{m}{s^{2}} (Meter pro Sekunde zum Quadrat)

Nun kommt der schwierigste Schritt: Da wir die Energien miteinander vergleichen wollen, können wir beide gleichsetzen, das bedeutet:

E_{kin}=E_{pot}

\frac{1}{2}\cdot m\cdot (\frac{v}{3,6})^{2}=m\cdot g\cdot h

Die beiden E’s können wir weglassen und dann steht da:

\frac{1}{2}\cdot m\cdot (\frac{v}{3,6})^{2}=m\cdot g\cdot h

Auf beiden Seiten wird mit m (die Masse) multipliziert, damit kann man m wegstreichen. Das ist verblüffend – das Gewicht des Fahrers (oder Schläfers) spielt überhaupt keine Rolle. Wenn wir diese Formel nun nach h umstellen, erhalten wir:

h=\frac{1}{2 \cdot 9,81}\cdot (\frac{v}{3,6})^{2}

—————————————————schnapp————————————————–

Wenn wir alles schon so weit wie möglich einsetzen erhalten wir folgende Formel:

h=\frac{v^{2}}{254}

Gibt man nun für v die Geschwindigkeit eines Fahrzeugs ein, erhält man mit h eine zugehörige Strecke in Metern. Diese Strecke kann man sich als Höhe vorstellen, die man ungebremst hinunterstürzt (zum Beispiel von einem Tisch auf den Boden). Dann hat man einen Vergleich, welche Energie in einer Kollision steckt.
Fahre ich also mit gemütlichen 30 Stundenkilometern Kilometern pro Stunde einem stehenden Wagen drauf, entspricht die Wirkung der, als würde ich vom Drei-Meter-Brett im Schwimmbad einen Bauchplatscher auf das Armaturenbrett die nackten Fliesen machen.

Das.
Tut.
Weh.
Und ist bestimmt nicht mit den Armen aufzufangen.
Aber eine gute Karte für meine Lerntheke. Smiley

image

25 Gedanken zu „Autofahr-Physik“

  1. Schöne Aufgabe. Daher wollte ich die auch gleich in meiner siebten Klasse dazu verwenden, das Rechnen in Physik zu motivieren. Denn man misst und „bastelt“ ja nicht nur.
    Leider habe ich aber keine Formeln gesehen, sondern nur den Latex-Code. Weißt du woran das liegt?

  2. Hey Jan 🙂

    Diese Aufgabe ist praktisch Standard in einer 8ten Klasse, bei der Einführung der mechanischen Energien.
    Zwei Anmerkungen zum Text:
    Fast am Ende schreibst du 30 Stundenkilometer. Dieses Sprachgebrauch versuche ich meinen Schülern auszutreiben, da die Schüler sonst diese Einheit mit Amperestunden Ah bzw. Wattstunden Wh vergleichen und falsch rechnen.
    Der Energieansatz ist eine Gleichung und lautet:
    E_kin = E_pot
    Darauf folgt:
    1/2 m v^2 = mgh

    Du magst mir verzeichen, wenn ich kleinkariert rüberkomme. 😉 Aber eine gewisse Struktur hilft einerseits den Schülern weniger Fehler zu machen oder auch eher einen Fehler bei sich zu finden. Andererseits erleichtert uns so das korrigieren.

    Die Auswirkungen eines Autounfalls ohne Gurt lassen sich auch gut über die Kraft, die auf dich wirkt, verdeutlichen.

    F = ma = m mal (delta v / delta t)

    Die Beschleunigungen, die beim Aufprall kurzzeitig wirken, sind immens und hängen von der Körpermasse, die in deiner Rechnung keine Auswirkungen hat, ab.
    z.B.:
    Für m=80kg und einer Aufprallzeit des Autos von 0,1s wirkt bei 20km/h eine Kraft von ca. 4,4kN auf deinen Körper.

    Grüße Stephan

    1. 4,4 kN finde ich jetzt nicht wirklich anschaulich. Wenn man aber bei dem Bild des Schwimmbads bleibt, würde sein Rechnung folgendes bedeuten: Man springt vom 3m-Brett in Richtung Fliesen und landet im Liegestützt ohne sich wehzutun!

      1. Ich meinte auch nicht, dass es anschaulicher ist. Sondern nur eine andere Betrachtungsweise.
        Man kann so argumentieren, dass eben beim Aufprall bei diesem Beispiel mit über dem 5-fachen seiner eigenen Gewichtskraft nach vorne geschleudert wird. Dann kann man den Vergleich anbringen, wieviel Vielfache von g ein Mensch aushalten kann. Dann wird dieses Beispiel auch anschaulich. 😉

  3. Hey,
    die Idee mit den QR-Code ist ja richtig gut!
    Sonst ist die Aufgabe natürlich auch für die Schüler mal interessant, können sie dann Zuhause ihre Eltern tadeln wenn die sich mal wieder nicht anschnallen.

    MfG Stephan

  4. Hm … der QR-Code ist das schwarze Gewurschtel unten rechts?
    Sind da die Lösungen versteckt? Und das geht dann nur mit ’ner App, oder?
    Ich habe aber gar kein … e App. Kann man das auch per PC knacken? Ansonsten finde ich die Karte sehr schön … vom Äußeren, inhaltlich kann ich nicht mitreden. 😉

    1. Ja, das Muster unten.
      In der Klasse können das etwa zwei Drittel der Leute mit ihren Handys lesen und gerade im (unwichtigen Neben-)Fach Physik schauen die zu schnell auf die Lösung – das ist hiermit nicht so leicht möglich. 🙂
      Ganz abgesehen davon hat es einen gewissen Coolness-Faktor 😉

  5. 😉
    … da ich aber Deutsch-Lehrer bin …
    entweder : welche Kräfte bei welcher Geschwindigkeit herrschen oder welche Kraft bei welcher Geschwindigkeit herrscht
    😉 *nicht bös gemeint*

  6. Schöne Rechnung, das mit der Fallhöhe ist sehr anschaulich. Unter einem Joule kann ich mir bis heute nichts vorstellen.

    Ich muss mich Christopher anschliessen, ich finde Formeln, die bestimmte Einheiten voraussetzen fürchterlich (vor allem, da gerne davon ausgegangen wird, dass alle wissen welche Einheiten gemeint sind). Ausserdem kann man dann keine Einheitenanalyse machen, die besonders bei längeren Formeln oder Rechnungen einen guten Konsistenzcheck darstellt.
    Ich hätte jetzt einfach g in km/h^2 angegeben, dann kommt am Ende auch das richtige raus.

    maaeli,
    die Einheitenanalyse mag, auch mit c=1

    1. Das verstehe ich nicht – die Formel ist doch gerade so formuliert, dass man eine normale Geschwindigkeit in km/h einsetzen kann.
      Wer kann sich denn unter 27 m/s etwas vorstellen? Niemand. Aber 100km/h ist eine Alltagsgröße. Also.. für den Alltagsmenschen ist diese Formel sicher naheliegender, als eine, in der man m/s einsetzen muss. :-O

      1. Hallo,

        was ich meine, ist dass eine Größe wie v (fast) immer eine Dimension hat. Und bei der Energie hat es mit den Einheiten doch gestimmt, entschuldige bitte. Aber bei der Höhe fehlen Einheiten: v^2/254 sollte doch die Dimension km^2/h^2 (oder allgemein Länge^2/Zeit^2) haben, oder? Eigentlich müsste es also v^2/(254 km/h^2 ) heissen, wenn ich das richtig sehe.

        Schöne Grüße,
        maaeli

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert