Letzte Woche wurde ich von einem Online-Magazin angefragt, welche “Tipps” ich für Eltern zur Schulvorbereitung hätte. Und während ich noch ein paar freie Tage genießen darf, habe ich mir Gedanken darüber gemacht, während ich mich gleichzeitig am Beginn der Bundesliga erfreut habe. Meiner Ersatz-Religion.
Freude hatte ich zumindest, bis ich die Interviews der Gladbacher nach der Niederlage gegen Bayern München hörte. Obwohl Gladbach nicht schlecht gespielt und durchaus einige Torchancen herausgearbeitet hatte, jammerte der Torwart ter Stegen hinterher sinngemäß: “Andere Gegner sind unsere Kragenweite… wir müssen gegen andere Gegner die Punkte holen… gegen die Bayern kann man verlieren…“
Das hat mich maßlos geärgert. Da war kein Frust über die vertane Chance zu spüren, nur das allgegenwärtige Kuschen vor den übermächtigen Bayern.
Vor allem, wenn ich das mit den Stimmen der Augsburger vergleiche, die mit 0:4 gegen Dortmund verloren. Dort schimpfte Halil Altintop: „Das Ergebnis ist definitiv zu hoch und spiegelt das Spiel nicht komplett wieder. Wir brauchen nicht über Borussia Dortmund zu reden […]. Die eigenen Fehler waren entscheidend heute.”
Die Augsburger waren zurecht frustriert. Sie hatten richtig gut gespielt und “es war mehr drin”. Das galt für beide Spiele – aber gegen die Münchener scheint sich ein Großteil der Liga in stiller Angst zu ergeben: Wenn wir nur mit zwei, drei Toren Unterschied verlieren, ist alles in Ordnung.
Zum Kotzen.
Und es erinnert mich an Schule.
Auch dort gibt es Gegner Fächer, vor denen man sich kampflos ergeben möchte: Wenn ich nur eine 4 bekomme, dann ist alles in Ordnung. Auch wenn mir Eltern erzählen “In Mathe war ich auch immer schlecht – das liegt in der Familie…”
Man beugt sich dem (scheinbar) unabwendbaren. Angst.
Ist es ein Zufall, dass der häufigste Imperativ in der Bibel lautet: “Fürchte dich nicht?”
Vor vielen Jahren änderte die Lehrerin Helen Parkhurst die Sitzordnung ihrer Grundschulklasse: Die blonden Schüler sollten vorne sitzen, die dunkelhaarigen hinten. Weil, so erklärte sie der Klasse, die blonden Kinder seien klüger und darum sollten sie auch näher an der Tafel sitzen. Parkhurst unterrichtete einige Stunden und schrieb dann einen kleinen Test. Erwartungsgemäß schrieben die blonden Kinder bessere Noten, als die anderen.
Am nächsten Tag entschuldigte sich Parkhurst bei der Klasse. Sie habe sich vertan – die dunkelhaarigen Kinder seien die klugen – und änderte die Sitzordnung: Nun saßen die blonden Schüler hinten. Wiederum unterrichtete sie einige Stunden; wieder schrieb sie einen Test – und dieses mal schrieben die dunkelhaarigen Kinder die besseren Noten.
Ist das nicht verrückt?
Die Kinder (wir alle?) verhalten uns oft erwartungsgemäß. “Selbstwirksamkeit” nennt die Psychologie das. “Sich selbst erfüllende Prophezeiung” der Volksmund.
Wenn ich Kindern spiegele, sie seien dumm, dann verhalten sie sich so. Die “schlimmste Klasse der Schule” wird sich so verhalten, wie man es von ihr erwartet. Wenn Eltern ihre eigene Angst und ihren eigenen Frust mit Schule an die Kinder weitergeben, wird sie das prägen. Wenn Schule als ein Ort empfunden wird, den man “irgendwie überstehen muss”, dann werden die Kinder kein positives Bild aufbauen können. Und wenn ich sicher bin, von den Bayern drei, vier Buden eingeschenkt zu bekommen, dann erwarte ich das.
Der Mainzer Trainer Thomas Tuchel wurde letzte Woche zitiert mit einem : “…Aufruf an die Liga, das nicht herzuschenken“. Man solle nicht mit voller Buxe vor den Bayern kuschen und dankbar die Niederlage entgegennehmen.
Und genau das schrieb ich auch dem Online-Magazin auf die Eingangsfrage: Das allerwichtigste ist, dass die Kinder Lust auf Schule haben. Dass sie sich auf ihre Freunde freuen, auf den geregelten Tagesablauf, auf Sport und Experimentieren und Schreiben und Lesen und Neues Lernen. Darin sehe ich meine zentrale Aufgabe als Klassenlehrer: Dass alle meine Schüler gerne kommen.
Wenn es etwas gibt, dass Eltern ihren Kindern zum Ende der Ferien mitgeben sollten, dann, dass Schule ein großartiger, wundervoller Ort ist, auf denn man sich freuen darf.
Bei dem mit der Sitzordnung klingelte es bei mir.
Wir haben mal während einem Seminar im FSJ einen Film gesehen,
in dem genau das Experiment, wenn auch rigoroser durchgezogen wurde. Da lag das Augenmerk eher auf Diskriminierung, aber man sah
das oben genannte beispiel sehr deutlich.
Der Film ist übrigens zu empfehlen
http://de.wikipedia.org/wiki/Blue_Eyed
Danke, den kenne ich (noch) nicht.
Ohja. Wie schön.
Das ist auch mal wieder etwas, das man als Referendar beachten sollte. Oft erhält man ja bei der Klassenwahl verschiedene Zusatzinformationen… Pah! Ich war schon in Klassen drin, von denen ich n i c h t wusste, dass sie die schlimmste Klasse der Schule s e i e n. Bis ich wusste,wovon in der GLK genau gesprochen wurde, dauerte es auch kurz.
Von dem her… ich freue mich auf meine (ersten) Klassen im neuen Schuljahr und bin gespannt – egal welche ich bekomme (sei ja immer so ein Buhlen um Klassen).
Auch als Zauberer (was ich so privat mache) arbeite ich oft mit Erwartungenen. Das kann ebenfalls stark helfen, einen Effekt oder ein Zauberkunststück zu gestalten und zu verbesser; ja manchmal leber der Trick sogar von „falschen“ Annahmen. Passt ggf. nicht zu 100%, aber geht in diesselbe Richtung: http://www.haraldhentschel.de/blog/konstruktivismus-in-der-zauberkunst/
Es gibt ein Experiment, das den sogennannten Pygmalion- oder Rosenthal-Effekt beschreibt (geht in die im Blogartikel genannte Richtung) und wurde bereits in den 60ern nachgewiesen bzw. wissenschaftlich untermauert… (Pädag. Psychologie lässt grüßen… 😉 )
==> schöner Blog. Danke für den erneuten Input!
Nothing to add!
Wie an anderer Stelle schon erwähnt, befinde ich mich aktuell in Hessen im Referendariat. Jeder, der da durch musste, wird wissen, wie es mir damit insgesamt so geht.
Bei aller Kritik, die ich mir anhören musste über didaktische und methodische Punkte – eines wurde stets gelobt: Nämlich dass ich eine angstfreie und motivierende Atmosphäre im Unterricht schaffe.
Natürlich erreicht man nicht immer alle – jeder kennt es ja selbst aus dem Alltag: Es gibt IMMER jemanden den man nicht mag, wieso sollte es einem Schüler mit einem noch so bemühten Lehrer denn anders gehen?
Aber Lust auf Unterricht und, noch wichtiger, Angstfreiheit in der Schule generell sind für mich grundlegend wichtig.
Kurz gesagt schließe ich mich unserem bloggenden Kollegen hier also an^^
🙂
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Der letzte Satz ist es!
Zu Schülern, die Bock auf Schule haben, gehört aber noch was Anderes:
Lehrer, die Bock auf Schule haben!
Wenn ich an dieses schwellenpädagogische Pantoffeltierchen denke, was mich in einem meiner Leistungskurse zum Abitur führen sollte…OMG! Wenn wir Schüler uns nicht zusammengeschlossen hätte und uns arbeitsteilig den Lehrplan selbst erarbeitet hätten, wären wir echt aufgeschmissen gewesen.
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