Bundestagspräsident Norbert Lammert beklagt den Quotenwahn der Fernsehsender und im SPIEGEL-Forum beklagt ein freier Mitarbeiter des MDR eben dieses: Mord und Totschlag seien erwünscht, aber keine (langweiligen) positiven Nachrichten.
Zum mittlerweile vierten Mal hat meine Gemeinde in den Herbstferien ein Kindermusical inszeniert. Jedes Jahr sind zwischen dreißig und vierzig Kinder beteiligt und etwa halb so viele Mitarbeiter. Einige von ihnen nehmen sich Urlaub, andere haben – wie das in einer Kirchengemeinde so ist – das Arbeitsleben schon hinter sich. Jeden Tag wird gemeinsam gegessen, gesungen und geprobt. Eine Woche haben wir nur Zeit, ein knapp anderthalb Stunden langes Stück zu lernen.
Für die Mitarbeiter ist das jedesmal richtig anstrengend. Und für mich als Lehrer ebenso: Wo ich in der Schule klare Strukturen erwarte (und durchsetze), sind wir hier nicht in der Schule. Spätestens am Donnerstag geht der ein oder andere auf dem Zahnfleisch. In der Schule würde man von einer extrem heterogenen Lerngruppe sprechen:
Die Altersspanne der Kinder reicht von 6 bis 16 Jahren, der ein oder andere weist eine arg geringe Aufmerksamkeitsspanne auf. Das ist Inklusion. Obwohl das Musical für alle Kinder ein großer Spaß ist, sind es vor allem diejenigen mit besonderem Förderbedarf, die jede Sekunde genießen. Kinder, die in den Ferien nicht in Urlaub fahren, die nicht Klarinette spielen und nicht lernen, wie man deeskalierend miteinander umgeht. Kinder, die mit Mühe den Hauptschulabschluss schaffen werden. Für sie ist das Musical ein absolutes Highlight. Nicht wenige sind jetzt zum vierten Mal dabei.
Gestern Abend dann, vor 150 Eltern, Freunden und Bekannten durften sie das Ergebnis ihrer langen Arbeit vortragen. Nervös und aufgeregt – aber unendlich stolz und glücklich.
Natürlich wurden hier und da Texte vergessen, Töne nicht getroffen oder Einsätze verpasst. Aber so ein Kindermusical verströmt immer diesen Charme eines Krippenspiels: Eigentlich lebt es von den ungeplanten, urkomischen Situationen, die es erst so süß machen.
Auf der Bühne zu stehen und langen, begeisterten Applaus zu erhalten, ist eine Erfahrung, die ich allen Kindern – aber den Kindern besonders – von Herzen gönne.
Helen Parkhurst hat in einem spannenden Experiment herausgefunden, wie entscheidend das Selbstbild auf den Schulerfolg wirkt: Hier wurden die Kindern eine Woche lang angespornt, angeleitet und ermutigt. Ja! Ihr könnt etwas! Ihr dürft stolz auf euch sein.
Und am Schluss, haben sie es uns allen gezeigt.
Es mag sein, dass im Fernsehen Mord & Totschlag mehr zieht, als gute Nachrichten. Das ist bedauerlich – aber spiegelt nicht die Realität wieder. In Wirklichkeit gibt es nämlich überall Omas und Opas, die freiwillig für andere kochen und putzen; Handwerker und Professoren, die ihre Freizeit opfern um ein paar Kindern Singen beizubringen und zahllose Mütter und Väter, die Woche für Woche ihr bestes tun, um ihre Kinder zu fördern – und sei es, indem sie sie zu einem Kindermusical anmelden :-).