Meine Frau und ich feiern heute unseren 15. Hochzeitstag.
Im Unterschied zu Geburtstagen finde ich Hochzeitstage feier-würdig. Hier steckt mehr drin, als nur lebendig geblieben zu sein. Beim Frühstück fragt uns Carolina aus, wie wir geheiratet haben. Und wann. Und warum. Und wo. Und wie wir zu der Entscheidung gekommen sind. Während meine Frau ihr grinsend und kopfschüttelnd die Einzelheiten erzählt, wird uns einmal mehr klar, wie blauäugig wir in unsere Ehe gestolpert sind. Viele Entscheidungen im Leben haben wir recht naiv getroffen – ohne zu wissen, was uns genau erwartet. Studium. Ehe. Umzüge. Der Kauf des Hauses. Die Entscheidung, Kinder zu bekommen.
Auf die Frage, ob er durch das Drumherum und die Star Trek Affinität bereue, die Rolle als Captain Picard je angenommen zu haben, hat Patrick Stewart einmal sinngemäß geantwortet: „Wenn ich gewusst hätte, welche Folgen diese Rolle haben würde, hätte ich wohl abgelehnt. Und das wäre ein Fehler gewesen!“
Was für eine kluge Aussage.
Wenn ich vorher gewusst hätte, wie viel Arbeit ich noch in unser Haus stecken würde, hätte ich es niemals gekauft. Und das wäre ein Fehler gewesen. Wenn ich vorher geahnt hätte, wie viele Sorgen und Ängste und Aufwand und Nerven meine Kinder mich kosten würden…. Und das wäre ein Fehler gewesen.
Von vielen Seiten hörte ich in den vergangenen Wochen Glückwünsche und Ermutigungen zu meinem bevorstehenden neuen Job als Abteilungsleiter einer Gesamtschule. Man traue mir das ohne Vorbehalte zu und überhaupt sei das ganz gewiss nur ein Zwischenschritt auf dem Weg zu XY.
Diese Sätze schmeicheln mir – aber ich werde innerlich ganz unruhig, wenn ich sie höre. Nicht, weil sie nicht aufrichtig und wohlmeinend gemeint wären – sondern weil Menschen Erkenntnisse nur schwer von einem Fachgebiet ins nächste übertragen können. „Lehrers Kind und Pfarrers Vieh, gelingen selten oder nie“ lautet ein bekanntes Sprichwort. Wie kann es sein, dass scheinbar gerade die Kinder von Erziehungsexperten so merkwürdig geraten, dass daraus eine Volksweisheit entsteht? Warum sind so viele Ärzte – Gesundheitsexperten! – Raucher? Häusliche Gewalt kommt in Polizistenfamilien überproportional vor und Ehetherapeuten sind nicht selten selbst geschieden.
„Domain Dependence“ nennt man dieses Phänomen: Man ist in einem Fachgebiet ein Experte – aber es will nicht gelingen, dieses Knowhow auf ein anderes Gebiet zu übertragen. Wir sind Gefangene unserer eigenen Erfahrungen. „Wer als Werkzeug nur einen Hammer hat, sieht in jedem Problem einen Nagel.“
Was bedeutet das für mich?
Als Lehrer tauge ich einigermaßen. Der Beruf macht mir Spaß und ich behaupte, die meisten meiner Schülerinnen und Schüler kommen ganz gut mit mir klar.
Aber! Aber! Meine neuen Aufgaben nötigen mir Respekt ab und ich möchte nicht der Domain Dependence anheimfallen, die mich glauben lässt, wenn wir in Bereich A sehr gut sind, würde uns auch Bereich B einfach zufliegen.
Was mir Hoffnung macht: Ich weiß nicht, was mich alles erwartet – sonst hätte ich auch womöglich abgesagt. Und das wäre dann rückblickend vielleicht ein Fehler gewesen.
Sehr schön geschrieben Martin.
Euch alles Gute zum Hochzeitstag. Weiter so!
Vielen Dank für diese Blogartikel (und auch ganz besonders den Artikel zum 10. Hochzeitstag).
Wie immer Inspiration und Bereicherung.