Drei Kriminalfälle haben uns gestern Abend in Atem gehalten. Natürlich direkt, nachdem ich gebloggt hatte, wie entspannt alles läuft. Drei Verbrechen, die ohne den Scharfsinn und das Schnuppernäschen von Sherlock Klinge womöglich niemals aufgedeckt worden wären.
- Fall: Das Rätsel der unheimlichen Maske
- Fall: Die Sporttasche von Baskerville
- Fall: Die gestohlene Identität
Aber der Reihe nach. Zurück von meiner Klassenfahrt muss ich zunächst zwei Grundbedürfnisse befriedigen: Stille und Schlaf. Und dann nochmal ein bisschen Stille – weil das so gut tut. Anschließend ein langer Korrekturnachmittag, bevor morgen wieder der Schulalltag ruft.
Noch vor dem Abendessen gestern stehen vier Jungs aufgeregt vor mir. „Herr Klinge! Herr Klinge!!“, schnaufen sie atemlos. „Jemand war in unseren Zimmern!“
Nun gehört zur ganzen Wahrheit, dass alle Kinder ständig durch alle Zimmer pesen. Aber ich hörte mir ihre aufrichtige Empörung an. „Und es waren Diebe, Herr Klinge! Ganz sicher! Der Esra hatte ein Stück Schokolade auf seinem Tisch! Und die hat der Dieb aufgegessen!“ „Ja, und mir fehlen Socken! Einfach verschwunden!“
[Anmerkung von mir: Der aufmerksame Leser wird bemerken, dass beide Verbrechen nicht oben aufgeführt worden sind. Nicht, dass ihr mir hinterher vorwerft, ich würde nur kleine Kinderverbrechen aufklären. Nicht der Rede wert also. Pah! Die echten Verbrechen kommen noch!]
Marik ist wirklich böse. „Herr Klinge! Jemand hat meine Maske gestohlen!“ Seine Stimme bebt vor Wut und Enttäuschung. „Deine Maske?!“ „Ja, so eine Smiley-Maske! Die habe ich geschenkt bekommen und irgendwer hat sie gestohlen!“
Marik will am liebsten alle Zimmer durchsuchen, aber ich schaffe es, die Kinder zu beruhigen. Wir sprechen darüber, dass so etwas enttäuschend ist, aber weder Schokolade, noch Socken oder Maske rechtfertigen, dass ich alle Taschen durchwühle. Ich verspreche aber, dass wir im Kreis darüber sprechen werden. Außerdem erwähne ich, dass ich vor vielen Jahren so etwas wie ein Inspektor im Detektiv-Club von Entenhausen war. Das beeindruckt. Wo Entenhausen liegt, wissen die Jungs nicht.
Doch noch vor dem Abendessen, schlägt ein weiterer Dieb zu: Samirs Sporttasche ist verschwunden. Kein Zweifel – jemand aus der Parallelklasse oder die Berufsschüler von unten. „Bestimmt wollten die meinen Pullover haben! Der eine hat mich vorhin so angeguckt!“, empört sich Samir. Ich überlege, was ein 18jähriger Berufsschüler, zweimal so groß wie Samir mit dessen Pullover wolle. Das ich dem Jungen verspreche, auf ebay nach dem Diebesgut Ausschau zu halten, beruhigt ihn kaum. Misstrauisch durchwühlt er alle Papierkörbe nach seiner Sporttasche. Ohne Erfolg.
Zu unser alles Glück werden beide Fälle aufgeklärt, bevor der Kinoabend losgeht: Marik findet seine Maske. Zerknirscht gibt er zu, dass er sie in seinem eigenen Bett, eingeschlagen in die Bettdecke gefunden hat. Alle Aufregung war umsonst.
Und auch Samir hat seine Sporttasche wieder. Sie lag in seinem eigenen Schrank.
Ich rede mit der Gruppe. Mit ein bisschen Schmunzeln und ein bisschen Ärger erkläre ich, wie blöd diese Sachen gelaufen sind. Wilde Anschuldigungen, Frust und das Bedürfnis, alle Taschen zu durchwühlen nur aufgrund einer Dummheit. Die Kinder verstehen und geloben Besserung. Aber da wussten wir noch nicht, dass der dritte Fall, der schwierigste, noch vor uns liegen sollte.
Den Abend verbringen wir fünf Kollegen gemeinsam im Foyer. Immer wieder spähen wir in die Gänge und scheuchen die Schülerinnen und Schüler zurück in die Betten. Doch diese Rabauken stellen sich eine halbe Stunde schlafen, nur um dann doch wieder ihre Nasen herauszustecken. Irgendwann stehen zwei Schüler der Parallelklasse im Foyer. „Ihr solltet schlafen!“, schimpfe ich und wende mich der Kollegin zu, „du hast deine Klasse nicht im Griff!“, stelle ich messerscharf fest. „Was ist denn los?“, fragt die. „Die Kinder aus der 5b sind mega laut!“
Meine Kollegin seufzt theatralisch und blickt mich nachdenklich an. Ich zeige mit dem Finger auf meine Co. „Ist ihre Klasse!“
Doch irgendwann schlafen alle.
Am nächsten Morgen Frühstück und eine Abschlussrunde. Jeder nennt seine Highlights. Schwimmen. Stockbrot. Wandern. Karten basteln. Gruppenspiele. Jeder nennt ohne zu Zögern zwei Dinge. Außerdem darf sich etwas für die nächste Fahrt gewünscht werden. Nicht nur Zweibettzimmer. Länger als drei Tage. Öfter schwimmen gehen. Nochmal wandern.
In geordneter Reihe geht es zum Bahnhof, als Ahmed sich meldet. „Herr Klinge! Mein Portemonnaie ist weg!“
Ich atme tief durch. „Bevor Sie schimpfen! Ich habe schon in meinem Rucksack geguckt. Und in meiner Jacke. Und in meiner Tasche. Aber ich finde es nicht.“
Okay.
Aber in zehn Minuten kommt der Zug. Eigentlich gibt es nichts, was wir noch tun könnten. Doch glücklicherweise findet auch dieser letzte Fall ein glückliches Ende. Den Ahmed findet sein Portemonnaie wieder: In seiner Hosentasche.
Es sind noch kleine Kinder. An vielen Stellen merkt man das.
Aber betrachte ich sie, sehe ich unglaubliches Potential. Ich sehe, welche Erwachsenen diese Jungen und Mädchen einmal werden könnten. Wenn sie sich anstrengen. Wenn sie ein wenig Glück im Leben haben. Und wenn sie Lehrer haben, die sie drücken und zerren und ziehen und schubsen und liebhaben.
Ich freue mich auf morgen.
Du schreibst echt so toll von deinen Schülern. So freundlich und liebevoll und zugewandt und fröhlich und trotzdem ehrlich. Und von Schulentwicklung und Vernetzung und Kreativität. Das macht Spaß zu lesen und mit jedem Blogartikel denke ich ein bisschen mehr, dass ich vielleicht doch in die Schule gehöre. Danke Dir!
Danke für die Blumen 🙂
Danke für diesen tollen Blog. Macht weiter so.