Angelehnt an Kollege Raus Tagebuch der Apokalypse auch kurz unseren letzten Schultag skizziert.
Schon frühmorgens war allen Beteiligten klar, die Chancen auf eine weitere Schulwoche sinken minütlich. Unser digitales Schulkonzept funktioniert deshalb so gut, weil wir es nicht holterdipolter allen Kindern und Lehrern übergestülpt haben, sondern den Weg sorgfältig und Schritt für Schritt gegangen sind – aber die Zeit ist nun halt um. Nachdem Freitagnachmittag (pünktlich nach Schulschluss…) publik wurde, dass nun auch in NRW alle Schulen geschlossen würden, habe ich eine Massen-Video-Konferenz mit meiner Klasse durchgeführt und sie über die Schließung informiert. Abends eine weitere Online-Konferenz als Schulleitung über das Vorgehen der nächsten Tage.
Das digitale Arbeiten läuft bis hierhin exakt so, wie erhofft.
Bewegt man sich im #Twitterlehrerzimmer, erhält man einen ganz spannenden Einblick in den Umgang verschiedener Schulen und Kollegien mit der aktuellen Krise: An vielen Stellen freuen sich die Kolleg*innen darüber, dass digitale Werkzeuge nun (endlich) mit ihren Chancen wahrgenommen werden (eine Übersicht bietet Bob Blume hier), an anderer Stelle blitzt auch Verweigerungshaltung durch. Hier und da wird daran erinnert, dass nicht alle Schülerinnen und Schüler überhaupt einen Internetanschluss haben und es wird auch zurecht gemahnt, „digitales Arbeiten“ bedeute nicht, die Schüler mit hunderten .pdfs zu versorgen:
„Bitte die Arbeitsblätter 1-37 in den nächsten drei Wochen bearbeiten!“ und genau diesen Punkt finde ich persönlich mindestens ebenso spannend, wie den Einsatz digitaler Werkzeuge.
Nicht nur gefühlt entwickeln sich Diskussionen im #Twitterlehrerzimmer oft sehr schnell und sehr zielstrebig. Das liegt vielleicht daran, dass dort Expertise aus dem gesamten deutschsprachigen Raum zusammentrifft. Es gibt nur wenig Gruppenkonformität (also, dass eine blöde Idee unwidersprochen bleibt, nur weil eine Autorität sie ausgesprochen hat) weil die Teilnehmer in keinem Abhängigkeitsverhältnis leben. An vielen Stellen dort wird aktuell darüber diskutiert, dass der Einsatz digitaler Werkzeuge zwar sinnvoll und überfällig sei – das aber noch keinen zeitgemäßen Unterricht ausmache. Was ist damit gemeint?
Ein Beispiel:
Meine 8er beschäftigen sich im Mathematikunterricht gerade mit Flächeninhalt und Umfang von Drei- und Vierecken. Problematisch: Sie müssten eigentlich kommende Woche eine von nur zwei Klassenarbeiten schreiben, die nun ausfällt und in der verbliebenen Zeit bis zum Sommer kaum nachgeholt werden kann. Die kommende Zeugnisnote bezieht sich dann nur auf die einzig noch kommende Arbeit zum nächsten Thema.
Digitaler Unterricht: Ich kann den Schülerinnen und Schülern Aufgaben aus dem Schulbuch zuweisen (die sie machen oder nicht) oder eine Lerntheke samt Lernvideos (die sie ansehen oder nicht). Ob per E-Mail, Skype-Konferenz, Mebis, OneNote oder Moodle macht keinen Unterschied. Die Schülerinnen und Schüler sollen die o.g. Aufgaben bearbeiten und mir zurückschicken. Das fühlt sich aber irgendwie unbefriedigend an. Ob vielleicht ein Schüler die Aufgaben gemacht und per WhatsApp an alle verteilt hat, lässt sich nicht herausfinden. Ob überhaupt irgendwer irgendwas macht ist irgendwie schwierig.
Zeitgemäßer Unterricht: Es muss eine Alternative her, ein Überdenken der Aufgabenstellung. Möglich wäre zum Beispiel folgende Projektaufgabe:
„Erstelle eine Skizze deiner Wohnung. Bestimme Längen und Breiten der Räume und berechne anschließend den Flächeninhalt der gesamten Wohnung. Beschreibe detailliert, wie du vorgegangen bist. Fotografiere deine Aufschrift und schicke sie per Mail an…“
Dadurch ergeben sich individuellere Aufgabenstellungen. Schüler könnten Rückfragen stellen und ich kann nachsteuern. Für einen leistungsschwachen Schüler muss das nicht maßstabsgetreu sein und vielleicht auch nicht die Besenkammer auch noch – für jemand anderen ist es vielleicht angemessen, auch noch den Kaninchenstall mit einzubeziehen.
Auch hier ist eine Bewertung nicht einfach. Auch hier ergeben sich Fragen, auf die Antworten gefunden werden müssen. Eine dieser Antworten hat uns Jean-Luc Picard (ausgerechnet!) diesen Freitag geben: „Die Zukunft ist noch nicht in Stein gemeißelt, wir haben mächtige Werkzeuge: Aufgeschlossenheit, Optimismus und eine unbändige Neugier.“
Ja, schon. Ich freue mich stets darüber, wenn das Wort „digital“ in seiner aktuell sinnvollen Bedeutung verwendet wird, also letztlich: doch nur aus Nullen und Einsen bestehend/mit Digitalmaschinen leicht verarbeitbar/als Datei/am Computer. Mitunter wird es ja, gerade im Zusammenhang mit „digitaler Bildung“ verwendet als synonym für „besser als bisher“, und das ist mir arg zu übertragen. Aber wer weiß, Sprache ändert sich, vielleicht sagen die jungen Leute in zehn Jahre: „Mann, das Schnitzel war voll digital“, wenn sie es angenehm knusprig finden, und die Dozenten an der Uni bewerten das Referat des Studenten mit einem „Äußerst digital!“
Und zeitgemäßer Unterricht: ja! Was auch immer für ein Wort man da nimmt (ich hätte ja eher reformpädagogisch gesagt, aber es findet ja wohl gerade noch Diskussion darüber statt, was der Begriff bedeutet), wenn wir das gleiche meinen, dann gerne.
Aber: „Erstelle eine Skizze deiner Wohnung. Bestimme Längen und Breiten der Räume und berechne anschließend…“ Mein Info-Buch aus dem Jahr 2004 schlägt schon vor: „Erzeuge mit einem Grafikprogramm einen Plan deines Zimmers. Protokolliere zu jedem Objekt…“ und „Nenne mindestens drei Objekte, die du in deinem Kleiderschrank finden kannst. Notiere…“ Um bei deinem Beispiel zu bleiben: War das Buch schon vor sechzehn Jahren zeitgemäß, oder ist das eigentlich Zeitgemäße an der Aufgabe, dass man sie per E-Mail abgibt?
Ich glaube, diese Aufgabe (die ja nur kurz skizziert und sicher optimiert werden könnte) – ist schon damals zeitgemäß gewesen: Sie ist an die Lebenswelt der Kinder angelehnt, projektorientiert und fordert eine Vielzahl von Kompetenzen. Das „digitale Werkzeug“, welches aktuell stark im Fokus steht, ist an dieser Stelle vielleicht ein weiterer Schubser in die Richtung, sich mit solchen Aufgaben auseinanderzusetzen.
Wo es bei deinem Buch in den letzten Jahren vielleicht hieß: „Coole Aufgabe, leider haben wir keine Zeit dafür!“ ist jetzt Zeit im Überfluß vorhanden und die Notwendigkeit, die Schülerinnen und Schüler mit intelligenten (zeitgemäßen?) Aufgaben zu versorgen. Das geht doch Hand in Hand.
Ihr wollt jetzt sicher nicht wissen, was einige Datenschützer zu Aufgabenstellungen sagen, bei denen Schüler den Grundriss ihrer Wohnung „offenbaren“ sollen …
Ich gehöre natürlich nicht zu dieser Personengruppe und kann derartige Ansichten zwar von der Logik her nachvollziehen, womit es für mich dann aber aufhört.
Schulen, die schon digital arbeiten, sind klar im Vorteil. Die Aufgabenstellungen sind aber schon entscheidend wie auch ein in der Schule etabliertes Verständnis von Lernen und Verantwortung für sich übernehmen bei den Schülern. Leider findet man Letzteres selten. An meiner Ganztags-Sekundarschule gibt es das sogenannte EVA, eigenverantwortliches Lernen. Es funktioniert mittelprächtig. Hausaufgaben gibt es durch EVA nicht. Die Folge: Kommen die Schüler ans Gymnasium oder die Berufsschule, haben sie große Probleme, da sie es nicht gewohnt sind, ihr eigenes Arbeiten zu Hause zu organisieren. Sie begreifen teils nicht einmal die Notwendigkeit, da sie es nicht kennen.
Dass diese Schüler auch mit dem eigenständigen Lernen über eine digitale Plattform Schwierigkeiten haben, verwundert dann wohl nicht.
Menno, jetzt habe ich nicht nur mit „digital“ Schwierigkeiten, sondern auch mit „zeitgemäß“. Wenn die Aufgabe im Buch schon vor sechzehn Jahren zeitgemäß war, und das Buch enthält viele solche Aufgaben, und ich äußere mich mal nicht dazu außer dass ich dir beipflichte, dass man sie kompetenzorientiert zu nennen nicht umhin kommen wird – wie gesagt, wenn das schon vor sechzehn Jahren zeitgemäß war, vielleicht sollte man dann „zeitlos“ dazu sagen?
(Um die Diskussion fortzusetzen.)
Ich (persönlich) benötige diese Begriffe für Inhaltliches nicht und komme mit „passend“ zurecht.
Zur Grundlagenbildung sind „Päckchenaufgaben“ passend. Für leistungsstarke Kinder sind projektorientierte, eigenverantwortliche Übungen super, für jene, die sich mit Mathematik schwertun, ist „modellieren“, „diskutieren“ etc. oft unpassend, weil zu schwer.
Für „Werkzeuge“ finde ich „zeitgemäß“ passend. Heute ist der Umgang mit dem Computer (und diversen Tools) zeitgemäß, weil er für die Schülerinnen und Schüler relevant ist oder in zunehmendem Maße wird. Sollten wir uns eines Tages in Cyborgs verwandeln und Wissen per USB-Stick in unser Hirn transferieren, wäre das alles nicht mehr zeitgemäß und erst recht nicht zeitlos.
Womit wir wohl auch unweigerlich bei der Frage ankommen, ob „Bewertung“ im herkömmlichen Sinn denn noch zeitgemäss ist. Denn wie oft wird einfach gut abrufbarer Stoff vermittelt, der problemlos korrigiert und benotet werden kann? Für die SchülerInnen bleibt er aber eigentlich abstrakt und geht somit auch sehr schnell wieder vergessen.
Pingback: DIGITAL: #blogparade #unterrichtdigital2020 | Bob Blume