Seit über zwei Jahren arbeiten alle Schüler*innen an meiner Schule mit Tablets im Unterricht. Ich habe an dieser Stelle ausführlich über unsere „Tabletschule“ und die dahinterliegenden Konzepte und Ideen geschrieben. Heute möchte ich einen winzigen Einblick das geben, welche Konsequenzen dieses Arbeiten haben kann.
Projekt statt Mathematikarbeit
Das Schuljahr ist herausfordernd. Corona hängt uns aus dem letzten Jahr noch nach – nicht so sehr in Sachen „fehlender Stoff“ sondern „fehlende Strukturen“. Distanz-, Präsenz und Wechselunterricht fordern bei dem ein oder anderen ihren Tribut und es war nicht für alle Kinder gleichermaßen einfach, in das neue Schuljahr zu starten. Das wussten wir und angesichts bevorstehender Quarantänen und einem weiteren zerrütteten Herbst hat unsere Mathefachschaft (das ist das Gremium aller Mathematiklehrer*innen und interessierter Elternvertreter) entschlossen, im 10. Jahrgang eine Klassenarbeit durch ein Projekt zu ersetzen.
Für die 10er ist das insofern von Bedeutung, als dass sie in NRW im Frühsommer eine Zentrale Abschlussprüfung schreiben. Stoff! Zeit!! Druck!!!
Struktur der Prüfung
Die Prüfung erfordert drei Aspekte:
- eine schriftliche Bearbeitung von Aufgaben (gleich mehr dazu)
- eine mündliche Präsentation der eigenen Ergebnisse
- eine mündliche Prüfung mit einem frei gewählten Prüfungspartner
Die Aufgaben bestehen aus einer Mischung aus „Wirtschaft“, „Lebensvorbereitung“ und „Abschlussprüfungs-Vorbereitung“. Konkret geht es um die Teile (verkürzt dargestellt):
- Suche Berufe heraus und was man dort verdient. Unterscheide Brutto von Netto.
- Suche im Internet drei Wohnungen. Kaltmiete? Warmmiete?
- Richte die Bude ein. Kosten?
- Bestimme laufende Kosten: Handy, Lebensmittel, täglicher Verbrauch
- Du spielst Rubbellose. Wahrscheinlichkeit für Monatlich zwei Lose?
- Auto? Bahn? ÖPNV?
- Bilanz ziehen
Absolviert man alle Aufgaben ordentlich, streift man Prozent- und Zinsrechnung, beschäftigt sich mit der Wahrscheinlichkeitsrechnung und bekommt nebenher eine ganz gute Vorstellung davon, was das Leben so kostet.
Arbeit an der Tabletschule
Diese Woche wurde ich in unseren Lernbüros von einigen Schüler*innen aufgefordert, eine Rückmeldung zu ihrem Arbeitsfortschritt zu geben. Viele spannende Einblicke ergeben sich, aber ein Aspekt ist mir besonders in Erinnerung geblieben.
Einige Kinder haben – ohne, dass ich es auch nur erwähnt hätte – für die Kalkulation von Renovierung und Einrichtung das Tabellenkalkulationsprogramm Excel aufgerufen. Präsentiert wurden mir einigermaßen komplexe Tabellen zur Kostenaufstellung. Es wurden Formeln genutzt („=Summe“) und Grafiken eingefügt. Auf den ersten Blick lässt sich nun in Balkendiagrammen erkennen, wie hoch die Ausgaben für Schlafzimmer, Esszimmer und Wohnzimmer sind, wie hoch die Ausgaben für Lebensmittel, TV & Fernsehen und Hygieneprodukten.
Zehntklässler, die sich gegenseitig Excel beibringen um ihre Daten aufzubereiten! Es ist perfekt!
An meiner Schule arbeiten wir mit Windows-Tablets, weil unsere Intention ganz klar darauf abzielte, den Computer als berufsrelevantes Arbeitsmittel zu verstehen. Und nun lässt sich genau das beobachten: Die Jugendlichen sind in der Lage, selbstbestimmt ein komplexes Werkzeug auszuwählen um eine Aufgabe zu absolvieren. Ohne Instruktion. Ohne Tipp. Nach nur anderthalb Jahren digitalisierten Unterrichts in der 10.
In einer fernen Zukunft, wenn erste Schülergenerationen bei uns fünf oder sechs Jahre mit den Dingern gearbeitet haben, wird so etwas hoffentlich selbstverständlich sein – aber aktuell feiere ich das sehr. Passend dazu hat die Westfalenpost einen sehr detaillierten, lesenswerten Artikel über meine Schule und die Arbeit in Projektunterricht, Lernbüros und selbstbestimmtem Lernen an einer digitalen Tabletschule geschrieben (klick). Es ist ein kleiner Einblick in die intensive, großartige Arbeit die meine Kolleg*innen Tag für Tag abliefern.
Danke mal wieder für diesen wunderbaren Einblick in eurer Schulleben!
Über welchen Zeitraum läuft dieses Projekt? Als Lehrerin für Wirtschaft und Mathematik könnte ich mir so etwas bei uns auch gut vorstellen.
Etwa 7 Wochen. Ich lasse es aber nur 3 Wochen allein laufen und ab kommender Woche geht es parallel weiter im Lehrplan.
hallo
Moin,
das hört sich sehr interessant an. Ist es möglich die ausführliche Planung zu sehen?
Viele Grüße
Dimi
Du meinst die ausgearbeitete Klassenarbeit?
Ja.
Damit wäre es für mich wohl das letzte „Foldable“, das ich mir anschaffen würde. :-/
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