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Vertrauen & Konsequenzen in drei Akten

Akt 1: Aufschlag.

Während ich mit meiner Klasse die Zuteilung der Lernbüros plane, ereilt uns die Nachricht: ‚Sport fällt aus – Vertretung in der Klasse‘. Lange Gesichter und genervtes Murren. Ich befürchte, die vertretende Kollegin wird wenig Freude in der Stunde haben und wenn ich Pech habe, wird meine, den Tag abschließende Mathestunde, dafür draufgehen, den Haufen wieder einzufangen.

Ich mache meiner Klasse ein Angebot: Wenn die in den 90 Minuten Vertretung eisern Mathematik pauken, würde ich meine letzte Stunde aufgeben und wir würden eine Spielestunde daraus machen.

Einhellige Begeisterung und das große Versprechen, sich wirklich, wirklich anzustrengen.

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Akt 2: Tragödie

Am Ende des Tages finde ich mich im Stuhlkreis wieder (habe ich schon erwähnt, dass ich meine Sitzordnung ohne Lehrerpult liebe und dass die bei uns immer mehr Verbreitung findet?) und bitte um Rückmeldung.
„Die ersten zwanzig Minuten hat es gut geklappt, aber dann sind wir laut geworden.“ „Ja, und einige sind rumgerannt.“ „Ja, es war wirklich zu laut, aber wir haben trotzdem gearbeitet.“ „Herr Klinge, ich schätze, es war so 60-40.“
Die Klasse kommt zum Ergebnis, dass sie das Ziel nicht erreicht hat.

Die Ehrlichkeit bedeutet mir viel. Sehr viel. Ich glaube, dass Vertrauen ineinander die Grundlage einer jedweden Beziehung ist. Natürlich wollen sie lieber spielen und natürlich – es sind Kinder – fällt es ihnen schwer, die eigenen Ziele zu erreichen. Aber sie sind ehrlich. Und das bedeutet mir wahnsinnig viel.

Frage: Was ist jetzt die pädagogisch richtige Verfahrensweise?

  1. Wir hatten einen Deal, die Klasse hat ihren Teil nicht erfüllt. Es wird Mathe gemacht.
  2. Sie waren ehrlich. Es sind Kinder. Es wird gespielt.

Kurze Bedenkzeit und im übrigen eine von täglich Dutzenden Entscheidungen, die man als Lehrkraft zu treffen hat und weswegen der Beruf nicht nur aus „vorne stehen und Pythagoras erklären“ besteht:

  • Mit welcher Entscheidung mache ich mich selbst unglaubwürdig?
  • Mit welcher Entscheidung stärke ich kurzfristig bzw. langfristig meine eigene Rolle als Klassenlehrer?
  • Welches ist die pädagogisch richtige Entscheidung?
  • Bei welcher Entscheidung habe ich langfristig den größten Nutzen?
  • Welche Kinder interpretieren eine Entscheidung womöglich positiv/negativ und wie wirkt sich das auf die anderen aus?

Am Ende lobe ich die Kinder für ihre Ehrlichkeit. Betone, wie viel mir das bedeutet und mache ihnen einen Vorschlag: Eine Text-Aufgabe gemeinsam an der Tafel besprechen (Textverständnis ist ein großes Problem vieler Kinder) und anschließend wird gespielt.

Akt 3: Spielstunde

Klasse(n) stärken - Team-Spiele für die SchuleWir spielen ein Spiel aus (Achtung: Werbung!) meinem Spielebuch „Klasse(n) stärken„: Alle Schüler*innen stehen im Stuhlkreis hinter ihrem Stuhl. Der Stuhl ist nach vorne gekippelt und wird nur von einer Hand gehalten. Auf Kommando gehen alle Kinder zum nächsten Stuhl – dabei müssen die Stühle auf zwei Beinen balancieren. Fällt auch nur ein Stuhl zurück auf seine Beine, beginnt man von vorne.

Ein Garant für Frust. Und gegenseitige Vorwürfe. Und das bei der knappen Zeit.

Zwischendurch werten wir aus: Was klappt? Was klappt nicht? Was nervt? („Es ist laut.“ „Einige hören nicht zu.“ „Einige sind nicht konzentriert und verschlafen, wenn es losgeht.“)

Glückliche Fügung: Sekunden vor dem Gong schafft die Klasse die von mir geforderten drei Wechsel ohne Fehler. Jubel. Erleichterung. Alle gehen glücklich nach Hause.

Für mich bleibt das Highlight des Tages aber, dass meine Klasse ehrlich zu mir ist. Das ihnen eine vertrauensvolle Beziehung wichtiger ist, als eine erschummelte Spielstunde.

Guter Tag.

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