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Blogparade #2: Arbeitszeiten in der Schule erfassen?

Vorbemerkung: Eine Reihe von bildungsaffinen Bloggern hat sich zum Ziel gesetzt, 2024 häufiger thematisch gemeinsam zu bloggen. Die Themenvorschläge werden an dieser Stelle gesammelt, alle Beiträge zum aktuellen Thema werden unter dem Beitrag gesammelt.

Bildungsrat von unten: Die Lehrkräfte Susanne Posselt und Bob Blume und der Bildungsaktivist Philipp Dehne aus Berlin haben zusammen den „Bildungsrat von unten“ gegründet – quasi ein Gegenentwurf des „Bildungsrates von oben“, der Kultusministerkonferenz. Die bestimmen landesweit die Inhalte der Lehrpläne, sind verantwortlich für Imagekampagnen (‚Kein Bock auf Arbeit morgen? Werde Lehrer!‘) und empfehlen überarbeiteten Lehrkräften schonmal Yoga und Achtsamkeitstraining.
Das will der „Bildungsrat von unten“ besser machen und hat ein ausführliches Statement und ein kurzes Manifest publiziert. Zu letzterem, bestehend aus neun Forderungen, mag in der aktuellen Blogparade kontrovers geschrieben werden.

Forderung 7: Arbeitszeiten in Schule erfassen und Tätigkeiten angemessen mit Zeit unterfüttern!
Um angesichts versteckter Überstunden die tatsächlichen Bedarfe transparent zu machen und den durch Mehrarbeit bestehenden Belastungsdruck abzubauen, muss die Arbeitszeit schulischer Lehr- und Fachkräfte künftig vollständig erfasst werden.

1. Wie misst man Zeit?
An meiner Schule wird dem Thema individualisierter Bildungsweg viel Beachtung geschenkt. Jedes Kind hat einen eigenen Stundenplan, es gibt zehntausende Kombinationen an Werkstätten, Kursen und Projekten, die unsere Schülerinnen und Schüler wählen dürfen. Um da den Überblick zu behalten, habe ich eine recht ausführliche Excel-Tabelle programmiert, die mir innerhalb weniger Klicks von jedem Schüler jeden Kurs und jedes belegte Lernbüro der letzten drei Jahre anzeigt und auch eröffnet, welche Kurse er oder sie zukünftig noch wählen kann: Nicht, dass jemand 4x hintereinander „Technikschule Fußball“ oder „Literaturclub Harry Potter“ wählt.
Auf Papier geführt, könnte diese Dokumentation bequem eine halbe Stelle füllen – mit Excel läuft das nebenher.

Wie sollte ich nun dafür vergütet werden?

Die Excel-Geschichte ist ja nicht aus dem Nichts entstanden – im Laufe meines Lebens habe ich mir strategisches Denken, Excel-Know-How und ein fundamentales Verständnis für Datenbanken angeeignet. Ist das jetzt mehr oder weniger oder gleichviel Wert, als wenn wir die Listen auf Papier führten? Auch, wenn die investierte Zeit nun nur noch wenige Arbeitsstunden am Ende eines Halbjahres betragen?

An vielen Stellen finden wir in der Schule Jobs, die unterschiedlich viel Zeit fressen – abhängig von dem, der es macht. Wenn ich nach Zeit bezahlt werde, warum sollte ich dann besonders schnell arbeiten?

Und das führt mich zu einem zweiten Punkt.

2. Wie motiviert man Mitarbeiter?

Die Psychologen Edward Deci und Richard Ryan haben über Jahre hinweg zum Thema Motivation geforscht und die Selbstbestimmungstheorie entwickelt. Sie untersuchten, wie motiviert Testpersonen einen Soma-Würfel zusammensetzten (eine Art Zauberwürfel). Dabei stellten sie fest, dass diejenigen, denen im Erfolgsfall eine finanzielle Belohnung winkte, erstaunlicherweise weniger Spaß an der Aufgabe hatten und den Versuch eher aufgaben.

Rubik-Würfel

Die materielle Belohnung hatte zur Folge, dass die Probanden sich nicht mehr, sondern weniger in die Aufgabe vertieften.

Ihren Forschungen zufolge sind es intrinsische Faktoren, die Menschen dazu motivieren, sich einer Aufgabe hinzugeben:

  • Selbstverwirklichung
  • Neugier und Lernen
  • persönliches Wachstum

Und Schule?

Ohne jeden Zweifel gehören sinnvolle Studentöpfe in Schulen. Aber was und wie vergleichen? Die Abteilungsleitung einer Brennpunkt-Gesamtschule hat zweifellos mehr Arbeit mit Erziehungs- und Ordnungsmaßnahmen als die einer ländlichen Sekundarschule. Die Betreuung der naturwissenschaftlichen Sammlung ist an manchen Schulen leicht zu regeln, an anderen ein aufwändiger Job.

Und jedes Belohungssystem untergräbt die Motivation der Mitarbeitenden. Das kann man doof finden – aber überall nachlesen.

Ich glaube, dass das Erfassen von Arbeitszeiten einen negativen Einfluss auf die subjektive Zufriedenheit der Lehrkräfte hätte. Wenn ich an die Jahre meines Jobs zurückdenke, dann bin ich immer dann am glücklichsten, wenn ich verrückten Projekten nachjagen durfte. Wenn ich mich selbst verwirklich konnte. Wenn ich frei gestalten durfte, was ich für das richtige hielt. In diesen Zeiten fühlte es sich nicht an wie der Tausch „Zeit gegen Geld“, sondern wie „eine persönliche Leidenschaft, das absurderweise auch noch bezahlt wird“.

Ich denke an meinen Kollegen, der ein stadtweites Schul-Schachturnier ins Leben gerufen hat – weil Schach seine Leidenschaft ist. Oder die beiden Kolleginnen, die mit ein paar verrückten Schüler*innen alles daransetzen, Schulhühner anzuschaffen. Oder, oder, oder.

Ja, es ist am Ende ein verantwortungsvoller Job und der darf auch angemessen bezahlt werden. Aber die diesjährig anstehende Gehaltserhöhung macht den Beruf für mich ehrlicherweise keinen Deut attraktiver. Ganz im Gegensatz zu meinen Planungen eines hybriden Klassenraums: Selbstbestimmung. Neugier und Lernen. Persönliches Wachstum.

Gebt mir Freiheit.
Ich gebe zu: Das klingt schon fast wie der Vorschlag nach Yoga und Achtsamkeits-Seminaren. Ist vielleicht nicht ganz von der Hand zu weisen.


https://www.kubiwahn.de/2024/02/arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/

https://herrmess.de/2024/02/10/edublogparade2024-runde-2-arbeitszeiterfassung-fuer-lehrkraefte/

https://www.schulmun.de/2024/02/04/2024-04-auseinandersetzung-mit-dem-manifest-des-bildungsrates-als-teil-einer-blogparade/

https://www.timo-off.de/2023/eigentlich-keine-arbeitszeiterfassung-aber/

https://moewenleak.wordpress.com/2024/02/11/blogparade-2-arbeitszeiten-in-der-schule-erfassen/

Arbeitszeiten in Schule erfassen und Tätigkeiten angemessen mit Zeit unterfüttern?

https://monsieur-becker.de/2024/stundentafel-entschlacken/

Arbeitszeiterfassung in der Schule?

19 Gedanken zu „Blogparade #2: Arbeitszeiten in der Schule erfassen?“

  1. Ich bin auch immer etwas skeptisch, wenn ich die lautstarken Rufe mancher Kollegen nach einer exakten Arbeitszeiterfassung höre, und zwar aus verschiedenen Gründen.
    Zum einen fürchte ich, dass das damit endet, dass wir jede Woche minutengenau aufschreiben müssen, wieviel Zeit wir wann wofür gebraucht haben, was dann vor allem nochmals ein zusätzlicher Aufwand ist.
    Zum anderen gibt es einfach Grenzbereiche, in denen nicht ganz klar ist, was man noch zur Arbeitszeit zählen kann und was nicht. Mir ist durchaus auch schon mal auf einem Spaziergang eine gute Aufgabe für die nächste Klausur eingefallen. Echte Arbeitszeit ist das nicht – aber hätte ich während des Spaziergangs nicht darüber nachgedacht, hätte die Erstellung am Schreibtisch länger gedauert.
    Dann gibt es auch Kollegen, die für eine bestimmte Tätigkeit deutlich länger brauchen als andere. Sind die einfach gründlicher als die anderen – oder trödeln sie eben doch ein bisschen?
    Was meiner Ansicht nach gerechtfertigt wäre: Wenn man das starre Deputatsstundenmodell ein wenig lockert und beispielsweise den Deutschlehrern, die einen fünfstündigen Leistungskurs unterrichten, dafür noch eine sechste Stunde gutschreibt – weil sie eben erwiesenermaßen übers Jahr hinweg deutlich stärker mit Korrekturen belastet sind als die meisten anderen Kollegen.

    1. Das würde bedeuten, dass diese besser gestellt würden als die KuK die den Mathematik oder Informatik LK unterrichten.
      Den ersten gibt es aber wie Sand am Meer, die (insbesondere „den“) letzten fast gar nicht.
      Das würde tatsächlich ein ungünstiges Zeichen setzen

    2. >Wenn man das starre Deputatsstundenmodell ein wenig lockert und beispielsweise den Deutschlehrern, die einen fünfstündigen Leistungskurs unterrichten, dafür noch eine sechste Stunde gutschreibt – weil sie eben erwiesenermaßen übers Jahr hinweg deutlich stärker mit Korrekturen belastet sind als die meisten anderen Kollegen.

      Als jemand, der Deutsch und Informatik unterrichtet: oha ja, das wäre sicher ein Anfang, und notwendig – aber schwer durchsetzbar. In Bayern haben wir immerhin bei manchen Fächern (Kunst, Musik Sport) je nach Jahrgangsstufe den Ansatz, dass die weniger Arbeit machen als andere. Aber natürlich kann man in jedem Fach trödeln, langsam sein, oder akribisch so viel vorbereiten, wie Zeit da ist.

    3. „Das würde bedeuten, dass diese besser gestellt würden als die KuK die den Mathematik oder Informatik LK unterrichten.
      Den ersten gibt es aber wie Sand am Meer, die (insbesondere „den“) letzten fast gar nicht.
      Das würde tatsächlich ein ungünstiges Zeichen setzen“

      Ja, an das Problem habe ich auch schon mal gedacht. Ein Stück weit ist es ja schon kurios, dass ausgerechnet die Fächer, die von den Korrekturen her die meiste Arbeit machen, wie Deutsch oder auch Englisch am Gymnasium, gerade die sind, in denen es am ehesten noch ein Überangebot an Lehrkräften gibt.

      Aber andererseits: Wenn der Ist-Zustand ungerecht ist, dann wäre es ja durchaus gerecht, wenn man stärker belastete Kollegen etwas mehr entlastet. Ich selbst unterrichte ja Mathe und Physik und könnte mit so einer Lösung trotzdem leben…

      … es sei denn, man beschließt dann umgekehrt im Kultusministerium, dass zwar die Deutschlehrer entlastet werden, aber die Mathelehrer dafür eine Stunde mehr unterrichten, weil die Maßnahme ja insgesamt kostenneutral sein muss. Das wäre dann weniger schön.

    4. ja, genau. ich sehe auch, dass wir dann noch deutlicher in üblen Diskussionen über die zulässige Dauer von kleinen Tätigkeiten sprechen. Es könnte dann ein stärkerer Effizienz-Blick auf Schule folgen. 😉 Muss dann jeder Kollege 10-Finger-System lernen, damit E-Mails nicht mehr so lange dauern? 😉

  2. Pingback: 2024-04: Auseinandersetzung mit dem Manifest des Bildungsrates – als Teil einer „Blogparade“ – SchulMUN

  3. Ich finde die Erfassung auch schwierig und würde das Problem von der anderen Seite angehen. Deutliche Reduzierung der Korrekturen und Vor- und Nachbereitungen durch ein vernünftiges LMS und individuelle Gelingensnachweise vor Ort. Dafür erhöhte Präsenzzeit für Lehrkräfte, die dann zuhause aber kaum zu tun haben. Führt vermutlich auch erstmal zu Konflikten, dann aber zu einem für alle besseren Schulsystem. Abgesehen von der Oberstufe, da brauchen wir vermutlich noch länger als bis das Abitur seine Bedeutung verloren hat…
    (Ist inspiriert von der Alemannenschule und ähnlichen Modellen)

  4. Als Nicht-Lehrer mal eine Frage: Gilt für Lehrkräfte das Arbeitszeitgesetz (ArbZG)?
    Wenn ja, wäre das, was hier als „Ist-Zustand“ beschrieben wird, ja die sog. Vertrauensarbeitszeit – im Gegensatz zum Stempeln.
    Da gibt es ja viel an Literatur und Anekdoten mit Pro’s und Con’s.

    Die (unterschwellige) These, dass Menschen mit dem Vertrauensarbeitszeit motivierter sind, würde ich gerne hinterfragen.

    Was für mich beim Stempeln wichtig ist – eine technische Lösung muss sehr leicht nutzbar sein, das darf eben nicht Mehraufwand sein.

  5. Ich plädiere ebenfalls gegen eine starre Arbeitszeiterfassung. Im Widerspruch zum aktuellen Lehrermangel sollte es aber deutlich mehr Entlastungsstunden für Schulen geben, die nach gewissen Kriterien intern (z.B. Beschluss der Lehrerkonferenz) verteilt werden dürfen. Da sehe ich Bedarfe u.a. schulformbezogen anders:
    Ein guter Freund arbeitet an einem soliden Gymnasium mit den Fächern Mathe und Physik. Er ist „alleiniger Klassenlehrer“ einer Klasse, hat aber außer der Planung von Wandertagen und dem Verteilen von Elternbriefen nicht viel mit Klassenleitung zu tun. Sogar Klassenfahrten sind nahezu „fertig“ konzeptioniert. Alle Eltern zahlen fristgerecht. Inklusion gibt es an der Schule nicht. Er war noch nie bei einer Anhörung/Teilkonferenz (10 Jahre im Dienst)
    Ich hingegen arbeite an einer Sekundarschule 20km entfernt von ihm. Wir sind zwar zu zweit in der Klassenleitung, haben haben täglich Konflikte, haben viel Zeitaufwand mit Inklusion, Förderanträge, Geldeintreiben bei Eltern und über Bildung und Teilhabe. Anhörungen und Teilkonferenzen. Pro Klassenlehrer sind es 2-3 Stunden pro Woche zusätzlicher Zeitaufwand für „Klassenlehrertätigkeit“.

  6. Ich habe mich in der Blogparade auf das Thema Quereinstieg konzentriert, meinen Beitrag aber noch um diesen Aspekt zur Arbeitszeit ergänzt:
    Viele Aspekte, die Kontroversität und die Schwierigkeiten bei der Messung von Arbeitszeit von Lehrkräften können in den verschiedenen Blogbeiträgen zur Blogparade nachgelesen werden.
    Einen unpopulären Aspekt möchte ich noch ergänzen. Eine wirklich umfassende und exakte Erfassung der Arbeitszeit würde vermutlich große Ungleichheiten innerhalb der Kollegien ergeben, die sich aus der Fächerkombination und dem über den Unterricht hinausgehenden Engagement ergeben. Dazu kommen noch Lebensabschnittsbedingte Disparitäten und mögliche Karriereambitionen. Das birgt enormes Konfliktpotenzial, allerdings gibt es wohl in jedem Beruf „High- und Low-Performer“.
    Letztlich lässt sich bei den meisten Berufen, abgesehen vielleicht von der Fließbandarbeit, eine rein am Output orientierte Erfassung von Arbeitszeit und Leistung nicht sinnvoll realisieren.
    Dennoch, wer diesen Aspekt sinnvoll zu Ende diskutieren will, muss letztendlich auch über den Beamtenstatus diskutieren, aber das wäre dann vielleicht mal ein schönes Thema für eine andere Blogparade.

  7. Gerade dem Satz „Gebt mir Freiheit“ möchte ich voll zustimmen. Und ich hoffe, dass die Arbeitszeiterfassung nicht etabliert wird. (Mal abgesehen davon, dass ich mir gar nicht vorstellen könnte, wie das vonstatten gehen könnte. Die Probleme dabei werden ja in den vorangehenden Kommentaren schon sehr deutlich.)

    Meine Gedanken dazu habe ich vorhin ins FediLZ gepostet, hier der Link zum Blogpost: https://fengler.schule/?p=75

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