(Forsetzung von Teil 1 und Teil 2)
Nachdem ein Ersatz für Tobias gefunden war, schien endlich alles gut zu werden.
Dortmund hatte am Abend den HSV in einer Gala zerlegt und die Medien überschlugen sich mit Lobhudeleien. Die Bundesliga ging endlich wieder los und damit schien das Leben wieder einen Sinn zu haben.
Wir sahen auf unserem Weg zur Kirche überall begeisterte Stuttgart-Fans in Trikot und mit Schals und Fahnen.
Tatsächlich wurden es immer mehr Fans, je näher wir der Kirche kamen. Viel mehr.
Viel, viel mehr.
Denn nach vielen Jahren zähen Ringens hatte der VFB Stuttgart aus dem Gottlieb-Daimler-Stadion die Mercedes-Benz-Arena gemacht. Und das wurde gefeiert. Groß gefeiert. Mit einem Zug durch die Stadt und vielen fröhlichen Fans. Und los ging es… genau! Direkt vor der kleinen schnuckligen Kirche, wo unsere Freunde heiraten wollten.
Das war irre skurril und ein bisschen lustig. Gefühlt eine Milliarde Stuttgart-Fans kamen aus ihren erbärmlichen Löchern (meine Frau sagt, ich soll auch die Anhänger von anderen Vereinen respektvoll behandeln… pff) ihren Hobbithöhlen Häusele und freuten sich auf das Heimspiel. Hier würde definitiv kein Bräutigam mehr auftauchen. Und keine Braut. Und überhaupt kein Gast. Himmel, dachte ich, wir haben das Schaf ganz umsonst gefoltert!
Ich erwog kurz, mein BVB-Trikot anzuziehen, den Stuttgartern meinen blanken Hintern zu zeigen, wegzurennen und so den Weg freizumachen. Aber… So richtig ausgeklügelt war dieser Plan nicht.
Aber wie immer meistens manchmal in Sachen Ehe, lösen sich Probleme ganz von alleine, wenn man sich nur schlafen legt lange genug wartet. Denn plötzlich zogen die Stuttgarter auch schon los und machen den Weg frei für das Brautpaar und auch die Gäste. Die Trauung konnte nun endlich losgehen. Und mit ihr auch der Auftritt des kleinen Schäfchens.
Während ihrer Predigt erzählte meine Frau davon, dass sie dem neuen Ehepaar etwas aus ihrer eigenen Ehe mit mir erzählen wolle. Es sei ja so, wenn man ein gemeinsames Leben begönne, dann starte man nicht bei Null, sondern jeder brächte so seine Sachen, Erfahrungen, Geschichten mit in die gemeinsame Zukunft.
Sie wolle sich entschuldigen, weil das, was jetzt käme kein schöner Anblick sei – aber es wäre ein anschauliches Beispiel.
Meine Frau berichtete, dass sie – als wir vor vielen Jahren unseren Hausstand zusammenlegten – alles Schöne, alles Wertvolle und Wichtige mit in die Ehe brachte, wohingegen ich nur einen Berg Wäsche und ein Kuscheltier mitgebracht hätte.
Tobias.
Ein angeheitertes Gemurmel ging durch die Reihen. Gespielt angewidert präsentierte meine Frau das arme, zerrupfte Schaf, steckte den Finger durchs Ohr und lies es kreisen.
Sie habe lernen müssen, berichtete meine Frau weiter, dass ich dieses Tier mochte – auch wenn sie es nicht verstehen konnte. Es hatte ein schiefes Gesicht und ein Loch im Ohr. Es stank und war schmutzig und der Rücken war aufgerissen und ein Bein fehlte. (Das sie dem armen Schaf das angetan hatte, erzählte sie natürlich nicht…)
Es war platt geliebt. Abgenutzt vor lauter Liebe.
Nicht nur in eine Ehe startet man mit seinen Geschichten, nicht war? Mit Löchern und Schmutz. Mit Narben und Rissen.
Wir selbst sind oft ein bisschen verlottert. Wir haben Dinge nicht unter Kontrolle. Wir sind ätzend, wenn wir nett sein sollten. Wir täuschen, wenn wir eigentlich die Wahrheit sagen wollen. Sachen, über die wir lieber nicht sprechen wollen. Wie viele meiner Freunde haben solche Brüche? Wie viele Eltern?
Verhaltensweisen, die ich nicht verstehe. Ansichten, die ich nicht teile.
Aber die Liebe zu einem Kuscheltier macht es erst wertvoll, nicht wahr? Und die Liebe zueinander, die Beziehungen machen uns wertvoll. Die Löcher und Risse, Narben und Schmutz sind dann einfach nicht mehr wichtig.
Ein schönes Bild für den Beginn einer Ehe. Und, wie ich finde, auch ein schönes Bild für meinen Schulalltag. Wie oft seufzen wir tief, wenn Schüler/Kollegen dieses oder jenes so und nicht anders machen. Wie oft sind wir genervt von Eigenarten und Marotten?
Wann immer mich ein Schüler zukünftig nervt, will ich an dieses arme Schäfchen denken. Und daran, dass auch ich ganz schön zerlumpt bin.
Am besten gefällt mir das fast geopferte und dann doch noch gerettete Schäfi.