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Unterschriftenaktion in einer Diktatur.

Neulich fand in meiner Klasse eine Unterschriftenaktion statt. Einige Schüler wollten die Lateinlehrerin1 Frau Nürnberger abwählen und sammelten dazu Unterschriften. Und als sei das nicht lustig genug, baten die unbedarften Schüler gleichsam einige Kollegen, doch auch zu unterschreiben…

Ich fand diese Aktion zunächst einmal sehr amüsant. Und zum Glück kann auch Frau Nürnberger darüber lachen. Besonders komisch ist das, wenn man weiß, dass Frau Nürnberger mit der Klasse einige Texte über die Grundzüge der Demokratie gelesen hat – quasi als Dank dafür wird sie nun demokratisch abgewählt.

Im zweiten Anlauf ist die Sache natürlich nicht okay. Und das musste ich meiner Klasse auch deutlich spiegeln. Doch ich kam gar nicht dazu. Bevor ich mich empörte, winkte Charlotte2 aus der ersten Reihe ab. “Wir wissen schon, was Sie jetzt wieder sagen: Wir sind hier in einer Diktatur und Sie sind unser gemeiner Herrscher.”

Und also hob der HERR wohlwollend seine Hand über seine Schützlinge Durchaus eine provokante Herangehensweise. Ich unterhalte mich häufiger mit Kollegen, die eine flache Hierarchie bevorzugen. Der Klassenrat hat bei ihnen meist eine wichtige Rolle. Viele Regeln werden gemeinsam erarbeitet.

Bei mir eher nicht. Zwar nutze auch ich den Klassenrat um Probleme anzusprechen, letzten Endes aber bin ich sehr autoritär bestimmend. Die Regeln gebietet der Menschenverstand oder gebe ich vor. Die Schüler stehen zu Beginn der Stunde auf. Wir haben keinen Ordnungsdienst, sondern jeder ist verantwortlich – klappt das nicht, bekommt die ganze Klasse Ärger. Und weil sie das weiß, klappt das auch ganz hervorragend.

imageDahinter steht vielleicht auch die Frage, ob Kinder besser mit einem klaren, vorgegebenen Regelwerk oder einem selbst Erarbeiteten klarkommen. Ich behaupte: Die Jüngeren brauchen Ersteres, die Älteren Letzteres.
Ich bestimme, dass die Klasse picobello auszusehen hat. Darüber lasse ich weder diskutieren noch debattieren. Ebenso die Umgangsformen untereinander oder die Art, wie man sich im Unterricht zu benehmen hat. Und was mir auffällt: Ich habe keine wenig Disziplinprobleme. Die Kinder kommen sehr gut damit klar, wie ich herrsche wir miteinander umgehen. Ich bin ziemlich sicher, dass sie gerne in meinen Unterricht kommen.

Etwas tragisch ist, dass ein autoritärer, ganz klarer Erziehungsstil zuweilen mit “Schwarzer Pädagogik”, also Angst und Einschüchterung, gleichgesetzt wird. Als ob man sich Rechtfertigen müsste, wenn man klare Regeln hat.

Der Grund, warum einzelne Schüler (die wirklich großartige!) Frau Nürnberger abwählen wollten war natürlich… ihre Konsequenz. Sie hat eben jenen Schülern nämlich nach mehrfachem Stören eine pädagogische Sonderaufgabe mitgegeben. Das ist anstrengend und fies und trifft natürlich zufällig immer die gleichen fünf Rabauken Engelchen. Und genauso, wie Kinder versuchen, Elternteile gegeneinander auszuspielen (“Aber der Papa hat gesagt…”), versuchen Schüler, Lehrer gegeneinander auszuspielen. Aber nicht bei mir.

 

1 Natürlich ist sie nicht wirklich Lateinlehrerin und heißt auch anders.
2 Ebenso.

7 Gedanken zu „Unterschriftenaktion in einer Diktatur.“

  1. Schön geschrieben.

    Für eine Gleichsetzung zwischen Angst und Einschüchterung, d. i. die ‚Schwarze Päd.‘ und einem notwendigen sinnvollen Regelwerk, wo die Hierarchie eben nicht immer flach sein kann, braucht man schon viel Fantasie. Sicherlich lassen sich jene Regeln aus der reinen Vernunft (hier: Menschenverstand) erklären; doch für diese Kompetenz brauchen die ‚Engelchen‘ schon noch oft Anleitung – die Jüngeren, wie die Älteren! Dafür sind wir ja am Start…

    cheers r

  2. Naja, ich finde, man sollte eine Balance dazwischen finden. Eben nicht nur bei Problemen den Klassenrat ansprechen, sondern auch die Regeln mit bestimmen lassen, sich dennoch nicht das Recht nehmen lassen, selber Regeln auf zu stellen, und durch zuziehen. Ich habe mal während meiner Zeit als Schulschlichterin gelernt, das sich besser an Regeln gehalten wird, die mit anderen erarbeitet werden, wobei man aber die Richtung vorgeben sollte.

  3. Süß! Sowas wurde bei uns ‚damals‘ (5. Klasse- 2003) auch schon im Keim erstickt 😉 … Die Versuche sterben wohl nicht aus.
    Aber was anderes: Es waren immer jene LuL, die klare Regeln und immer gleiche Grenzen haben, die den SuS allgemein am Meisten beibringen konnten, weil die SuS mit Konsequenz der LuL (auch wenn sie manchmal als unfair empfunden wird 🙂 ) auch am einfachsten lernen können, da Regeln und Grenzen feststehen und kein schwammiges, wabbeliges Etwas sind.
    Lieben Gruß!

  4. Mein Seminarlehrer Deutsch im Referendariat erklärte uns schon sehr früh, sein Unterricht sei nicht demokratisch. Aufgeklärter Absolutismus hieß seine Empfehlung, und da ist etwas dran – das praktiziere ich auch, solange ich die Verantwortung für den Lernerfolg der Klasse zu einem großen Teil trage. Schön wäre es aber, wenn mir Schüler diese Verantwortung mehr abgeben könnten und dürften.

  5. Bei uns gabs das mal andersrum: Ein (recht strenger) Lehrer sollte aus einer Klasse herausgenommen werden, die Schüler versuchten mit einer Petition und einem Sitzstreik auf der Treppe den Lehrer zu behalten. Leider erfolglos.

  6. Du bist ein ganz ganz fieser und unfairer Lehrer. Wie kannst du nur auf die Idee kommen, dass ein autoritärer oder bestimmender Stil im Unterricht sinnvoll sei? Tz tz tz.
    ^.^
    Es ist immer irgendwie besser diese Seite tief in sich zu tragen. Ich kenne viele, die es anders probieren wollen und dann nicht auf eine strengere Art zurückgreifen können.

    Das soll nicht heißen, dass es so nicht klappen kann, aber es funktioniert häufiger leider nicht.

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