Anfang August haben meine Frau und ich unseren 10. Hochzeitstag gefeiert. In Florenz. Es war großartig. Zwischen all den Touristen und Bauernfängern, katholischen Kirchen und Eisdielen saßen wir zu Füßen des Baptisteriums und ließen die vergangenen Jahre Revue passieren. All die Urlaube und kaputten Autos. Die Umzüge und kleinen und großen Katastrophen.
Und wenn wir zurückblicken, erscheint es uns wie ein Wunder, dass alles gutgegangen ist – aber nach so vielen Jahren stellt sich dann doch manchmal die Frage, ob das alles ist, nicht wahr? Morgens gemeinsam aufstehen, Kind zur Schule bringen, Job, Haushalt, Kind abholen, Zähneputzen, Schlafanzug und ab ins Bett.
Irgendwie scheint im Zentrum einer Ehe mehr die Müllentsorgung als ein romantisches Frühstück im Bett zu stehen. Und wann immer ich an Hochzeiten teilnehme (und das kommt als Pastorinnenmann häufiger vor), muss ich an diesen Kontrast denken zwischen dem frischvermählten, glücklichen Paar dort, meiner eigenen Ehe die sich oft genug ums Ausräumen der Spülmaschine dreht hier und den gescheiterten Ehen vieler Freunde auf der anderen Seite.
¨Du verlierst den Blick fürs Ganze¨, sagte meine Frau, während sie ihren Blick über die Piazza schweifen ließ. ¨Es geht nicht um die Spülmaschine, oder um die Kinder oder den Hund.¨
In diesem Moment deutete Carolina mit leuchtenden Augen auf einen Ballonverkäufer. ¨Nicht?¨, fragte ich missmutig. ¨Nein¨, erwiderte sie und schlug jenen Ton an, den sie immer dann drauf hat, wenn sie mir etwas besonders geduldig erklärt.
¨Wo und wie eine Geschichte anfängt und wo und wie eine Geschichte endet bestimmt, wovon sie handelt.¨
Sie schweigt und wartet offensichtlich darauf, dass ich applaudiere oder zustimmend nicke. Statt dessen mache ich, was alle guten Ehemänner machen, wenn ihre Frauen ihnen etwas erklären: Ich glotze sie verständnislos an.
¨Schau¨, fährt sie unbeirrt fort und deutet auf die gewaltige Kathedrale, die sich vor uns erhebt, ¨die Bibel beginnt im ersten Buch mit einem Gedicht. Es gibt einen Rhytmus, eine Melodie dort. Gott erschuf dies und Gott erschuf jenes und er sah, dass es gut war. Und Gott erschuf und erschuf und erschuf und sah, dass es gut, gut, gut war. Ein Gedicht. So beginnt die Bibel. Im zweiten Kapitel ändert sich der Ton etwas – aus einem Gedicht wird eine Erzählung. Es geht immer noch um die Erschaffung der Welt, aber es wird jetzt etwas anders erzählt. Bunter, lebendiger. Alles spielt nun in einem Garten, der beschrieben wird mit Seen und Bäumen. Gott stellt fest, dass der Mann eine Frau braucht (damit er weiß, was er seinen Kindern anziehen soll!) und es geht ganz intensiv um die Beziehung zwischen Gott und den Menschen. Ich…¨
Sie stockt und schaut mich nachdenklich an. ¨Willst du die kurze, oder die lange Fassung?¨
Natürlich ist das eine Fangfrage. Ich glaube, alle Ehefrauen stellen solche Fragen. ¨Natürlich die lange!¨, insistiere ich, als wäre schon der Gedanke, ich könnte mich mit der abgespeckten Version zufriedenstellen, zutiefst lächerlich.
Sie lächelt. (Puuh! Fettnäpfchen ausgelassen!)
¨In den ersten Versen der Bibel steht beschrieben, wie Gott seiner Schöpfung die Freiheit gibt, selbst schöpferisch tätig zu werden. Im hebräischen steht da das Wort ¨DASHA¨ (דָּשָׁא), das übersetzt soviel wie ¨sprießen¨ bedeutet. Gott erschafft also nicht nur einen Baum, sondern ergibt dem Baum die Fähigkeit, selbst… Du verstehst schon. Lebendiges Leben. Wachstum. Entwicklung. Das nächste Mal, wenn du also mit deiner furchtbaren Heckenschere unseren Garten zerstörst…¨ ¨…brülle ich laut DASHA¨, unterbreche ich sie grinsend.
¨Der Garten Eden ist also nicht statisch.. nicht in ¨Perfektion eingefroren“. Sondern im Wandel, im Wachstum begriffen. Dort ist das Morgen nicht wie Heute.
Und trotzdem eine großartige, friedliche Welt. Das hebräische Wort dafür ist Shalom. Gott segnete sie. Und in diesem Segnen steckt ganz viel, Entscheidendes, drin – denn an dieser Stelle sind Seele und Geist vereint. Es gab keinen anderen Ort, an dem Gott ist – keinen Raum für Alltägliches und Raum für Religiöses. Das war alles eins. Man könnte es auch so sagen: Himmel und Erde waren der gleiche Ort.
Ein großartiger Anfang, also – wie unsere Ehe. Mit viel Freude und Hoffnung gestartet. Eine harmonische Beziehung. Wann immer du in deinem Beruf voller Enthusiasmus und Leidenschaft bist und denkst, ‚wow! deswegen bin ich hier!‘ – dieses Lebensgefühl findest du am Anfang der Bibel und – hoffentlich – auch am Anfang unserer Ehe.¨
¨Hach¨, ich seufze theatralisch, doch sie ignoriert mich. ¨Aber dann wird’s ganz schnell schlimmer¨, versuche ich schnell abzulenken.
¨Das ignorieren wir. Wir schauen erst aufs Ende.¨
¨Unserer Ehe?¨
¨Ja¨. Mehr sagt sie nicht. Nur ¨Ja¨. Während ich noch nach Luft schnappe, setzt sie fort.
¨Also.. Genesis 1 und 2.. dort beginnt die Geschichte. Nun zum Ende: In den letzten zwei Kapiteln der Bibel lesen wir, dass eine neue Stadt gebaut wird mit Flüssen und einem Baum in der Mitte, und dass die Menschen und Gott in Frieden miteinander leben. Einmal mehr.. Heilung, Miteinander, Frieden – ein Ort, an dem es keine Trennung zwischen Alltag und Feiertag gibt. Nun.. das ist etwas überraschend, oder? Die Geschichte beginnt hier – und sie endet auch hier.¨
¨Hach…¨, wieder seufze ich übertrieben.
¨Aber natürlich ist es nicht immer so. In Genesis 3 geht der Ärger los – Adam und Eva wenden sich von Gott ab, sie verletzen die Beziehung zu Gott. …und wenn du dich erinnerst, hatten wir kurz nach der Hochzeit unseren ersten Ärger, nicht wahr?¨
Schuldbewußt blicke ich zu Boden.
¨Der entscheidende Punkt ist aber: Auch wenn wir Christen das manchmal vergessen: Die Bibel beginnt nicht mit Genesis 3. Und unsere Ehe hat nicht mit einem bescheuerten Streit über dein Premiere-Abo angefangen. Hier geht es nicht um das Ausräumen der Spülmaschine, die Kindererziehung oder das Bewältigen von Problemen oder das Bekämpfen der Sünde. Die Bibel ist keine Geschichte vom Kampf gegen etwas und unsere Ehe ist kein Ringen mit dem Alltag. Der Anfang der Geschichte und ihr Ende sagen ganz viel darüber aus, worum es in der Geschichte geht.
Wenn wir die Bibel mit Genesis 3 starten lassen, dann sind Menschen Sünder und wir müssen die Sünde bekämpfen. Wenn unsere Ehe mit dem ersten Wochenende begann, dann bist du ein bescheuerter Fußballfan und ich muss dir diese und weitere Unsitten austreiben. Wie werden wir das Schlechte los? Wenn es mit Genesis 3 losgeht, dann ist Jesus vor allem ein Problemlöser und es geht in der Bibel und in unserer Ehe vor allem darum, Menschen zu zeigen, was sie nicht sind: Nicht treu genug, nicht klug genug, nicht fleißig, hübsch, eloquent genug.
Es beginnt aber mit Genesis 1. Es beginnt mit unserem Hochzeitstag. Es geht um die Wiederherstellung von Shalom. Von Frieden. Von Harmonie. Es geht darum, Menschen zu sagen, was sie sind: Gottes geliebte Geschöpfe, voller Potential und Leidenschaft und Möglichkeiten.. es geht darum, dir zu sagen, dass du mein geliebter Mann bist.
Wo und wie eine Geschichte anfängt und wo und wie eine Geschichte endet bestimmt, wovon sie handelt.¨
¨Und Jesus?¨, frage ich. In der Kirche ist Jesus irgendwie immer die Antwort auf alles. ¨Er ist doch weder am Anfang, noch am Ende. Und ging es ihm nicht besonders um das ¨Kehrt um, bessert euch!¨?
Meine Frau lacht mich an, ihre Augen blitzen vergnügt und einen Moment scheint sie zu überlegen, ob sie wirklich weitererzählen soll.
¨Nun… Jesus hat genau das getan, was ich dir gesagt habe!¨
Irritiert hebe ich die Augenbrauen und sehe zu, wie Carolina den Tauben hinterher jagt. „An welcher Stelle bitte?¨
¨Nun, im Johannesevangelium zum Beispiel. Dies muss man sehr genau lesen, weil Johannes oft auf verschiedenen Ebenen schreibt. Er sagt das eine, meint aber gleichzeitig auch dies und jenes.¨
¨Das behauptest du jetzt.¨
¨Hör zu und bilde dir selbst ein Urteil. Also, als Jesus sein erstes Wunder tut – Wasser in Wein verwandeln – da sagt Johannes, dass dies das erste Zeichen sei. ¨Wein¨ war seinerzeit übrigens ein Symbol für den Segen und die Nähe Gottes – wenn Jesus also Wein erschafft, dann weiß ein jüdischer Leser sofort.. oha! Jedenfalls wirft es ja die Frage auf, ob es noch mehr ¨Zeichen¨ gibt. Und ja, die gibt es. Jesus heilt den Sohn eines Mannes und Johannes beschreibt dies als ¨zweites Zeichen¨.¨
Ich fühle mich ein wenig an Dan Browns aktuellen Roman Inferno erinnert, indem die Hauptfigur durch Florenz und eben jene Kapelle rennt, zu deren Füßen ich gerade sitze. ¨Es gibt noch mehr Zeichen?¨ frage ich ungläubig und kann im gleichen Augenblick nicht glauben, dass ich sowas Bescheuertes sage. Es scheint mir fast surreal.
¨Du kannst es nachlesen. Wir können durch das Johannesevangelium gehen und die Wunder Jesu durchzählen. Es gibt eine weitere Heilung (3), dann die Speisung der 5000 (4), es folgt Laufen auf dem Wasser – 5 – und in Kapitel 9, heilt er einen Blinden – Zeichen Nummer 6.
Alle diese Zeichen drücken aus, wie Gottes Shalom, Gottes Friede in unsere Welt dringt: Heilung, es gibt Essen und Trinken, Vertrauen. Alles Dinge, die wir schon am Anfang der Bibel gesehen haben. Mit dem 7. Zeichen wird sozusagen der Höhepunkt erreicht: Jesus erweckt Lazarus zum Leben.
Dann, in den nächsten Kapiteln gibt es keine Wunder und keine Zeichen. Jesus wandert umher, wird verraten, vor Gericht gezerrt, gekreuzigt und ermordet. Es scheint, als würde Johannes uns sagen: Hey, wenn du es jetzt noch nicht verstanden hast, dann kann ich nichts mehr tun. Mehr Wasser zu Wein wird dir nicht helfen (oder vielleicht doch?).
7 Wunder. 7 Zeichnen. Und wann immer die Zahl 7 vorkommt, war den Juden seinerzeit klar, dass es auch um die Schöpfung geht, jene 7 Tage, in denen Gott die Welt erschaffen hat. Für jeden Tag der Schöpfung gibt es ein Wunder, ein Zeichen. Für jeden Hörer des Evangeliums war klar: Hey, hier wird Genesis erzählt!
Das wird im folgenden noch klarer – denn das Evangelium endet ja nicht an dieser Stelle. Das letzte, was uns Johannes erzählt ist, dass Jesus aufersteht. Das 8. Zeichen. Und diese Auferstehung entspricht also dem ersten Tag einer neuen Woche. Eine neue Woche, eine neue Schöpfung.
Es geht nicht um den Kampf gegen Schmerz oder Leid oder Sünde oder wie man in den Himmel kommt oder was auch immer. Es geht um Heilung, Wiederherstellung, Beziehung.¨ Sie schweigt.
¨Wie eine Geschichte anfängt und endet..?¨
¨Ja, genau.¨
¨Und wie endet unsere Ehe?¨
¨Wie sie begonnen hat. Die Kinder sind aus dem Haus. Wir haben viel Zeit füreinander und manche Dinge sind wie früher.¨ Sie blitzt mich vergnügt an.
Sie sind nicht nur motivierter Lehrer aus Leidenschaft und damit völlig am richtigen Ort, Sie sind offenbar auch genauso engagiert und reflektiert, was Ihre Familie angeht, und teilen diese positive Haltung auch nach aussen. Chapeau! Das ist selten und nicht selbstverständlich. Ich wünsche Ihnen weiterhin viel Spass und Erfolg bei Ihrer Berufung!
Das tat mir jetzt gut…
Ich mag Deinen Blog – weil man nie wissen kann, was einen dieses Mal erwartet 🙂
Hast Du das Gespräch heimlich aufgenommen oder wie kannst Du das derart gelungen widergeben?
Danke 🙂
Als guter Ehemann höre ich meiner Frau natürlich besonders konzentriert zu 😉
Das hat die wahrscheinlich beste Ehefrau von allen ganz ganz toll gesagt. Ich habe selten die Beziehung zwischen Gott und der Welt/seinen Menschen so auf den Punkt gebracht gelesen. Dankeschön!
Wow ihr Beiden vielen Dank für diese schönen Worte, es ist schon viel zu lange her, dass wir Deine guten Gedanken teilen können liebe Angela!! Wir freuen uns Euch hoffentlich bald wiederzusehen!!!!
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