Immer wieder beschleichen mich Zweifel.
Bin ich als Lehrer wirklich geeignet? Als Vater? Als Ehemann? Soll ich wirklich weiter Energie in dieses Blog investieren? Lohnt sich mein ehrenamtliches Engagement eigentlich? Oder umgekehrt – ist es zu wenig?
In meinem Umfeld arbeiten Lehrer mit solch brillanten Ideen und solcher Ausstrahlung, dass ich mir oft wie ein Scharlatan vorkomme. Ich lese viele kluge Artikel von anderen Kollegen und vergleiche sie mit meinem profanen Anekdoten und denke.. Hm. Im Dezember bin ich Referent auf dem ExcitingEDU-Lehrerkonkgress mit all den wirklich, wirklich innovativen und gebildeten Leuten und frage mich ernsthaft, was ich dort zu suchen habe. Hmm.
Gestern, erster Tag nach den Ferien (!), sind einige meiner Schüler in einem leeren, neu gebauten Fahrstuhlschacht herumgeklettert. Auf den Hinweis der Aufsicht, dies zu unterlassen, entgegneten sie allen Ernstes und voll kindlicher Unschuld, ihnen hätte niemand gesagt, dass man das nicht dürfe.
Nächste Woche muss ich in meiner Funktion als Moderator zu einer Dienstbesprechung ins Schulamt. Thema: “Elektronisches Schulbuch”. Zweieinhalb Stunden lang wird ein kluger Kopf von der Universität referieren, was wir Lehrer.. hm… brauchen? können? dürfen? Ich bilde mir ein, etwas Ahnung zu haben und bin.. nunja.. vorsichtig gespannt, was mich da erwartet. Hmmm.
Vor wenigen Tagen ist mit Arne Steding einer der führenden Köpfe der Dortmunder Fanszene verstorben. An Krebs. Mit 30. Er hinterlässt Frau und Kind – und einen Blog. Ich verabscheue Krebs-Blogs und kann mich ihrer doch nicht erwehren. Ich lese sie und lerne die Menschen dahinter kennen. Leide und trauere mit. Nehme mir Konsequenzen für mein eigenes Leben vor, die ich doch nicht halte.
Vor kurzem sprach ich mit einem Bekannten über seinen Alltag. Er erzählte, dass er seine Arbeitsstelle nicht besonders mögen würde und die Müdigkeit darüber stand in sein Gesicht geschrieben.
Immer wieder beschleichen mich Zweifel.
Ich schaue auf alte Fotos von mir und rolle mit den Augen. Lese alte Blogartikel und muss mich beherrschen, sie nicht zu löschen. Ein Teil von mir hat immer das Bedürfnis, ganz neu anzufangen und alles Vergangene vergessen zu machen. Wie viele Fehler ich schon gemacht habe. Bei wie vielen Menschen ich mich entschuldigen müsste.
Wäre dieses Blog anonym, würde ich anders schreiben. Überspitzter. Zynischer. Vielleicht lustiger. Stellenweise sicher ehrlicher. Negativer.
Es würde mein Denken nicht zum Guten verändern.
Steding erzählt auf seinem Blog, dass er diesen nicht zuletzt für seinen Sohn schreibt – ihm gefiele der Gedanke, dass sein Sohn einst über den Blog seinen Papa kennenlernen könne. Nun ist er tot.
Sein Tod erinnert mich daran, dass ich mich dieser destruktiven Zweifel entziehen sollte. Oder, wie Picard es einst ausdrückte, vielleicht ist die Frage, was wir hinterlassen nicht so bedeutsam, wie die Art, wie wir gelebt haben.
Heute.
Hier.
Jetzt.
Womöglich sollte ich mit meiner Rabauken-Klasse noch mehr Unsinn machen und noch weniger über Konsequenzen nachdenken. Vielleicht sollte ich bei der kommenden Fortbildung durch gezielte Fragen die Veranstaltung stören (“Ich wohne in Rheinland-Pfalz. Darf ich mit meinem elektronischen Schulbuch in ein anderes Bundesland reisen, obwohl die Gesetze dort anders sind..!?”) und mehr heute, hier, jetzt leben. Ich sollte.. nein, ich muss einfach weiter schreiben. Wozu ich Lust habe und was mir gefällt.
Wer weiß was morgen ist.
Arne Steding wurde nur 30 Jahre alt und hinterlässt viele, viele, viele Menschen in tiefer Trauer.
Zum Kotzen.
Ich kenne diese Gedanken ganz genau. Heute im Deutschunterricht in meiner 5. Klasse, lärmende Gruppenarbeit, es war es geradezu so, als würde der teuflische Lehrer in meinem Kopf neben mir stehen und sagen: siehst du, sie lernen bei dir nichts. Nichts. Im Gegenteil, sie vergessen sogar noch alles aus der Grundschule, weil du so schlechten Unterricht machst.
Zwei Sekunden später sagt eins der Kinder zu einem anderen Kind: „Frau F. Ist so nett wie die netteste Lehrerin in der Grundschule.“ Und ein anderes Kind: „Nee,sie ist netter!“
Was ich sagen will: glaub nicht allen Stimmen in deinem Kopf. Ich kenne dich nicht, aber ich glaube, du bist ein toller Lehrer, nachdem was ich hier so lese. Gut ist gut genug 🙂
Machen Sie bitte weiter wie bisher.
Sie haben Erfolg bei den Kindern.
Sie inkludieren.
Sie haben eine Familie.
Sie bloggen interessant (die biblischen Blogs mag ich nicht so gern).
Ich freue mich auf die Hühner und denke selber über welche nach.
Die Hühner kommen. Und ich weiß auch schon, wie der Stall aussehen wird 😀
Lieber Jan,
das hängt bestimmt auch mit dieser Jahreszeit zusammen, dass die Gedanken jetzt so kreisen. Ersticke dich nicht in Selbstzweifel. Aus den vielen Artikeln kannst du davon ausgehen, dass du als Lehrer einen Riesenhit bist. Stell dein Licht nicht unter den Scheffel! Die Kinder lieben dich, und mit deinem Blog bist du ein Leuchtfeuer in der Bildungslandschaft. Ohne Blogs wie deinen hätte ich nie damit angefangen.
Zu den anderen Katastrophen im Leben kann man leider nicht viel sagen oder gar etwas dagegen machen. Viele Kapitel, die das Leben schreibt, sind einfach nicht fair. Manche haben ein erfülltes, friedliches Leben, bei anderen scheint es turbulent, wieder andere sterben in einer Zeit, in der es eigentlich erst mit dem echten Leben losgehen sollte. Vielleicht sogar noch früher. Dagegen kann man leider nichts machen. Man kann sich aber drum bemühen, aus dem, was man vor sich hat, das Beste zu machen und möglichst viel an seine Liebsten weiter zu geben. Das ist jetzt etwas klug daher gesagt. Aber es ist wahr. Auch ich lerne das derzeit. Ich persönlich hab auch ein ziemliches Scheißjahr hinter mir, wenn ich das mal so ohne Untertreibung sagen darf. Aber man muss sich berappeln. Um seiner selbst willen. Und das der anderen. Deiner Familie, deiner Freunde. Du hast eine Menge zu geben. Und das weißt du!
Lieber Herr Klinge,
eigentlich wollte ich grad nur noch meine Schultasche fertig packen für morgen, aber irgendwie muss ich ihnen jetzt einfach schreiben. Ich bin sehr überrascht über Ihre Worte. Gut, ein blog bleibt wie Sie auch beschreiben ein Stück weit an der Oberfläche des Daseins, aber ich habe Sie in den vielen Artikel, die ich gelesen habe gerade als Jemanden empfunden der lebt. Auch mit einer gewissen „Schnoddrigkeit“. Ein bisschen „Scheiss auf all die großen Didaktiker mit den vielen Ämtern und die Vordenker.“ Jemand der einfach tut wenn getan werden muss oder wenn er einfach das tun will. Ich will ein digitales Schulbuch? Dann fang ich mal an und probiers mal aus und lerne. Ja Sie würden gerne alle Fehler von der Welt tilgen. Aber die waren gut dafür wohin sie sich entwicklet haben.
Von den Leuten die gerne fehlerfrei beginnen gibt es genug auf der Welt und die dann gar nichts machen.
Und dabei wirken sie wie so ein handfester Macher und gleichzeitig sind sie schlau und verstehen die Kinder.
Für mich haben sie viel von den Yoga-Meistern (auch wenn sie nicht der Yoga Typ zu sein scheinen). Wie Yesudian sagte „Steh auf und sei frei!“. Oder wie mein Yogalehrer sagt „Getan muss es werden sonst zählt es nicht“.
Ja. es gibt immer Jemand schlaueren. Aber solange Sie Fehler machen, sind Sie noch nicht tot.
Ja, Krebs ist kacke. Ich bin zwar seit einer OP 2011 krebsfrei aber habe genügend nachhängende Probleme (bei denen ich dann gerne wieder das Bangen anfange, wenn der Körper seltsame Dinge tut) um zu wissen, was soziale Isolation ist und wie sich das anfühlt, wenn „die Gesunden mit den Kranken umgehen“. Mein Lieblingsspruch dazu (in einem der EuropaparkHotels gelesen) „Man muss dem Herrn für alles Danken, sagt der Gesunde zu dem Kranken“.
Ja, aber ehrlich, wenn ich mal wieder einen Nachmittag vor Schmerzen nicht weiss ob ich erst heulen oder mich zuerst übergeben soll freut mich der Gedanke an so viele lustige Aktionen von Ihnen mit Ihren Rabauken. Das Gefühl, da draußen gibt es Lachen, Blödsinn und echtes Leben.
Ich würd mir wünschen, dass Sie einfach genau so weiter machen wie Sie sind. Authentisch. Hören Sie auf ihr Bauchgefühl!
Liebe Grüße
Cordula
Hua… Ganz ehrlich ein tiefer Dank dafür! 🙂
Liebe Cordula,
ich bin erschüttert. Ich habe meinen Vater an Krebs verloren und weiß daher in etwa, was in Ihnen vorgehen mag.
Ich bete für Sie, dass Sie bald wieder gesund und vor allem schmerzfrei sind!
Liebe Grüße
Elena
Wenn die Zweifel nicht wären, wir wären keine Menschen. Aber Zweifel dürfen nicht unser Leben bestimmen, denn dann endet man in der Ver“zweifl“ung!
Glaub an Dich! Ich weiß, ist leichter gesagt als getan. Weiß ich leider nur zu gut!
Aber solange es Menschen gibt, denen man etwas bedeutet, solange ist das eigene Leben wertvoll! Auch Deins!
Vielen Dank – ich wollte allerdings nicht den Eindruck erwecken, in eine tiefe Depression zu fallen. :-O
Lieber Jan,
ich kann mich nur dem Gesagten anschließen. Zweifle ruhig, das verhindet Routine.
Ein Punkt, den du ansprachst, erscheint mir noch erwähnenswert. Es gibt Dinge, die tut man für den Moment. Ein Spaziergang, das Musizieren, der Apfelkuchen am Nachmittag – alles Erlebnisse, die so unmittelbar sind, dass sie uns auf unsere bloße Exitenz zurückwerfen können. Wir fühlen, dass wir leben. Und weil wir Glück haben, in Europa zu leben, ist dieses Er-Leben oft ein wahrer Segen.
Und der Augenblick vergeht.
Und dann kommen die Zweifel und mit ihnen vielleicht auch die Ängste. Dann hilft es zumindest mir nicht, einfach den Moment zu leben, dann habe ich das tiefe Bedürfnis, etwas Bleibendes zu hinterlassen. Aus den Blättern vom Spaziergang einen Kranz zu flechten, das Musikstück aufzunehmen, das Kuchenrezept an meine Tochter weiterzugeben. (In diese Kategorie gehört meines Erachtens auch das Bloggen.)
Ein ideales Wechselspiel aus Erleben und Kreieren könnte beides in Einklang bringen. Und das Pendel schlägt mal in die, mal in die andere Richtung.
Wie groß das Bedürfnis zum „Kreieren“ ist, das ist allerdings sehr unterschiedlich ausgeprägt. Ich könnte mir ein Leben ohne nicht vorstellen. Aber ich sehe genügend Beispiele, wo es scheinbar ohne geht. Um glücklich zu sein, muss also jeder seine Balance finden.
lieber Gruß von Lilo
Du hast vollkommen recht 🙂
In meinem Projektunterricht in der 11 fühle und mich nie schlau, sondern oft auch unsicher und voller Zweifel. Vielleicht besteht der Unterschied darin, dass „schlaue“ Leute nie öffentlich über Zweifel sprechen.
Im Spätsommer habe ich mit einigen neuen Mitbürgern syrischer Herkunft am Lagerfeuer gesessen. Als von Ferne ein Zug zu hören war, liefen die Kinder unter den nächsten Baum – er klang wohl wie eine Boden-Boden-Rakete.
Das Leid anderer sollte mich eigentlich oft dankbar für das eigene Leben machen, tatsächlich ist es manchmal auch eine Quelle von Zweifel an Dingen, für die der Zweifel nicht angebracht ist.
Mach weiter damit, dich nicht in dem Maße zu inszenieren, wie es vielleicht üblich ist. Du wirst in jedem 1:1 Gespräch mit jedem „schlauen“ Lehrertyp Zweifel finden.
Ich freue mich darauf, dich persönlich kennenzulernen.