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Blendet man mühevoll das aktuelle politische Tagesgeschäft aus, dann begegnet mir zur Zeit oft die Frage nach dem Einfluss schlechter Noten auf das Familienleben. Der aktuellen Umfrage eines Nachhilfeanbieters zufolge , gaben von 1000 befragten Leuten rund 41% an, dass schlechte Noten im Zeugnis für schlechte Stimmung sorgen würden.

Als Vater kann ich das sehr gut nachempfinden.
In der Schule wird mein Kind öffentlich bewertet und schlechte Noten besagen: „Du genügst nicht.“ Das fällt letzten Endes auch auf mich als Elternteil zurück: „Dein Kind genügt nicht. Du hast was falsch gemacht!“ Eine schlechte Note für mein Kind ist eine schlechte Note für mich.
Der öffentliche Druck, mithalten zu müssen ist enorm. „Ohne Abitur wirst du nix!“, heißt es unter der Hand. Zukunftsängste und Perspektivlosigkeit verschärfen den Druck innerhalb von Familien.

Max Kade, der pädagogische Leiter des auftraggebenden Nachhilfeinstitutes deutet einen Teil der Umfrage positiv:

„Die gute Nachricht ist: Mehr als die Hälfte der Eltern bewahren bei schlechten Noten die Ruhe.“

Ich bezweifle das. Tatsächlich glaube ich, dass ein nicht unbedeutender Teil der Eltern resigniert hat. Achselzuckend wird das scheinbare Versagen der eigenen Kinder zur Kenntnis genommen. „Was kann ich schon tun?“
Auf Ärger folgt Ohnmacht.

Als Lehrer betrachte ich schlechte Noten aus anderer Perspektive. Grundsätzlich bewerte ich keine Kinder, keine Eltern und keine Erziehungsstile, sondern Leistungen. Und im Regelfall fallen schlechte Noten nicht vom Himmel, sondern haben Ursachen. Die häufigsten sind

  1. Faulheit
  2. Grenzen der Kognition
  3. Belastung im Umfeld

Meiner Erfahrung nach beruhen die allermeisten schlechten Noten auf mangelnder Vorbereitung. Erklärungsversuche wie „aber zu Hause konnte ich alles“ höre ich zwar häufig, in ehrlichen Momenten bestätigen Schüler aber nur zu oft, dass sie sich wenig bis gar nicht auf den Unterricht vorbereiten. Wenn Vokabeltests schlecht ausfallen oder Schulhefte verschwinden, dann liegt das ausschließlich an mangelnder Vorbereitung, oder hässlicher: Faulheit.
Das ist nicht verwerflich und den meisten Menschen zu eigen. Sie zu überwinden ist jedoch schwieriger, als man auf den ersten Blick annimmt: Kinder sind oft wahnsinnig beschäftigt und fest davon überzeugt gerade zu lernen – während sie mit offenen Augen träumen und die Zeit verstreichen lassen. Im Klassenraum sehe ich das jeden Tag, als Erwachsene begegnet uns das auf Konferenzen und Fortbildungen, wenn wir in die leeren Gesichter der anderen Teilnehmer blicken. Weder als Lehrer, noch als Eltern haben wir an dieser Stelle großen Einfluss. Als Schüler konnte ich selbst stundenlang intensiv in Bücher starren, war ganze Nachmittage beschäftigt und habe Kapitel im Geschichtsbuch studiert, ohne, dass auch nur ein einziges Wort hängen geblieben wäre.
Hatte ich wirklich gelernt?

Bei vielen Kindern erreichen einzelne Fächer jedoch irgendwann eine Grenze, die kaum zu überwinden ist. Damit meine ich nicht die verständliche Frage aller Schüler (und Eltern) „Brauche ich das jemals in meinem Leben?“, sondern echte intellektuelle Hürden, die jeder Mensch irgendwo erreicht. Bei einigen ist das Mathematik ab der 9. Klasse, andere scheitern an den Grundvorstellungen der Physik, wieder andere (wie ich selbst) haben keinerlei Sprachgefühl (jede meiner Englischstunden war eine Qual für alle Beteiligten). Nicht alle Kinder können das Abitur erreichen. Diesen Punkt kann man viel mit Fleiß kompensieren, aber irgendwann ist Schluss. Sich einzugestehen, dass die eigenen Kinder es nicht bis zum erträumten Schulabschluss schaffen werden, führt zu Frust und zuweilen zu einem (unangebrachten) Gefühl der Minderwertigkeit.

Und zuletzt: Nicht wenige Schüler fallen im Laufe ihrer Schullaufbahn unverschuldet in ein Loch. Die Eltern lassen sich scheiden. Die Oma stirbt. Eine Krankheit wirft einen aus der Bahn. Solche Dinge. Hier ist Aufgabe des Umfeldes, besonnen zu reagieren. Lehrern bietet sich hier ein enormer Ermessensspielraum um Kindern gerecht zu werden, in der Regel wird dieser auch genutzt.

Der Umgang mit schlechten Noten führt zu Frust und Wut und ist vor allem deshalb so herausfordernd, weil die Suche nach den Ursachen ein hohes Maß an Ehrlichkeit und Selbstkritik erfordert. Hat sich meine Tochter falsch vorbereitet? Ist die Oberstufe womöglich zu schwer für meinen Sohn? Wo genau liegen die Probleme?

In den Jahren meiner Berufstätigkeit habe ich mit hunderten Kindern und ihren Eltern arbeiten dürfen. Im Laufe der Zeit hat sich für mich ein roter Faden herauskristallisiert, eine Gemeinsamkeit, die allen Kindern zu eigen ist, die erfolgreich durch die Schule laufen.

Vertrauen.

Vor einigen Jahren musste ein Rabauke aus meiner Klasse nach dem Unterricht den Klassenraum fegen. Er hatte maßgeblich zur Unordnung beigetragen und verpasste deswegen seinen Bus, kam dadurch eine Stunde später nach Hause. Am gleichen Tag hatte ich die Mutter am Telefon.

Es gibt eine bekannte Comic-Zeichnung, die zweimal die gleiche Szenerie zeigt: Eltern bekommen das Zeugnis ihres Kindes in die Hand gedrückt. Links im Bild, im Jahr 1969, verlangen sie schimpfend vom Kind eine Erklärung; rechts im Bild, im Jahr 2009, fauchen sie den Lehrer an.

In den allermeisten Schulen ist das Alltag: Eltern mischen sich in das Schulleben ihrer Kinder ein. Das ist erst mal gut so, denn es beweist, dass sie informiert werden wollen und um die Rechte ihrer Kinder wissen. Aber Eltern interessieren sich weniger für Kunst oder Englisch oder Mathematik – sondern nur für die Noten. Stimmen die nicht, wird immer häufiger der Schulleiter direkt aufgesucht. Oder das Schulamt. Oder das Kultusministerium. Gern auch mit Anwalt. Schule als Dienstleister und Lehrer als Lieferant für Noten. Sie gilt es zu überwinden.

Leider potenzieren sich die Probleme mit der Zeit: Die Kinder lernen, dass „Papa mich schon raushaut“ und wissen nicht um die Konsequenzen ihres Handelns: In Bayern ging zuletzt der Vater eines Achtklässlers gegen den zeitweiligen Unterrichtsausschluss vor, nachdem der Sohn in der Mädchentoilette die Mitschülerinnen fotografierte. Was lernt der Junge daraus?

Auch ich treffe oft genug blöde Entscheidungen. Auch mit mir sind die Eltern nicht immer zufrieden – aber die Schüler dürfen nie das Gefühl bekommen, sie könnten ihre Eltern gegen mich ausspielen.

Egal welche Ausstattung eine Schule hat, welche Probleme im Stadtteil herrschen, wie das Schülerklientel geprägt ist und ob die Lehrer offenen oder klassischen Unterricht machen – die Zusammenarbeit mit den Eltern ist die wichtigste Basis. Wo das nicht funktioniert, steht am Ende oft genug eine Katastrophe. Und umgekehrt zeigt die Erfahrung: Wo ich mit den Eltern Hand-in-Hand arbeite, bekommen wir auch die schlimmsten Hallodris am Ende auf einen ordentlichen Weg.

Die Mutter meines Rabauken hörte sich am Telefon den Sachverhalt übrigens an und sagte dann: „Herr Klinge, und wenn er sich wieder so benimmt, dann lassen Sie ihn wieder fegen!“

Inzwischen ist er auf bestem Weg zum Abitur.

8 Gedanken zu „Schlechte Noten & Familienstreit“

  1. Dieser Text trifft den Nagel auf den Kopf. Vor allem der zweite Absatz: Die Eltern projizieren die Leistungen ihrer Kinder auf sich und fühlen sich deshalb durch (schlechte) Noten angegriffen.

  2. Ebenfalls sehr richtig ist der Satz: Aber Eltern interessieren sich weniger für Kunst oder Englisch oder Mathematik – sondern nur für die Noten. Kurzfristig gesehen, ist das sehr menschlich, langfristig gesehen traurig.

    lg Lilo

  3. Pingback: KW 7 (2017) // 50plusX | perlen und geperle

  4. Schlechte Noten, ach in der Realschule damals war das bei mir Gang und Gebe, erst in der 10. Klasse hat sich das geändert, da ich unbedingt aufs Gymnasium wollte. Und zack war die Motivation da. Ich hatte vorher nie gelernt, wie man lernt. Klingt ulkig, aber es war eine sehr wichtige Erfahrung, die mir auch noch beim Studium geholfen hat.

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