In ihrem aktuellen Artikel beschreibt Kollegin Henner, wie ihre Tochter im Physikunterricht leidet. Sie schreibt, dass ihre Tochter unter der schlechten Laune des Physiklehrers [ML] und auch den Erklärungen leidet.
Leider sind die Erklärungen nicht sonderlich verständlich, weil ML Fachbegriffe benutzt, die den Schülern nicht klar sind.
Obwohl Frau Henner eher nicht mich anspricht (hoffentlich!), fühle ich mich seltsam mitschuldig.
Ich glaube, ich bin als Mathematiklehrer ganz okay. Die Stimmung ist gut (mittlerweile auch in meiner neuen 9) und die Ergebnisse der Zentralen Abschussprüfungen sind zufriedenstellend. Das Fach läuft.
Auch als Techniklehrer würde ich mich als solide einstufen: Mein letzter Jahrgang hat den Übergang in den Beruf gut geschafft und sich im Nachhinein positiv über Lernatmosphäre und Unterrichtsinhalte geäußert. Elektrotechnik und Bautechnik sind als intensive Highlights auch nach Jahren hängen geblieben.
Aber Physik.
Die aller- aller- allerwenigsten Schüler werden mich rückblickend als tollen Physiklehrer betrachten.
Und, ja, das ärgert mich.
Ich bin mit meinem eigenen Unterricht unzufrieden, kann aber die Ursache nicht erkennen.
In den wenigen Wochen dieses Schuljahres habe ich bereits den Bären vom Dach geworfen. Wir sind über den Schulhof gesprinted und haben überprüft, ob “Kevin – Allein zu Haus” auf der Erde oder auf dem Mond gedreht wurde. Wir haben rohe Eier durch den Klassenraum geworfen und sie spektakulär zerschlagen. Außerdem mit elektrischen Schaltungen experimentiert und lange und ausführlich anschauliche Analogien zu Stromstärke und Spannung gesucht. Wir haben versucht, Strom in einem Kabel “zu fangen” und werden nächste Woche den typischen Badewannen-Fön-Unfall nachstellen und ein Würstchen an die Steckdose anschließen um zu schauen, was – analog – im Fall eines Stromunfalls mit dem menschlichen Körper passiert.
Und trotzdem bleibt Physik für viele Kinder das langweiligste, unangenehmste, ödeste und abstrakteste Fach überhaupt. Es gibt in paar Interessierte (meist Jungen) und eine große Mehrheit, die jede Stunde in stiller Demut erträgt. Ich sehe es in ihren Gesichtern, höre es an ihren Aussagen und bemerke die geringe Beteiligung.
Ich weiß nicht, ob Frau Henners Tochter etwas grundlegend anderes erzählen würde, wenn sie statt bei Herrn “Miese Laune” von mir unterrichtet würde.
Das ärgert mich. Meine eigene Hilfslosigkeit ärgert mich.
Seit Beginn des Schuljahres habe ich es geschafft, auf meiner Suche nach gutem Unterricht in jeder Woche mindestens einmal bei ganz unterschiedlichen Kollegen meiner Schule zu hospitieren. Von Deutsch über Religion und Fremdsprachen bis hin zu Erdkunde… die ganze Bandbreite einmal hoch und runter. Mehr als einmal habe ich hinten in der letzten Reihe gestaunt. Über Gesprächsführung, Methodenwechsel, Humor und Menschenkenntnis. Ich lerne unentwegt dazu und stelle von Woche zu Woche mehr fest, was ich alles nicht kann.
Wie gerne hätte ich noch einmal die Zeit des Referendariats. Wie gerne würde ich als Physik-Referendar nochmal hospitieren. Lernen. Es muss doch möglich sein, dieses wunderbare Fach so zu unterrichten, dass am Ende nicht nur fünf Leute begeistert sind.
Über Hinweise, Erfahrungsberichte und Empfehlungen würde ich mich freuen.
So wie Hauptschulblues das mitverfolgt, sind Sie ein großartiger Physiklehrer. Den hätte er sich – zwar eher sprachlich orientiert – damals gewünscht.
Das Problem, das ich aus meinem Unterricht immer wieder mit nach Hause nehme ist, aus der „Show“ auch Inhalte zu machen. Je spektakulärer der Unterricht wird, desto mehr erinnern sich die Schüler, desto mehr Spaß haben sie und desto weniger nehmen sie am Ende daraus mit. Sie können sich an viele Stunden erinnern und die Phänomene wiederholen. Was ihnen aber am Ende fehlt, ist substanzielles Wissen, auf das das Fach später leider aufbaut. Ich halte die Stärke des Faches, nämlich die wahrscheinlich optisch besten Unterrichtsstunden in der Schullaufbahn zu produzieren, auch für seine größte Schwäche.
In Mathematik ist es witzigerweise umgekehrt: Ich mache meiner Meinung nach furchtbar langweiligen Unterricht, der sich am Ende darauf konzentriert, die Aktivität der Schüler hochzuhalten. Nur selten spannende Aufgaben, ganz wenig experimentelle Methoden, dafür viel Rechenzeit. Und die Schüler mögen das und finden es gut. Wenn ich Fünftklässler (!) frage, finden sie den Mathematikunterricht häufig sogar interessanter als Physik.
Ich bin aus allen Wolken gefallen als ich das gehört habe und habe meine Schüler gefragt, woran das liegt. Die Essenz aus den Antworten war, dass die Schüler das Gefühl hatten, in Mathematik mehr zu lernen. In einem Fach, das zu Hause bei Oma, Opa und Eltern eine gewisse Wertschätzung besitzt, viel zu verstehen, viel mitzunehmen, stand bei den Kindern ganz hoch im Kurs. Ich glaube, da kann Physik nur schwer mithalten.
In Mathematik ist niemand überrascht, wenn es am Ende auf Rechnungen und Theorie hinausläuft. Je spektakulärer jedoch mein Physik-Unterricht ist, desto irritierter scheinen die Schüler manchmal zu sein, wenn ich nach dem Experiment den Schwerpunkt gerne auf die Auswertung legen will, anstatt das Kuscheltier nochmal vom Schuldach zu schmeißen. Vielleicht mache ich es mir mit meiner Begründung auch zu einfach, aber ich sehe einige Gründe schlicht auch in der Natur des Faches.
Es gibt nur eine Sache, die ich mitlerweile nicht komplett bestätigen kann: Die guten Physiker sind nicht mehr zwangsweise Jungen. Zumindest auch am Ende der Sekundarstufe 1 und in der Einführungsphase sind die Mädchen gleich auf. Im Leistungskurs gibt es noch einen großen Unterschied dahingehend, dass viel mehr Jungen im Kurs sitzen, in der Einführungsphase ist dies aber zum Glück schon nicht mehr der Fall. Hier haben in einigen Kursen die Mädchen sogar schon die Oberhand.
Danke!
Für die These „es liegt an der Natur des Faches“ spricht, dass sich Chemie einer ähnlichen Beliebtheit erfreut. :-/
Tröste dich, es ist auch in anderen Fächern so – selbst bei lange nicht so spektakulärem Unterricht
Finde ich toll, dass Sie sich auf diese Suche begeben. Viel kann ich nicht beisteuern. Meine Kinder hassen Physik. Ich hatte von der 7. Klasse bis zur 10. das Hauptfach Physik und ich habe jede Sekunde geliebt und wollte Physikerin werden. Auch meine weniger begabten Freundinnen mochten den Unterricht ohne Teddybären und Eier (keine Kritik war damals nicht üblich vor 35 Jahren). Und sorry Hr Bürkle aus dem kleinen Ort B. Nahe Stuttgart ( unser Physiklehrer) falls Sie hier lesen: aber wir lieben Sie alle noch heiss und innig wie damals.
Ich liebe Physik immer noch ( und Hr Bürkle) und bin als Dipl.math sehr sehr stark in Mathe und so kam ich auf die Idee letztes Jahr Physik zu studieren. Und hab gelitten ( deshalb erzähle ich es). Und ich will mal behaupten ich kann die Gründe als erfahrene Lehrerin analysieren und an meiner Begabung lag es nicht.
Als Mathematikerin hing ich gefühlte 80 % der Zeit unter der Decke und hatte Verlangen auf irgenwen körperliche Gewalt auszuüben:
Unklare Definitionen, nicht erklärte Begriffe. Ich erkläre es mal an erfundenen Begriffen. Da nimmt man einen kleinen Buchstaben sagen wir mal b. Der taucht dann irgendwo in einer Formel auf und man schreibt weder in Vorlesung noch Übung dass b die radiale mittlere hausmannsche beschleunigung ist. Schreibt man über das b eine wellensymbol so bedeutet es stattdessen nun die wurzel aus dessen skalarprodukt. All das schreibt man nirgendwo. Und taucht irgendwo ein buchstabe Kappa der bedeutet dann die francois-eggelhöf-konstante mit der Einheit sekunde durch kubikcentimete mal celsius. Das steht aber nirgendwo und ist auch in büchern und im internet schwer zu finden weil manchmal nennt man sie auch w oder q oder ein p mit index 7.
Um zu üben wie man einheiten in formelumstellungen mitumstellt wird das beispiel einer wahrscheinlichkeitsverteilung von dem auftreten eines Elements in einem Gasgemisch benutzt. Es brauchte zwei Stunden bis ich genügend Quellen evaluiert hatte um zu erfahren wie verschiedenste Teile der Formel wohl definiert sind und welche Einheiten die wohl haben mögen. Und ich bin froh zu wissen was eine wahrscheinlichkeitsverteilung so ganz allgemein ist, weil ich das regelmässig unterrichte. Aber in der Literatur finde ich keine einheitlichen Definition dieser speziellen verteilung. In der Vorlesung zwei semester höher gibt es die formel mit einem druckfehler im skript und warum kann man wie in der mathematik üblich nicht einfach hinschreiben was die Buchstaben bedeuten, wenn sie nicht einheitlich eingeführt sind?
So und ich will jetzt mal nicht über die physiklehrer meiner söhne schreiben, aber so wie sich Frau Henner liest sind die Probleme in der Klasse ihrer Tochter ähnlich gelagert. Klar ein Teil liegt oft daran, dass der Matheunterricht so simplifiziert wurde, dass Techniken fehlen. Aber im Großen Ganzen fehlt Struktur, Klarheit, Genauigkeit, Aufschriebe und gute Beispiele. Die Physiklehrer meiner Söhne hätte Hr Bürkle wohl erst mal eine klare schwäbische Ansprache gehalten und sie dann den gesamten Untericht nochmal und nochmal vorbereiten lassen.
Ich hab auch schon viel Geld verdient an schülern von Leuten die im Physikerstil Mathe unterrichten. Das gibt es auch. Aber in Mathe gibts immerhin immer den Lambacher Schweizer als Rettung für Jeden zur Not in der Stadtbibliothek.
Ich hab das physikstudium aufgegeben. Soviel zeit das alles immer zu recherchieren hatte ich nicht. Und Schüler geben normalerweise früher auf. Auch der Tochter von Frau Henner wird sich irgendwann die Frage stellen ob man immer daheim den Aufwand machen will. Ja man kann es alles rausfinden auch ohne Unterstützung des Lehrers. Aber will man langfristig die zeit investieten?
…noch dazu in ein (gefühlt unwichtiges) Nebenfach. Hm, hm. :-/
„Es muss doch möglich sein, dieses wunderbare Fach so zu unterrichten, dass am Ende nicht nur fünf Leute begeistert sind.“
Das glaube ich, ganz ehrlich gesagt nicht. Also zumindest, wenn das Fach auf dem vorgesehenen Niveau unterrichtet werden soll. Physik ist eben etwas sehr spezielles, das es einem leicht macht seine Relevanz für das weitere Leben abzustreiten. Besonders wenn man kein besonderes Interesse daran hat. Bedenkt man dann noch, dass man sich häufig wirklich anstrengen muss und so etwas wie mathematische Intuition benötigt um Physik zu durchdringen und zu verstehen, ist es eigentlich nur logisch, dass sich viele Schüler nur durch die Physik hindurch quälen.
Aber auch „Quälerei“ ist wichtig für die Entwicklung, denke ich. Nichts hat mich besser auf die furchtbar wichtigen (haha!) Besprechungen mit meinem Chef oder dem Sicherheitsbeauftragten vorbereitet als die nicht enden wollenden Ethik- und Politik-Stunden in meiner Schulzeit. Dort habe ich gelernt auch bei absolutem Desinteresse irgendwie weiter zuzuhören und gelegentlich ein „ich folge Ihnen noch“-Lebenszeichen von mir zu geben um die Mitarbeits-Noten auf akzeptablem Niveau zu halten.
Aber, um auf meinen ersten Satz zurück zu kommen, wirkliches Interesse oder Begeisterung konnten selbst die guten Geisteswissenschaftler bei mir nie wecken. Ich habe in diesen Fächern nie versagt oder schlechte Leistungen gebracht, aber regelmäßig die Rückmeldung bekommen, dass es so wirkt, als ob ich mich nur aus Mitleid mit der Lehrkraft gelegentlich am Unterrichtsgeschehen beteilige.
Auf die Frage was mich denn stören würde konnte ich damals auch nur mit „Das Fach bzw. das Thema“ antworten.
Warum sollte es denn anderen Schülern mit Physik nicht genau so gehen?
Hehe!
Danke für das ehrliche Feedback. Ich schätze, „Mitleid“ ist genau das, was ich in den Augen einiger Schüler sehe. Ach, Herr Klinge, Sie halten das wirklich (wirklich?) für spannend, was Sie da erzählen?“ 😉
Jetzt muss ich, nun schon mehrfach hier genannt, doch in einigem widersprechen. Klar meinte ich dich nicht, Jan. ML würde niemals Teddybären vom Schuldach schmeißen! Aber er erklärt den Schülern nicht mal, was die Phänomene seiner selbstausgeführten, an angestaubten Geräten vollbrachten Experimente eigentlich für das Leben bedeuten. Und hier will ich zuerst Andreas zustimmen. Physik braucht das anschauliche Ereignis – aber lasst bitte auch mal die Schüler ran! – und dann braucht es den theoretischen Überbau, um genauer zu verstehen (Und hier merkt man ganz deutlich, was im Mathematikunterricht verpasst wurde, denn die Schüler in Lucys Klasse können einfach nichts ausrechnen, weil sie nicht wissen, was sie tun.) UND DANN braucht es wieder die Rückbindung an andere, aber ähnlich gelagerte Phänomene, die die Schüler jetzt selbst erklären können. Und da will ich Lara widersprechen: es begeistert junge Mneschen, wenn sie die Welt plötzlich besser verstehen – auch wenn es nicht alle zugeben und man auch nicht JEDEN Schüler kriegt – aber ein AHA-Erlebnis macht Spaß. Lucy weiß jetzt mehr über Blitz und Donner, kann die Stille bei Schnee erklären und weiß auf einmal, warum im Jugendkeller Eierkartons an der Wand kleben. Lucy findet das cool – das Wissen, nicht die Eierkartons. Nur leider kommt das alles nicht im Physikunterricht vor. Da findet nur der losgelöste theoretische Mittelteil statt. Und da stimme ich euch allen zu: damit erreicht man nur ein paar wenige Pubertiere. Denn das Pubertier versteht nicht, was das da vorne mit ihm zu tun hat.
Dir Jan, kann ich keinen Tipp geben, das wäre vermessen. Dass du dich allerdings immer wieder hinterfragst, rechne ich dir hoch an. So schlecht, wie du dich eben als Physiklehrer dargestellt hast, bist du sicher nicht! Aber dass du noch besser werden willst, ist stark!
liebe Grüße von LILO
Ich denke, es liegt am Fach. Ich stamme aus einer Physikerfamilie, besitze aber ein Abstraktionsvermögen, das klar definierte Grenzen hat. Und bei physikalischen Phänomenen merke ich immer wieder: das kann so hübsch vorgeführt werden wie es mag, ich verstehe die Basis einfach nicht. Gerade verzweifle ich mit Kind1 beim Thema Elektromagnetismus. Fakt ist: ich weiß aus Anschauung, wie Magnete funktionieren, ich kann mit Stromkreisen umgehen, aber was genau eigentlich Elektrizität ist oder Magnetismus – da habe ich keine Vorstellung von. Letztlich bleibt dann stupides Auswendiglernen von recht komplexen Vorgängen (ähnlich wie in Biochemie…)
Ich merke bei den Physikern in meiner Familie, dass sie entweder ein Bild der in der Physik wirkenden Kräfte haben oder aber einfach abstrakter denken können als ich; d.h. sie können eine Hypothese oder ein Modell nutzen um mit deren/dessen Hilfe weiter zu denken, ich kann das nicht. Folgerichtig ist aus meinem (ohnehin erbärmlichen) Physikunterricht rein gar nichts hängen geblieben…
Ich habe mich auch mit allen möglichen Experimenten abgemüht, den Alltagsbezug hergestellt, um Elektrizität am Beispiel des Herzschrittmachers, des Herzens, des Defibrillators erarbeiten lassen. Nada, keine Begeisterung, nichts ist wirklich hängen geblieben. Das Gleiche auch bei Klassischer; Gastheorie – gelangweilte Gesichter.
Aus Verlegenheit – bzw. weil ich etwas konkretes machen wollte – habe ich ein Arbeitsblatt mit 20 Aufgaben zum Rechnen verteilt. Siehe das 135 Minuten hat die Klasse gerechnet, diskutiert, gefragt. Mache mussten – obwohl wir hier von der Klasse vor der Matur (so heisst das Abitur hier und er Schweiz) reden – üben, wie man U=R * I nach I auflöst.
Die meisten hatten Erfolgserlebnisse und konnten etwas konkret machen und üben. Sie entwickelten langsam eine Zugang zu den abstrakten Konzepten der Physik. Ein ähnliches Erlebnis hatte ich in Chemie – die grösste Konzentration gibt es, wenn die Schülerinnen Arbeitsblätter bearbeiten müssen. Gleichgewichte berechnen, pH-Werte ausrechnen oder die Belegung von Orbitalen herausfinden scheint sie mehr anzusprechen, als als irgendwas zusammenzugiessen.
Mich hat das an das Konzept des Überlernens erinnert, das ich in meinerAusbildung kennenlernte. In meinen Fächern, Bio, Physik und Chemie am Gymnasium werde ich vermehrt auf Aufgaben lösen setzen. Ich bin gespannt.
Vielen Dank für eure Antworten. Das regt mich weiter zum grübeln an 🙂