Meine aufstrebende Gesamtschule hat sich zum Ziel gesetzt, im Bereich der Digitalisierung mit großen Schritten voran zu gehen. Das ist aufregend und spannend und gleichzeitig (für mich) zuweilen frustrierend.
Das Medienmodell SAMR
Ein recht bekanntes Modell zur Beschreibung der Integration von Lerntechnologien in den Unterricht ist das SAMR-Modell. Dabei werden (vereinfacht gesagt) vier Niveaustufen unterschieden:
- Ersetzung (der Beamer ersetzt das Tafelbild)
- Erweiterung (auf dem Beamer können wir Animationen und sich verändernde Schaubilder zeigen)
- Änderung (gleichzeitiges, gemeinsames Arbeiten an Dokumenten verändert den Unterricht)
- Neubelegung (völlige Neugestaltung des Unterrichts; skypen mit Klassen aus dem Ausland, Nutzen des Handys als Messinstrument)
Je nachdem, wohin man schaut, findet man diese unterschiedlichen Niveaustufen vor.
Die „Digitalisierung von unten“ meiner Tochter ist Niveaustufe 1. Sie hat einfach nur ihr Heft durch ein Tablet ersetzt. Der Unterricht ist davon in keiner Weise betroffen. Manchmal setze ich ein Quiz ein (bspw. Kahoot), um ein Thema abzuschließen und die Kinder spielen an ihren Handys gegeneinander – hier findet sich Niveau 2.
Wenn in meiner 7 im Fach Physik gemeinsam an Dokumenten gearbeitet wird, Präsentationen im Unterricht oder von zu Hause bearbeitet und verbessert werden, dann ist das im SAMR-Modell Niveau 3. Das skypen mit einer Klasse aus Ecuador war tendenziell Niveau 4 (weil ohne den Einsatz von Technologie nicht zu denken). In meinem eigenen Unterricht springe ich wie wild hin und her, befinde mich aber meistens auf den Niveaustufen 1 und 2.
Digitalisierung auf Twitter
Öffne ich Twitter, dann bewege ich mich in einer anderen Welt. Dort sind Lehrer zu finden, in mir in ihrem Denken um Jahre voraus sind. Dort wird die App-isierung des Unterrichts beklagt und über die Qualität von Unterricht diskutiert. Dinge, die ich gerade entdecke, sind auf Twitter schon ein alter Hut und immer, wenn ich mich mit jenen Vorreitern der Digitalisierung vergleiche, wächst in mir der Druck, mein kümmerliches Blog zu schließen. Das sind Leute, die sich scheinbar nur auf den Niveaus 3 und 4 bewegen. Ich bin (und das meine ich völlig sachlich) eingeschüchtert.
Auf viele Lehrerinnen und Lehrer, die keinen Twitter-Account haben und die nicht abends noch bloggen wirkt der Begriff der Digitalisierung daher wie eine Drohkulisse. Was genau wird gefordert? Was muss ich jetzt auch noch lernen? Reicht es denn nicht, das…? Müssen wir denn auch noch diese Baustelle…?
Innerlich sitze ich zwischen den Stühlen.
Ich finde den Prozess, in dem ich stecke und an dem ich aktiv teilnehme ungemein spannend und mag ihn verbloggen. Schritt für Schritt. Ich mag gerne klein beginnen – als eine kleine Allerwelts-Gesamtschule im Aufbau die nach und nach den Prozess der Digitalisierung aktiv gestaltet. Die Möglichkeiten entdeckt und durch meine Quasselei hier den ein oder anderen inspiriert, die gleichen Schritte auch zu wagen. Andererseits schüchtert mich das #Twitterlehrerzimmer ein. Ich schreibe das so explizit , weil auch dies Teil der Thematik „Digitalisierung“ ist und dort zuweilen diskutiert wird. Den Grad zwischen Inspiration und Frust empfinde ich als schmal.
Digitalisierung in meiner Praxis
An meiner Schule hat die Stadt zumindest vor, den Internetzugang in alle Gebäude zu streuen. Im Augenblick teilen wir uns die Gebäude noch mit zwei auslaufenden Haupt- und Realschulen, was Umbau und Übersicht nicht einfacher macht. Ein nagelneues Whiteboard wartet darauf, in meinen Klassenraum gehängt zu werden und entgegen meiner eigenen Erwartungshaltung werde ich alles daran setzen, dass das kein Frontalunterrichtsmedium wird. Mit einem Kollegen starte ich endlich einen OneNote ClassNotebook-Kurs. Das kannte ich bisher nur von Erzählungen und Youtube, aber das wird sicher mega! Außerdem sehr geil: Wir sind jetzt Microsoft Showcase Schule. Das bedeutet ein bisschen Ehre für unsere kleine Standorttyp-4 Schule aber vor allem Werbung nach außen. Seht her, wir bewegen uns! Ich habe schon in den vergangenen Jahren viele Kontakte über das Microsoft Educator Program geknüpft und nicht zuletzt mein Skype-in-the-classroom-Projekt nach Ecuador realisiert. Es wird aufregend, da noch tiefer einzusteigen und unseren Schülerinnen und Schülern ein Stück weit die Welt ins Klassenzimmer zu holen – konkretes Beispiel ist die Hour of Code, die ich uuuunbedingt mal mitmachen will.
(Disclaimer: Ich weiß, dass die Kooperation von Wirtschaft und Bildung kritisch gesehen wird und ja, ich bin ein großer Verfechter unabhängiger Bildung. Ich arbeite nicht für Microsoft, erhalte auch keine Privilegien oder Vorteile. Google und Apple bieten vergleichbare Projekte an und sind auch toll.)
Ein sehr interessanter Beitrag. Dir viel Erfolg beim Projekt Digitalisierung!
Ich finde den Disclaimer allerdings befremdlich und auch wenn du keine Lebenszeit mehr darauf verschwenden willst, über das Thema zu diskutieren, solltest du gerade als Lehrer über folgendes nachdenken: Das Google und Apple vergleichbare Angebote haben, macht die Sache leider in keiner Hinsicht anders. Die großen Firmen Microsoft, Apple und Google investieren deshalb so viel Geld in den Bildungssektor, weil sie ihre eigene Agenda an Minderjährige verkaufen wollen. So wie Coca Cola immer die beste Cola bleiben wird, weil man sie schon als Kind getrunken hat, so soll man jetzt auf Microsoft, Google oder Apple imprägniert werden. Wir Lehrer werden dabei zu den Verkäufern einer „Einstiegsdroge“.
Jetzt kommt man um die Big-Player nicht herum. Aber man muss sich trotzdem bewusst sein: Wenn eine Schule Digitalisierung vorantreibt, dann hat man sich an einen dieser 3 großen Player verkauft.
Jetzt muss man das ganze nicht gleich komplett verteufeln. Wichtig ist es, sich dessen bewusst zu sein und diese Abhängigkeit kritisch zu begleiten. Zu einer Digitalisierung, die Freiheit schafft und nicht Abhängigkeit an einzelne Unternehmen schafft, ist es enorm wichtig, dass man sich im Klaren wird, welche Nachteil die Bindung an ein System hat.
Generell sollte man:
a) Wann immer möglich auf App-Stores verzichten, die einen an ein System binden.
b) Möglichst verhindern, dass Schülerdaten verkauft werden
c) Das gewählte System im Unterricht kritisch begleiten.
Für Microsoft bedeutet das konkret: Wenn man sich schon an Microsoft verkauft, dann muss man darauf hinarbeiten, dass die Schüler Alternativen zu Word, Excel und insbesondere zur Microsoft Cloud kennenlernen. Den Einsatz von OneNote (wer ist im „Besitz“ meiner Notizen?) muss man kritisch reflektieren. Wenn die Schüler am Ende der Schullaufbahn den Unterschied zwischen Tabellenkalkulation und Excel kennen, mal LibreOffice ausprobiert haben und die Bedeutung von freier Software in ihrer Schullaufbahn kennengelernt haben, dann kann man davon sprechen, dass die Digitalisierung mit (oder trotz) der Bindung an Microsoft gelungen ist.
Wenn die Schüler am Ende ihrer Schullaufbahn eine „Powerpoint-Präsentation“ (oder im Apple-Universum eine Keynote) erstellen, dann hingegen war man nicht als Lehrer, sondern als Verkäufer erfolgreich.
Volle Zustimmung.
Das kritische Betrachten ist wichtig und will ich auch gar nicht abstellen – aber ich mag keine fruchtlosen Diskussionen führen und mich rechtfertigen müssen. 🙂
Ich war ja schon sehr beeindruckt von deinen Lerntheken mit QR Code in verschiedenen Sprachen und allem, sodass meine Praktikumsschule mit ActiveBoards in jedem Klassenraum schon regelrecht pimpfig dagegen wirkte.
Hour of Code habe ich gerade gegoogelt und bin jetzt schon hellauf begeistert!
Was sie einem bei dem SAMR-Modell ja immer verschweigen, ist die Niveaustufe 0: Verschlechterung! 😉
Wenn man beispielsweise nur eine kurze Aufgabe vorn vorrechnen will, geht das am Smartboard länger als an der Tafel, wenn das erst hochgefahren werden muss.
Oder wenn man sich bei einer Recherche darauf verlässt, dass die Schüler auf jeden Fall Internet haben und das dann ausfällt (möglicherweise, weil das Schulnetz einst einfach nicht darauf eingerichtet wurde, dass mehrere 100 Leute gleichzeitig surfen).
Hehe, das stimmt 😀
Ich habe auch große Angst vor der Digitalisierung. Und das als noch recht junger Lehrer. Ich experimentiere viel, aber wenn ich neue Sachen mache, dann bin ich von Anfang an immer davon überzeugt, dass es einen Mehrwert gibt. Die häufig getroffene Annahme, dass Schüler schon von zu Hause eine gewisse Kompetenz mit Laptops, PCs oder Tablets mitbringen, ist leider nicht gegeben. Mehr als „Wischen“ geht nicht. Abspeichern schon gar nicht. Ich verwendet also gerade am Anfang sehr viel Zeit, solche Geräte überhaupt zu implementieren. Witzigerweise kann ich das nur in guten Klassen, weil der folgende Mehrwert meist die Woche fehlenden Fachunterricht nicht immer rausholen kann. Dann warte ich lieber darauf, bis es regulär in meinen Fächern an der Zeit ist.
Wenn ich dann die Geräte nutze, und das passiert dann irgendwie doch erstaunlich häufig, hat sich meine Lehrerrolle plötzlichn sehr stark verändert: Ich achte einen Großteil der Zeit darauf, dass die Schüler das mit den Geräten tun, was sie auch tun sollen. Die Versuchung, mal eben schnell etwas im Internet nachzuschlagen oder mit dem Bildschirmmalprogramm ein wenig zu spielen ist häufig zu groß. Ich kümmere mich deutlich weniger um Mathematik als ich es gerne würde.
Zu guter letzt: Ich fand das Tablet-Experiment deiner Tochter interessant. Und ich finde es gut. Und ich habe selbst sogar zwei Oberstufenschüler, die mit genau derselben Bitte zu mir kamen. Natürlich ist das okay, aber ich muss auch hier zugeben: Nach drei Doppelstunden war das Tablet direkt weg. Es wurde privat im Internet gesurft, es wurden youtube-Videos für Erklärungen geschaut anstelle vorgegebene Texte zu bearbeiten. Diagramme wurden wegrationalisiert, weil das am Tablet zu schwierig zu zeichnen war.
Vielleicht bin ich noch nicht innerlich bereit, vielleicht weicht auch alles zu sehr vom alten Bekannten ab, aber von Zeit zu Zeit werde ich skeptischer. Ich setze gerade die Tablets unserer Schule immer noch verhältnismäßig gerne ein, nehme aber auch von Mal zu Mal mehr die Nachteile wahr.
Danke! 🙂
Sehe ich ähnlich wie du. Es gibt die „just-add-internet“-These, die besagt, dass viele Menschen meinen Dinge werden automatisch besser, wenn man sie digitalisiert. Den Mehrwert sollte man immer hinterfragen (wie bei jeder anderen Methodenentscheidung auch).
Deine Angst vor Frontalunterricht am Whiteboard kann ich nicht nachvollziehen, Jan. Es gibt immer wieder Lernsituationen in denen Frontalunterricht die richtige Wahl ist und Studien belegen auch den Erfolg von (gutem) Frontalunterricht…
Zu #twitterlehrerzimmer: Genau das, was du beschreibst, hat mir den Spaß an sozialen Netzwerken vermiest. Aller erzählen wie super duper doch alles ist (bezieht sich auf alle Lebensaspekte – Reisen, Essen, Freizeit, …), aber keiner würde zugeben, dass wegen der knappen Zeit heute doch nur Bucharbeit angesagt war. Man kommt auch gut ohne twitter und co aus 😉 (sage ich als 30-Jähriger)
Gar nichts gegen Frontalunterricht, aber vielleicht lässt sich mit der Tafel ja mehr rausholen 😉
Pingback: 30.10.2018 – Spaß mit Twitter | In jawls humble opinion.
Mir geht’s bezüglich des #Twitterlehrerzimmers genauso, wie du es beschreibst. Einerseits inspiriert es mich sehr, aber oft schüchtert es mich ein.
Ich weiß manchmal nicht, wo ich anfangen soll. Würde manchmal gerne etwas machen, aber Internet funktioniert hier leidlich.
Aber ich bleibe dran…
Als Universitäts-Dozent bin ich ziemlich weit weg von der Schule, obwohl ich deren Früchte ernte, auch die faulen. Deswegen sind die Blogs und Kommentare aus der Praxis wichtig. Wir experimentieren gerade mit einer Verbesserung der Lehrerausbildung im digitalen Bereich. Das scheint mir dringend notwendig zu sein, sowohl inhaltlich als auch didaktisch.
Hier mein von Außen geschriebener Blogeintrag zu dem Thema: http://observations.rene-grothmann.de/smartphones-schulen-und-digitale-initiative/
Danke!