Ein heißes Eisen: „Wer denkt denn jetzt noch an Klassenarbeiten??“ rufen die einen, „…und die Klassenarbeiten!?“ die anderen. Ich mag dazu ein paar Gedanken niederschreiben und freue mich über Rückmeldung und Diskussion hier oder auf SocialMedia.
Geplante Schulpolitik
Zunächst: Die Entscheidung der NRW Landesregierung, die Schulen nun doch vor Weihnachten weitgehend zu schließen (oder zumindest den verpflichtenden Präsenzunterricht abzuschaffen) kommt nicht wirklich überraschend. Rechnet man die wirtschaftliche Notwendigkeit offener Schulen gegen die Infektionszahlen und den öffentlichen Druck, so ist der Zeitpunkt politisch betrachtet stimmig.
Als Schule (und Schulleitung) haben wir die vergangenen Wochen viel Arbeit im Hintergrund absolviert1. Szenarien durchgespielt und Pläne B, C und D entworfen, um sie bei Gelegenheit aus der Schublade zu ziehen. Ich schrieb bereits im November über unsere Gedanken zu sinnvollem Hybridunterricht, der uns ab Montag begegnen wird: Keine mehrstündigen Telekollegsendungen, sondern gut geplanter Unterricht.
Wider besseren Wissens Ahnens hatte ich für die kommende Woche noch zwei Klassenarbeiten angesetzt. Dabei jedoch schon vor einiger Zeit Ideen entworfen, wie so eine Arbeit aussehen könnte, wenn… Nunja.
Klassenarbeiten können auch positiv assoziiert sein
Einige Gedanken im Vorfeld: Obwohl die erste Assoziation einer Klassenarbeit bei den meisten Menschen negativ behaftet sein dürfte und meine Schülerinnen und Schüler gerade unter der angespannten Situation leiden, lassen sich Prüfungen auch unter einem anderen, viel positiveren Gesichtspunkt betrachten:
Meine Schülerinnen und Schüler haben nämlich ein großes Interesse daran, diese Prüfung zu absolvieren. Sie wollen zeigen, dass sie und was sie in den vergangenen Wochen gelernt und an Wissen angehäuft haben. Insbesondere die höheren Jahrgänge haben einen realistischen Blick auf ihre Abschlusszeugnisse und Qualifikationen; so engagiert wir im Sommer für die medizinischen Berufe im offenen Fenster geklatscht und getrommelt haben – heute kräht da kein Hahn mehr nach (Aber es ist auch kalt! Wer würde da verlangen, im Fenster zu stehen und zu applaudieren! Wäre ja wirklich Quatsch!). Und, machen wir uns nichts vor, in ein oder zwei Jahren werden die Zeugnisse dieser Schülergeneration genauso kühl betrachtet werden, wie es in den letzten dreißig Jahren üblich war.
Wie aber lässt sich eine Klassenarbeit im Fernunterricht intelligent gestalten?
Es gibt verschiedene Möglichkeiten, Prüfungen bei körperlicher Abwesenheit durchzuführen. Ich könnte, ähnlich wie bei der Patrouille im Klassenraum, die Kontrolle erhöhen:
- Alle WebCams eingeschaltet.
- Ton eingeschaltet.
- Alle Hände auf dem Tisch.
- Kameraschwenk über den Tisch.
- gleichzeitig mit dem Handy aus einer zweiten Perspektive filmen lassen.
- …
Ich muss wohl nicht weiter ausführen, was ich davon halte. Ich bin Pädagoge, Erzieher, Lehrer – und kein Gefängniswärter.
Alternativ kann ich die Aufgaben der Klassenarbeit anpassen. Ich könnte sie so gestalten, dass man sie mitsamt Unterlagen, Büchern und Internet lösen dürfte, weil ich spezielle Kompetenzen abfrage, die über ein Taschenrechnerergebnis hinausführen.
Konkretes Beispiel:
Es geht um den Strahlensatz. Im Präsenzunterricht wäre der Aufgabenteil b (die eigentliche Rechnung) von einem guten Schüler in wenigen Minuten inkl. Skizze zu lösen. Diese Lösung könnte er – theoretisch und praktisch – schnell per Whatsapp einem Mitschüler schicken. Ich habe im Grunde keine Chance, das zu verhindern.
Entscheidend ist jedoch der Aufgabenteil a).
Hier verlange ich eine Erklärung. Das ist zeitaufwändiger und lässt sich von jemandem, der keine Ahnung hat, nur schwer reproduzieren. Der Schwerpunkt der Klassenarbeit verlagert sich also vom stumpfen Anwenden eines Rechenschemas auf das Erklären und Verstehen von mathematischen Zusammenhängen und Operationen. Das lässt sich weiter ausbauen: „Kleiner Haken, großer Haken – erkläre in eigenen Worten, was das bedeutet.“ „Erfinde selbst einen Sachzusammenhang, indem der Strahlensatz benutzt werden kann.“
Mit Augenmaß Experimente wagen
Die aktuelle Situation um Hybridunterricht und Schulschließungen bietet auch die Chance, neue Wege zu gehen. Wann, wenn nicht jetzt kann man solche Formate ausprobieren. Sollte das völlig in die Hose gehen, dann kann ich diese Klassenarbeit ohne schlechtes Gewissen als misslungenes Experiment auf meine Kappe nehmen und den Schülern entstehen keine Nachteile.
Aber: Vielleicht bewähren sich neue Elemente. Vielleicht nehmen wir hier und da Impulse und Ideen auf und meine Hoffnung ist, dass die Zeit nach Corona kein „zurück zu früher“ in der Schule ist.
Und Klassenarbeiten sind ein Aspekt von vielen, die einer gründlichen Renovierung bedürfen.
1: Fußnote: Ich erhebe kein Alleinstellungsmerkmal auf Arbeit. Viele Schulen werden sich so oder so ähnlich auf den Weg gemacht haben. Dieses Blog dient immer auch als Blick durchs Schlüsselloch in die (systemische) Arbeit von Schulen und Schulleitungen.
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