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5 Merkmale guten Hybridunterrichts

Ich will gerade eine Umfrage der Schule meiner Kinder beantworten, als mir meine Älteste die Maus wegnimmt: „Papa, auf keinen Fall will ich diesen Hybridunterricht! Kreuz ’nein‘ an!“
„Wer, wenn nicht du?“
, entgegne ich irritiert, „du hast einen Tablet, kannst hier in Ruhe arbeiten…?“ Aber sie bleibt standhaft: „Acht Stunden auf dem Bildschirm anderen beim Schule-spielen zugucken? Auf! Keinen! Fall!“

5 Merkmale guten Hybridunterrichts 1Hybridunterricht verlangt nach gutem Unterricht

Immer, wenn ich Diskussionen über geteilte Klassen (oder „Hybridunterricht“) begegne, herrscht die Vorstellung, man könne einfach die Hälfte der Klasse in der Schule belehren, während der Rest daheim an der WebCam zuschauen könne. Zuletzt hatte die Wochenshow des ZDF dies in den Raum gestellt und dabei vorgerechnet, dass eine WebCam schon für 12€ zu haben sei – günstiger wäre die Digitalisierung kaum zu stemmen.

Das Problem: „Guter Hybridunterricht“ verlangt „guten Unterricht“ und nicht einfach eine achstündige Telekolleg-Sendung. So witzig sich der Spruch anhört – ich bezweifle, dass Oliver Welke von morgens bis nachmittags an seinem Handy derart gequält werden möchte.

Um geteilte Klassen sinnvoll anzudenken, halte ich es für entscheidend, zunächst über fünf Merkmale guten Unterrichts1 zu sprechen.

Klare Strukturierung

Stunden, in denen die Zeit vergeht, bis die Schülerinnen und Schüler auf das Thema stoßen, sind oft schwierig. Guter Unterricht folgt einem roten Faden, der umso deutlicher herausgestellt werden muss, wenn die Lehrkraft nicht physisch anwesend ist. Worum geht es und was soll heute geschehen?

5 Merkmale guten Hybridunterrichts 2Jede gute Stunde plant zunächst das Ziel und sucht anschließend die passende Methode aus. Und einem Ziel muss eine klare Strukturierung folgen, zuweilen an verschiedenen Phasen zu erkennen. Eine typische, naturwissenschaftliche Stunde beginnt beispielsweise mit einer Fragestellung oder einem Problem, das in der Stunde durch neue naturwissenschaftliche Erkenntnisse gelöst wird: „Ich habe im 1€-Shop zwei Stabmagnete zum Preis von einem bekommen und – Hilfe – jetzt ist einer ein richtiger Magnet und der andere nur ein angemaltes Stück Eisen. Wie kann ich die voneinander unterscheiden?“

Echte Lernzeit

Guter Unterricht lässt sich mit unterschiedlichen Methoden realisieren, ein signifikantes Kriterium ist dabei aber echte Lernzeit. In einem Philosophiekurs der Oberstufe mag Lernzeit darin bestehen, den Schülerinnen und Schülern in Form eines sokratischen Gespräches Zeit und Anstöße für neue Gedankengänge zu geben. Als Lernthekentante bedeutet echte Lernzeit für mich, den Kindern Material bereitzustellen und mich dann möglichst im Hintergrund zu halten. Von jeder sechzigminütigen Mathematikstunde können die Schülerinnen und Schüler mindestens 45 Minuten lang arbeiten, ohne von mir behelligt zu werden.

Individuelles Fördern

Alle im gleichen Schritt geht schon im normalen Unterricht nur selten gut – besonders an einer Gesamtschule. Wenn ich vorne an der Tafel den Satz des Pythagoras erkläre, dann überfordere ich ein Drittel der Klasse mit meinen Erläuterungen – und langweile ein weiteres Drittel, das den Sachverhalt schon nach fünf Minuten verstanden hat. Während ich für die verbleibenden Kinder zu begeistern versuche, werden sie vom gelangweilten Rest der Klasse abgelenkt. Guter Unterricht geht auf die verschiedenen Leistungsniveaus der Schülerinnen und Schüler ein, fördert die Schwachen und fordert die Starken.

Ein Hybridunterricht, indem einige Kinder im heimischen Kinderzimmer, andere dagegen im Klassenraum sitzen und alle für die gleichen Aufgaben die gleiche Zeit benötigen, ist Fiktion.

Methodenvielfalt

Die Vorstellung „teilt einfach die Klasse auf und ein paar schauen von zu Hause aus zu“ erfordert eine Variation der eingesetzten Methoden. Eine Doppelstunde Lehrervortrag ist schon im Präsenzunterricht unerträglich, aber da kann man zumindest mit dem Nachbarn Käsekästchen spielen. Nur, welche Methoden lassen sich im Hybridunterricht durchführen?

HybridunterrichtMeine Physiklerntheke habe ich mit halben Auge auf Quarantäneklassen entworfen: Lesetexte wechseln sich mit Experimenten ab. Hier müssen Vermutungen mit dem Nachbarn diskutiert werden, dort Skizzen erstellt. Viele der Experimente lassen sich mit dem Handy und Alltagsgegenständen realisieren. Diskussionen laufen auch in virtuellen Videokonferenzen.

Aber: In einer virtuellen Physikstunde bekämen die Schülerinnen nach einem kurzen Input vor allem einen Auftrag: Abschalten! In Ruhe arbeiten. Ohne, dass ich wie ein Imperator im Hintergrund über die Webcam überwache, wer gerade arbeitet und wer sich eine Pause gönnt. In den letzten zehn Minuten könnte man dann die ein oder andere Station gemeinsam in der Gruppe besprechen. Aber mehr geht nicht.

Vorbereitete Lernumgebung

Allen Gedanken gemein ist, dass die Schülerinnen und Schüler eine vorbereitete Lernumgebung benötigen. Tatsächlich betrachte ich meine Lerntheken nur für die Rahmenmethode, einer solchen Lernumgebung: Die Kinder können üben, forschen, experimentieren, diskutieren und spielen. Und jedes einzelne Gebiet liegt vorbereitet eine Armeslänge entfernt. Der Lernprozess soll möglichst nicht unterbrochen werden.

Fazit

Wenn wir als Lehrerinnen und Lehrer Hybridunterricht ernsthaft als Alternative vorschlagen, dann sind wir mehr als sonst gezwungen, uns Gedanken über „guten Unterricht“ zu machen. So wie wir Erwachsene in jeder Lehrerkonferenz zwischendurch wegdriften (Schule im Schaubild dazu), ist es für Kinder unmöglich, stundenlang per Video beschult zu werden.

Auch meine Tochter hat diesbezüglich klare Vorstellungen. „Die Zeit im Sommer – das war prima. Wochenpläne und Projektarbeiten die man gut bewältigen konnte. Damit kann ich sehr gut leben. Aber ich setze mich auf keinen Fall stundenlang vor den PC und schaue mir ein Klassenzimmer an!“


1: Mehr zu den 10 Merkmalen guten Unterrichts von Hilbert Meyer findet sich hier.

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