Ich brauche ein neues Auto. Und weil ich zwar vom Autokauf keine Ahnung habe, in Sachen ‚Manipulation‘ jedoch einigermaßen bewandert bin, geriet der Kauf zunächst zum Debakel.
Mit ein wenig Stolz fuhr ich in meinem Umfeld das älteste Auto. Ein kleiner, gelber Citroen C2 der in den letzten Jahren mehr Regen als Kilometer gesammelt hat und der sich seit zwei Jahren auch nicht mal mehr abschließen ließ (vermutlich in der Hoffnung, einen neuen Besitzer zu finden).
„Lässt er sich denn noch mal durch den TÜV bringen?“, habe ich in der Werkstatt meines Vertrauens anfragen lassen.
„Ich sag es mal so, Herr Klinge: Der PawPatrol Kindersitz hinten drin ist mehr wert, als das Auto drum herum.“ Es hieß also Abschied nehmen und sich nach etwas Neuem umsehen.
Von Autos habe ich keine Ahnung
Mein Gehirn filtert sehr stark, ganz besonders in Bereichen, die mich nicht interessieren. Über mein Auto weiß ich zum zum Beispiel nur, was es tankt (und selbst das prüfe ich immer auf dem Tankdeckel nach). Weil ich den Unterschied zwischen Winter- und Sommerreifen nicht erkenne, fahre ich mit Universalreifen und einen Autokauf gehe ich an, wie meine Frau ihre Computer aussucht: „Oh, das hat eine schöne Farbe, das will ich!“
Kurzum: Man kann mir jede Schrottkarre verkaufen und ich würde es nicht merken. Auch eine Probefahrt ändert daran nichts. Im Vergleich zu dem alten C2 mit zwei Zentimeter Wasserstand im Herbst böte sogar eine Pferdekutsche mehr „Freude am Fahren“.
Wovon ich aber ein wenig Ahnung habe, sind Manipulationstechniken. Als ich vor einigen Jahren mal bei einer Wahrsagerin gewesen bin, war das schon anstrengend für sie (Artikel dazu) und nun, zwischen Corona, Hybrid-Unterrichts-Debatten und Geburt meines dritten Kindes war ich eher schlechter als besser aufgelegt, mich um ein neues Auto zu kümmern.
Manipulationstechniken (nicht nur) beim Autokauf
Ich finde die Beschäftigung mit Manipulationstechniken, Psychologie der Massen und Verführung unglaublich spannend. Wie funktioniert Werbung? Warum genau will ich unbedingt ein iPad? Es gibt viele großartige Bücher dazu (z.B. „Die große Verführung“ von Robert Levine) aber am meisten gelernt habe ich in „Die Psychologie des Überzeugens“ von Robert Cialdini. Er beschreibt sechs grundlegende psychologische Prinzipien, die eigentlich dazu gedacht sind, unserem Hirn Abkürzungen zu bieten (gut für uns), die aber in Werbung und Verkaufsgesprächen missbraucht werden (schlecht für uns): Reziprozität, Knappheit, Konsistenz, soziale Bewährtheit, Sympathie und Autorität.
Der Witz ist: In meinen verschiedenen Gesprächen mit Autoverkäufern sind mir tatsächlich alle sechs Prinzipien begegnet – und weil ich mich ihrer Wirkung bewusst entzog, verliefen die Gespräche nicht so gut. Aber dazu später mehr.
Sympathie, Reziprozität und Knappheit
Als meine Frau und ich das Autohaus betraten und der Verkäufer erfuhr, dass ich Lehrer sei, war er ganz begeistert: „Ne, was? Wirklich? Meine Schwestern sind Lehrerinnen! Ist gerade in Corona-Zeiten aber wirklich schwer, oder?“
Wie wunderbar! Eine Gemeinsamkeit! Tatsächlich erschien mir mein Gegenüber mit einem Mal sympathischer. Der sogenannte Halo-Effekt bedingt, dass wir Menschen mit einer positiven Eigenschaft auch weitere positive Eigenschaften zuschreiben. Und wenn er Lehrer in der Verwandtschaft hat, kann das ja nur ein Zeichen sein! Dieser Autokauf steht unter einem guten Stern!
Bis ich ihm erklärte, ich würde der Belastung nicht mehr lange standhalten und dächte über eine Kündigung nach. „Genaugenommen hasse ich diesen Beruf!“
Ein Eisbrecher.
Der Psychologe Dennis Regan führte 1971 einen Versuch durch, in dem einige Teilnehmer von einem Dritten eine Flasche Cola im Wert von zehn Cent geschenkt bekamen. Erst anschließend bat er die Leute, ihm ein Lotterielos im Wert von 25 Cent abzukaufen. Im Durchschnitt verkaufte er Lose im Wert von 50 Cent.
Die Reziprozität besagt, dass wir Menschen uns verpflichtet fühlen, Gefälligkeiten zu erwidern. Und Gefälligkeiten erwarteten mich auch im Autohaus: „Natürlich nehme ich Ihnen den Papierkram ab, wenn Sie Ihr altes Auto loswerden wollen. Ich kümmere mich darum!“
Auch dem Prinzip der Knappheit begegneten meine Frau und ich bei unserem ersten Besuch: Der Händler erklärte uns, manchmal würden Autos morgens als Versteigerungsobjekte auf seinem Computer erscheinen – direkt angeboten vom Hersteller aus Frankreich. „Da muss man dann schnell sein, Herr Klinge!“
Erinnert sich noch jemand an das Fieber, als man bei eBay das erste Mal auf eine Ware geboten hat? Die Abwägung, wie viele Sekunden vor Schluss man welches Angebot macht. Lieber früh den Preis hoch treiben um andere abzuschrecken oder bis zur letzten Sekunde warten und einen Schnapper machen?
Weil ich gerade für die Reziprozität sehr empfänglich bin, legte mir meine Frau dezent die Hand auf den Arm (immer das Zeichen, dass ich jetzt schweigen soll), bedankte sich artig und erklärte dem Händler, sie würde den Papierkram schon selber machen. Vielen Dank. Auch den Vorschlag der Ersteigerung haben wir lachend abgetan und uns gegenseitig vor dem Verkäufer theatralisch ausgemalt, wie wir hektisch irgendwelche Gangsterfahrzeuge mit Einschusslöchern ersteigern würden.
Fand er nicht so witzig.
Konsistenz, soziale Bewährtheit und Autorität
Auch im zweiten Autohaus lief es kaum besser. Neben dem Sympathieelement („Ach was? Sie kommen aus Aachen? So ein Zufall!“) begegnete mir hier das Prinzip der Konsistenz – und das ist wirklich spannend: Sobald Menschen sich mit Worten oder Handlungen einer Sache verschreiben, streben sie unbewusst danach, sich in Übereinstimmung mit der eingenommenen Position zu verhalten.
Während des Koreakrieges wurden gefangene amerikanische Soldaten bspw. dazu gedrängt, scheinbar unverfängliche Aussagen wie z.B. „Amerika ist nicht perfekt“ zu unterschreiben. Diese Aussagen wanderten schon bald im Gefängnis umher und diskreditierten die Unterzeichner, die bald als „Verräter“ verachtet wurden. Faszinierend ist nun, dass sich die Unterzeichner nach diesem ersten Zugeständnis tatsächlich selbst als Kollaborateure wahrzunehmen begannen und bald darauf begannen, den Chinesen bereitwillig zu helfen. Sie passten sich ihrem Selbstbild so an, dass es in Einklang mit ihren vorangegangenen Handlungen stand. Konsistenz.
Im zweiten Autohaus hatten wir tatsächlich ein Fahrzeug gefunden, dass uns gut gefiel und der Verkäufer bat mich, ihm einfach klipp und klar zu sagen, ob wir das Auto haben wollten. Dann würde er es für uns – trotz Lockdown – hinten die Garage fahren und zurückhalten (wieder Reziprozität).
Und natürlich sagte ich zu. (Meine Frau war diesmal nicht dabei, um mich zurückzuhalten.)
Zwei weitere Aspekte begegneten mir, die ich aber erst im Nachhinein als Manipulation meiner selbst erkannte: Das Prinzip der sozialen Bewährtheit besagt, dass wir uns oft am Verhalten unserer Mitmenschen orientieren. Über das Auto wusste der Verkäufer natürlich viel Gutes zu berichten, wie viele andere Menschen alle glücklich damit seien und überhaupt und außerdem hätte er schon 100.000 zufrieden Käufer. Er sei also sicher auch eher windiger Hinterhof-Händler. Das führte dann auch zum letzten Punkt: Der Autorität.
Weil ich so wenig Ahnung von dem Themengebiet „Auto“ habe, ist jeder Verkäufer für mich eine Autorität. Und, obwohl ich vor Jahren einmal mit Schülern zu dem Thema experimentiert habe (eine Artikel-Empfehlung an dieser Stelle), fiel ich darauf hinein und vertraute auf alles, was er mir sagte.
Ich zog meinen Kopf nur aus der Schlinge, weil ich mich durchdrang, zumindest eine Nacht darüber zu schlafen und mit meiner Frau darüber zu sprechen.
Und die wusch mir gehörig den Kopf.
Am Ende dann doch ein Autokauf.
Gegen Manipulation von außen hilft nur Wissen, Wissen, Wissen (und verheiratet sein). Levine schreibt in seinem Buch: „Die Hauptsache bei einem Autoverkauf ist, ihn derart in die Länge zu ziehen, dass der Kunde diese Prozedur nicht noch einmal durchmachen will.“
Dafür bin ich total empfänglich. Schon bei unserem ersten Besuch war ich kurz davor, einfach irgendwas zu unterschreiben, um diese schreckliche Prozedur abzukürzen. „Nein, ich will nicht probefahren. Ich habe sowieso keine Ahnung.“
Am Ende haben wir dann doch ein Auto gekauft. Aber nicht von einem Händler, sondern privat. Eine wahnsinnig nette Familie hat ihn uns verkauft. Ihre Zukunft führt für einige Jahre ins ferne Ausland und da können sie ihren Wagen, dem sie sogar einen Namen gegeben hatten, leider nicht mitnehmen. Für deutlich weniger, als wir im Autohaus bezahlt hätten. Mit deutlich mehr Ausstattung, als wir eingeplant haben.
Und jetzt?
Jetzt sind wir in zwei Autohäusern unerwünschte Besucher und ich habe meine Freude, die Gespräche im Nachhinein zu betrachten und mich zu fragen: Wo und wie bin ich eigentlich manipuliert worden? Und, was hätte ich nur ohne meine Frau gemacht?
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