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Ein zweigliedriges Schulsystem in Siegen

Der Stadt Siegen mit seinen rund 100.000 Einwohner*innen steht in näherer Zukunft eine Wandlung der Schullandschaft bevor. Aktuell haben wir im Kreis ein mehrgliedriges Schullsystem, wie in allen anderen Städten auch – mit Hauptschulen, Realschulen, Gymnasien, Gesamtschulen, Sekundarschulen und Berufskollegs. Das wird sich in absehbarer Zeit ändern.

Der Übersicht halber habe ich eine Karte erstellt, auf der die aktuellen Standorte der Gymnasien und Gesamtschulen eingezeichnet sind:

Ein zweigliedriges Schulsystem in Siegen 1

Rote Dreiecke markieren die Standorte der (aktuell) fünf Gymnasien, gelb leuchten die drei Gesamtschulen. Dazu gibt es noch eine Hauptschule und zwei Realschulen.

Nun hat die Stadt folgendes entschieden: Ein Gymnasium (blau umkreist), die verbliebene Hauptschule (orangefarbener Stern) und eine Realschule laufen aus und in eine vierte Gesamtschule umgewandelt, die Gebäude der Hauptschule werden ein Standort Teilstandort der neuen Schule (wer schon einmal an einer Schule mit mehreren Standorten gearbeitet hat, weiß, wie belastend das sein kann). [Quelle]

Schlussendlich bildet sich ein zweigliedriges Schulsystem heraus: Es gibt 4 Gymnasien und 4 Gesamtschulen1.

Gleich vorweg: Ich verstehe wenig von Politik, bin ein schlechtes Orakel und kann nur eine subjektive Einschätzung wiedergeben, die gerne diskutiert werden darf. Als Absolvent eines altsprachlichen Gymnasiums (hab es geliebt!) und Teil einer Schulleitung an einer Gesamtschule (liebe ich noch mehr) ist meine Perspektive in höchstem Maße parteiisch.

Das Gute

Ich bin ein Anhänger eines zweigliedrigen Schulsystems. Die Gymnasien haben in meinen Augen eine Daseinsberechtigung für die intellektuellen Spitzenreiter. Kinder und Jugendliche, die bei „Jugend forscht“ mitmachen, die ständig gefordert, gefordert, gefordert werden wollen. Schüler*innen, die im regulären Schulbetrieb (was wir uns darunter vorstellen) einer heterogenen Klassengemeinschaft ständig unterfordert werden. Bitte, gerne: Diese Kinder aufs Gymnasium.

Überzeugt bin ich von der Gesamtschule.
Einer Schulform, in deren DNA die Begriffe „Differenzierung“ und „Individualisierung“ eingraviert sind. Eine Schule, an der der „Erziehungsauftrag“ eine wesentliche Rolle spielt und die zu großen Teilen unsere Gesellschaft widerspiegelt: Mit vielen tollen Kindern und jeder Menge Lehrer*innen, die zuallererst die Kinder wertschätzen, fördern und fordern.  Bemerkbar macht sich das an den Spätzündern: Jungen und Mädchen, die erst in der 8. oder 9. Klasse aufwachen und sich plötzlich ganz nach vorne bis zum Abitur kämpfen. Kinder, die im dreigliedrigen Schulsystem schneller nach „unten durchgereicht“ werden. Ich denke da an „Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale„- Amar.

Wie gesagt – ich bin da subjektiv.

Ein zweigliedriges Schulsystem halte ich für die ideale Lösung.

Das Schlechte

Aber: Eine Verteilung von 4 Gymnasien und 4 Gesamtschulen impliziert einen Anteil von hochgradig veranlagten Kindern von etwa 50%. Das ist – bei allem Respekt – Wunschdenken.

Als Abteilungsleiter erlebe das Jahr für Jahr: Eltern melden ihre Kinder voller Stolz an einem Gymnasium an, dort quälen die sich zwei Jahre mit schlechten Noten und bitten schließlich müde und frustriert um Aufnahme an einer Gesamtschule.

Bei einer 4:4-Verteieilung der Schularten besteht die Gefahr, dass die Stadt sich das Äquivalent einer Zweiklassengesellschaft heranzieht, die irgendwann vor allem auf dem Ruf der Schulart basiert: Es gibt das Gymnasium und dann, naja, das andere halt.

Gesamtschulen funktionieren dann am Besten, wenn die Schülerschaft heterogen ist – im Idealfall 1/3 Kinder mit Gymnasialempfehlung, 1/3 mit Realschulempfehlung und 1/3 mit Hauptschulempfehlung. Einen Ballon bis in die Stratosphäre schicken? Digitale Vorreiterschule der ganzen Region mit Hospitationen sogar aus dem Ausland? Individualisierung so weit gedacht, dass in einer 28köpfigen Klasse 25 verschiedene Stundenpläne gelten?

Alles Beispiele aus Gesamtschulen.

Kurz: Ich denke, um die Schullandschaft in Siegen langfristig gesund zu halten, dürfte es nur zwei Gymnasien geben. Dort könnte man mit den 10% der absoluten Leistungsspitze arbeiten und auch direkt mit der ansässigen Universität kooperieren: Vom Klassenraum direkt in die Vorlesung.
Und alle, wirklich alle anderen Kinder gehen auf die Gesamtschulen. Dadurch würde man eine Heterogenität garantieren, die der Qualität aller Gesamtschulen zuträglich wäre.

Aber: Keine Schulart hat eine so große Lobby, wie die Gymnasien. Die Stadt Siegen wird sich niemals trauen, weitere (notwendige) Schritte zu gehen und auch nur ein weiteres Gymnasium zu schließen.
So bleibt mir nur zu wünschen, dass ich mich irre und die neue, vierte Gesamtschule sich einen guten  Start erkämpft und ebenso wie die anderen drei Gesamtschulen durch ihre engagierte Arbeit Wohlwollen in der Elternschaft findet.


1: Ja, ich unterschlage die übrig gebliebene Realschule. Dies einerseits zur Vereinfachung des Textes und überdies steht  sie (meines Wissens) im Schatten der benachbarten Gesamtschule ist von deren Abmeldungen abhängig. Eine weitere Gesamtschule führt womöglich zu Schülerbewegungen, die jener Realschule noch größere Probleme bereiten könnten.

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2 Gedanken zu „Ein zweigliedriges Schulsystem in Siegen“

  1. Die Frage ist eben, ob das Gymnasium wirklich so elitär sein sollte, wie du es hier beschreibst.

    Schüler, „die ständig gefordert, gefordert, gefordert werden wollen“, „die im regulären Schulbetrieb (was wir uns darunter vorstellen) einer heterogenen Klassengemeinschaft ständig unterfordert werden“, haben wir hier bei uns grob geschätzt maximal 15 %. Schüler, „die bei „Jugend forscht“ mitmachen“, gibt es vielleicht sogar nur im Promillebereich.

    Dennoch bin ich der Ansicht, dass auch ein Großteil der übrigen Schüler unsere Schule mit Gewinn besucht. Natürlich gibt es auch die Kinder, die von ihren Eltern bei uns angemeldet werden, weil sie denken: Gymnasium = gute Schule, sonstige Schulen = schlechte Schulen – und das, obwohl das Gymnasium für ihre Kinder eben keine gute Schule ist. Bei ihnen tritt dann das von dir Beschriebene ein: Sie quälen sich durch die ersten Jahre und melden sich dann doch irgendwann ab. Aber das sind sicher nicht die übrigen 85 % der Schüler.

    Natürlich könnte man die Anforderungen am Gymnasium wieder erhöhen, so dass es tatsächlich so elitär wird wie einst in den 60er- oder 70er-Jahren des letzten Jahrhunderts – aber ob das wirklich zielführend wäre? Insbesondere für den ländlichen Raum wäre das fatal, weil es dann in größeren Landstrichen noch viel weitere Wege bis zum nächsten Gymnasium gäbe als ohnehin schon.

    Ich kann ja verstehen, dass an den Gesamt- und Gemeinschaftsschulen (so heißen bei uns in Baden-Württemberg die Schulen, die am ehesten mit euren Gesamtschulen vergleichbar sind) eine gewisse Frustration herrscht, wenn die besseren Schüler größtenteils aufs Gymnasium wechseln, während sie selbst vor allem die schwächeren Schüler abbekommen, die aber nicht auf die Hauptschule bzw. Werkrealschule wollen. Das Konzept, dass die starken Schüler den schwachen helfen, kommt dann nämlich an seine Grenzen.

    Aber andererseits kann man eben auch nicht den Wunsch breiter Bevölkerungsteile – den Begriff Lobby finde ich in diesem Zusammenhang immer etwas unpassend und abwertend – nach dem Zugang zu einem Gymnasium mit Füßen treten, indem man das Angebot künstlich verknappt.

    Eine Lösung sehe ich darin, funktionierende (!) Konzepte zum Umgang mit Heterogenität auch am Gymnasium in Zukunft noch stärker zu etablieren.

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