Zum Inhalt springen

„Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale.“

"Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale." 1„Und, Amar, wie siehts aus? Hast du Hoffnung für morgen?“, frage ich einen Schüler in der Mensa.
„Weiß nicht, Herr Klinge, das letzte Jahr lief wirklich gut bei mir, aber… hm… jemand wie ich bekommt doch keine Pokale.“

Lehrer*in zu sein bedeutet an jeder Schule und für jedes Kind etwas anderes. Für manche bin ich Lernbegleiter. Hier und da gebe ich einen Hinweis oder eine kurze Erklärung – ansonsten bin ich unsichtbar. Für andere bin ich Polizist und Richter: Ich sorge für Recht und Ordnung – wer gegen die Gesetze verstößt, wird zu einem unangenehmen Gespräch gebeten. Manchmal bin ich mehr Lehrer, manchmal mehr Erzieher. Für manche streng, für manche viel zu nett.

Nicht nur im Gedächtnis – sondern schlichtweg ein Grund, warum ich diesen Beruf ergriffen habe – bleiben jene Schülerinnen und Schüler, die ein Stück weit lost sind. Die sich schwer tun mit einer großen Schule, mit 28 anderen Kindern im Raum, mit den Anforderungen. Die Gespräche am Boxsack, auf den wütend und frustriert und manchmal mit zitternder Lippe eingeprügelt wird, sind die intensivsten.

Die Arbeit mit diesen Kinder ist das, was mich am meisten antreibt. Und einer von ihnen hatte heute seinen großen Auftritt.

"Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale." 2

Wie schon im letzten Jahr habe ich in den letzten Monaten alte Pokalsammlungen aufgekauft, die ich in der Schule poliert, von den Plaketten befreit und mit dem Schullogo versehen habe.

Die Massen an Gold und Silber blitzen und blinken im Eingangsbereich der Schule und erzeugen sehnsüchtige Blicke der Kinder. „Darf ich den mal halten?“, fragte mich ein 5er letzte Woche ehrfürchtig, als ich an den Vitrinen stand.

Mit PowerPoint habe ich passende Urkunden erstellt und bei IKEA jede Menge Bilderrahmen gekauft, damit die Ehrungen nicht in der Schubladen enden, sondern stolz im Wohnzimmer aufgehangen werden können. Drei Kategorien wurden prämiert.

Kategorie: Leistung

"Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale." 3In Schule geht es zunächst um Leistung. Darum erklärt sich die erste Kategorie von alleine: Wir haben die Besten eines jeden Jahrgangs gesondert geehrt. Sie sind durch Strebsamkeit, Ehrgeiz und Fleiß ein Vorbild für alle anderen und an einer großen Schule dürfen sie zuallererst genannt werden.

Kategorie: Verbesserung

"Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale." 4

Besonders am Herzen liegt mir Kategorie 2: Jene Schülerinnen und Schüler, die im vergangenen Jahr einen gewaltigen Sprung nach vorne gemacht haben.

In diese Kategorie konnten Schülerinnen und Schüler fallen, die sich im Notenbild von Sorgenkind zu Durchschnitt verbessert haben. Und es konnten Kinder genannt werden, die sich sich einen Ruf als Systemsprenger erarbeitet hatten, aber im vergangenen Jahr im sozialen eine deutlich sichtbare Entwicklung vollzogen haben.

Vorgeschlagen wurden die Kandidaten (einer pro Klasse) von den Klassenlehrerinnen und -lehrern. Neben der gerahmten Urkunde erhielten sie einen Wanderpokal für ein Jahr mit dem Versprechen: Wer diesen Preis ein zweites Mal gewinnt, darf den Pokal behalten.

Diese Kategorie ist auch deshalb so spannend, weil jedes Kind eine Chance auf den Preis hat. Das steigert die Vorfreude auf den Tag ungemein und in den vergangenen Tagen häuften sich die Anfragen, wann es denn endlich soweit sei.

Kategorie: Besondere Verdienste

"Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale." 5

Zuletzt – und mit den größten und wertvollsten Pokalen von allen – ehren wir jene Schülerinnen und Schüler, die sich in besonderer Art und Weise um die Schule verdient gemacht haben. Jemand, der sich unermüdlich für ein gemeinsames Miteinander einsetzt, Außenseiter zurück in die Klassengemeinschaft holt, Streitschlichter ist und viel freie Zeit und Engagement außerhalb des Unterrichts für das Schulleben entwickelt. Schülerinnen und Schüler, von denen wir gerne mehr hätten und an denen sich jedes Kind ein Beispiel nehmen darf. Sie wurden zuletzt genannt und gefeiert.

Durchführung & Technik

Die Preisverleihung als solche fand im Forum des Hauptgebäudes statt. Als Zuschauer zugelassen waren unsere 5er. Für sie war es das erste Highlight an der Schule und mit großen Augen verfolgten sie das Geschehen.

Vor der Bühne aufgebaut stand ein Notebook und streamte das Event in alle Klassenräume hinein. Das Besondere: Keiner der Preisträger wusste vorher, dass er heute einen Preis gewinnen würde und die Übertragung war live. Wenn vorne auf der Bühne also „Max Mustermann aus der 6d“ ausgerufen wurde, dann musste Max erst noch aus seinem Klassenraum zu uns runter in die Aula laufen. Meine Co erzählte mir später, unsere Klasse sei schier explodiert, als gleich zwei Namen aus ihren Reihen genannt wurden.

Zwei Highlights

Den Sonderpreis gewann in diesem Jahr eine ganze Klasse für ihre außerordentliche Entwicklung und tolles Engagement. Kurz vor der Preisverleihung polterte der (natürlich eingeweihte) Hausmeister in ihren Klassenraum, in einer Hand den Werkzeugkasten und in der anderen eine Leiter, schimpfte theatralisch etwas von einem „Wasserschaden“ und warf die ganze Truppe kurzerhand aus dem Raum. „Oh weh, dann können wir dem Spektakel wohl nicht folgen. Aber ich erzähle euch hinterher, wer gewonnen hat“, erklärte der Klassenlehrer bedauernd, bis man sich darauf einigte, doch einfach zu den 5ern ins Forum zu schleichen. „Wir sind auch ganz leise! Versprochen!“

Wie groß war die Freude, als eben jene Klasse ausgerufen wurde, den größten aller Pokale entgegenzunehmen.

Und dann war da noch Amar. Amar, der eine Entwicklung hingelegt hat, die einem die Tränen in die Augen treibt. Amar, der von sich selbst denkt, jemand wie er würde doch keine Pokale gewinnen. Wie viel Lebenserfahrung steckt in solcher Einschätzung.

Schule, gute Schule, vermag an wichtigen Stellen des Lebens Weichen zu stellen. Einen Schubs in die richtige Richtung zu geben. Nicht nur Lernbegleiter, sondern Lebensbegleiter zu sein. Es sind Jugendliche wie Amar, die nicht nur mich immer wieder neu antreiben, sondern die auch ein Vorbild für ihre Mitschüler sind.

Amar, das war heute dein Tag! Du hast es dir verdient! Mögen noch viele weitere kommen.


Hinweis: Namen (wie immer) geändert.

13 Gedanken zu „„Jemand wie ich bekommt doch keine Pokale.““

  1. Meine Hochachtung für so eine tolle Aktion! Wie ihr als Schule das stemmen könnt, neben dem alltäglichen Geschäft noch solche fantastischen Events steigen zu lassen, ringt mir echt großen Respekt ab. Wie bekommt ihr das nur zeitlich alles unter?

  2. Pingback: Ein zweigliedriges Schulsystem in Siegen - Halbtagsblog

  3. Pingback: "Wie geht's dir?" - Halbtagsblog

  4. Was für eine geniale Idee. Nun erklär uns mal, wie man eine Plakette von so einem Pokal runter bekommt und wie/aus welchem Material du das Schullogo darauf bekommst. Also für alle, die das nicht nachmachen wollen! Denn ganz ehrlich, dass sollten wir alle machen!

    1. Die alten Plaketten bekommt man mit einem Messer abgespalten und darauf kommt – im CopyShop auf glänzende, selbstklebende Folie gedruckt – ein Schullogo.

  5. Pingback: Ehrungen und Albus Dumblebart - Halbtagsblog

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert