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Veränderung benötigt Leidensdruck

Ich bewundere meine Kollegen Herrn Rau & Co für ihre jährlichen Literaturlisten. Ehrlicherweise bestehen meine Listen bis Ende des Jahres zu 60% aus abgebrochenen Büchern. Geschafft habe ich in diesem Jahr

  • Ali Abdaal: Feel Good Productivity (cool)
  • J.L. Bourne: Tagebuch der Apokalypse 4 (zum 2. Mal gehört; simpel genug für einen kranken Körper)
  • Rolf Dobelli: Die Kunst des digitalen Lebens (hm hm)
  • Judith Merchant: Schweig! (cool)
  • Morgan Housal – Same as Ever (joa. wiederholt sich zum Ende)

Vieles davon in der letzten Woche, als ich mit Corona zur Untätigkeit verdammt im Bett lag. Fast ebensolang ist die Liste der abgebrochenen Bücher. Gescheitert bin ich in diesem Jahr an:

  • Stephen King: Desperation (nach 70% abgebrochen; gähnende Langeweile)
  • Joshua Tree: Das Portal (nach 10% abgebrochen; vielleicht nicht mein Metier)
  • Haruki Murakami  (dritter Anlauf; aktuell 20% geschafft; kurz vor der Aufgabe: entsetzlich langweilig)
  • Jake Eagle: Achtsamkeit To Go (5%; ertrage es kaum)

Veränderung benötig Leidensdruck und ich merke, dass ich mit Büchern & Hörbüchern zunehmend ungeduldig werde. Aus Langeweile bin ich dazu übergegangen, mich während der Autofahrt mit chatGPT zu unterhalten. Ich stelle Fragen und lasse mir die Antworten so lange erklären, bis ich ein Verständnis entwickle. Warum leuchten Textmarker eigentlich so grell? Wie funktioniert das? Was passiert da auf atomarer Ebene? Was ist eigentlich Licht? Was ist Energie? Für jede Antwort entstehen in meinem Kopf zwei neue Fragen und ich kann die Audio-Funktion der KI wirklich gut leiden. Immer geduldig und fröhlich, als sei sie genauso begeistert von der Lichtemission durch Elektronensprünge, wie ich. Ich liebe die Möglichkeiten Künstlicher Intelligenz – insbesondere als persönlicher Tutor während langweiliger Autofahrten.

An anderen Stellen geht KI mir total auf den Zeiger. Zum Beispiel bei allem, was Microsoft tut.
Dabei bin ich ein Windows und Android Guy.

Veränderung benötigt Leidensdruck 1Wenn mein Surface vom Tisch herunterfiele, würde ich mir auf der Stelle ein neues holen. Ich kenne (und mag) die Benutzerführung, bin von der Hardware begeistert und das Zusammenspiel mit Android wird immer besser. Mega. Unsere ganze Schule arbeitet mit Surface Go-Geräten und eine Handvoll anderer Schulen, die uns in den letzten jahren hospitiert hatten, tut das auch. Hunderte Geräte, die mit Versicherung für etwa 500 € perfekt zum Arbeiten in der Schule waren: Keine Konsumgeräte (wie iPads, sry), sondern langweilige Arbeitsmaschinen. Weniger sexy – und so wurden sie auch genutzt.
Machen wir uns nix vor: Es sind Einsteigergeräte – jeder, der mit größeren Datenmengen arbeitet, wird damit nicht glücklich. Aber für die Schule und zum Mitschreiben reichts.

Letztes Jahr hat die 3 Billionen (!) Dollar Firma Microsoft dann entschieden, das neueste Surface Go 4 deutlich teurer zu machen. Das aktuelle Angebot für das kommende Schuljahr liegt für uns nun bei 720 € für ein Gerät mit Versicherung und ohne Stift. Für ein Surface Go! Ein Einsteigergerät!

Damit sind wir als Schule raus.

Für mich völlig unverständlich, wieso man die Geräte damit aus den Schulen drängt. Und Apple ist keinen Deut besser. Denn die Alternative für uns – ein Samsung Tab S6 lite – geht für unter 300 € über den Ladentisch. Mit Stift! Ob sich da überhaupt eine Versicherung für ~100 € lohnt, darf man getrost hinterfragen.

Und auch an anderen Stellen werde ich gerade knatschig: 700 Werbepartner lesen bei Outlook meine Mails mit (Quelle)?
Ich kann das bei Google hinnehmen, deren Dienst ich kostenlos nutze. Aber Microsoft? Ich bezahle jeden Monat für ein Office-Abo. Was ist hier das Produkt? Oder wer?

Und nein: ich möchte nicht, dass der Co-Pilot jeden meiner Tastenanschläge mitliest. Ich möchte schon selbst steuern (oder zumindest das Gefühl haben!), wann ich mit einer KI arbeite und wann nicht. Windows wird mir gerade unsympathisch. 3 Billionen Dollar und ihr erhöht die Preise bei den Einsteigergeräten für Schüler und Studenten? Wie raffgierig kann man sein?

Mein nächstes Gerät wird eher kein Surface mehr.

Statt dessen beginne ich zu überlegen, welche Alternativen es gibt. Wenn ich daran denke, wie sehr mich mein iPhone genervt hat und als wie nutzlos ich das iPad empfunden habe, traue ich Apple keinen Meter über den Weg (Quelle).

Aber: Wie viel Zeit und Energie kostet es mich, in Linux zu investieren? An welchen Stellen muss ich Kompromisse machen?

Wie bei allen Veränderungen gilt: Man bewegt sich erst, wenn der Leidensdruck hoch genug wird. Wir kümmern uns erst um die AFD, wenn sie von Deportationen schwadroniert. Die Umwelt juckt uns erst, wenn Überschwemmungen und Dürrekatastrophen vor der Haustür warten. Wir nehmen erst ab, wenn körperliche Beschwerden uns dazu zwingen. Whatsapp wird erst dann durch Signal ersetzt, wenn wir den Datenschutz nicht mehr mit unserem Gewissen vereinbaren können.

Und wir wechseln das Betriebssystem erst, wenn der Leidensdruck groß genug ist.

Ich merke: Ich komme in den roten Bereich. Veränderung steht an.

11 Gedanken zu „Veränderung benötigt Leidensdruck“

  1. Ich war wie du ein MS/Android-Guy und fand Apple einfach nur zum Kotzen. Aus Langerweile während Corona ein MacBook gekauft – als Zweitgerät zum Herumspielen und so immer tiefer ins Apple-Ökosystem abgerutscht. Und – was soll ich sagen – heute hätte ich keinerlei Bock mehr auf den Windows-Crap.
    Gerade du als jemand, der es vernetzt liebt, findet doch in den geilen Syncmöglichkeiten über die Geräte hinweg genau das, was Lehrer so liebt.
    Give it a try!

    1. Hab ich auch gemacht und besitze sogar iPhone, iPad und MacBook Pro.
      Für den Schulalltag ist das Surface Welten besser, wenn man im Bereich Mathe/Physik unterwegs ist.

  2. Prinzipiell benötigt es heute nicht mehr viel Zeit und Energie, um mit einem Linux den Alltag zu bestreiten. Ich kann das „freie Leben“ ohne Zwang eines Unternehmens nur empfehlen!
    Seit knapp einer Dekade habe ich kaum Probleme mit Ubuntu gehabt, seit mehreren Jahren ist openSUSE Tumbleweed mein täglicher Begleiter.
    Als bisheriger Windows-Mensch sind vielleicht Distributionen mit KDE Plasma oder Cinnamon als Desktop-Umgebung vertrauter als z.B. Gnome (Ubuntu).
    Wenn Du mal einen Blick drauf werfen willst:
    Linux Mint 21.3 Cinnamon https://www.linuxmint.com/
    KDE neon https://neon.kde.org/
    Kubuntu https://kubuntu.org/
    Ubuntu https://ubuntu.com/download/desktop

    Ob Kompromisse eingegangen werden müssen, hängt davon ab, was Du alles so machst und bisher so nutzt. Das einzuschätzen ist aus meiner Perspektive eher schwierig. Im #FediLZ bzw. generell im Fediverse findest Du einige Linux-Menschen. Sonst dort bei Bedarf fragen.

  3. Eine ganz unverfrorene (Hardware-)Empfehlung: Ich habe seit Ende letzten Jahres einen Framework 13 mit AMD Prozessor und in praktisch jeder Hinsicht total begeistert von dem Gerät. Es kann nur nicht rumgeklappt werden und hat auch keinen Touchscreen, ist ansonsten aber schnell und leise und unglaublich reparierbar – ganz toll!
    Und es ist sehr Linux-freundlich, auch wenn ich das leider (noch) nicht ausprobiert habe.

      1. Ja das ist wirklich schade und ich vermisse es auch sehr in meinem Mathelehramtsstudentenalltag. Kann man nicht leugnen und Xournall++ etc. sind in meiner Erfahrung alle einfach nicht so gut wie OneNote. Mag auch an mir liegen.
        Aber OneNote ist halt wieder so ein furchtbar suspektes Programm aus man keine Daten richtig rausbekommt, wenn Microsoft sich doch mal entscheiden sollte, es abzuschalten oder einzuschränken. Auch dafür habe ich keine zufriedenstellende Lösung, aber beunruhigen tut es mich trotzdem.

  4. Vielleicht liest du den Winfuture Artikel nochmal genau.
    U.a. diesen Passus: „Obwohl das theoretische Sam­meln von Kontaktdaten, Passwörtern, Zahlungsdaten, Suchanfragen, Sprach­da­ten, Bildern und Inhalten aller Art ebenfalls möglich ist, hat sich Microsoft gemäß seiner Werberichtlinien verpflichtet, diese immerhin nicht aus direkten Mail-Konversationen zu beziehen.“
    Selten so einen reißerischen und üblen Artikel gelesen. Kostenlose Werbung für Protonmail. Die, so ein Zufall aber auch, die einzige Quelle sind.

  5. Ich war Surface-Avantgarde und halte es von der Hardware her immer noch für ein tolles Gerät. Microsoft bzw. Windows nervten mich aber schon auch: Unsauberes Design, unklare Politik bei Office (Einzelprogramme/Office 365/dann Windows 365) mit komischen Login-Strukturen, dann die von dir angesprochenen Tabubrüche bei Outlook – ich kam da nicht mehr hinterher.

    Meine Schule hat dann doch auf Apple gesetzt, und ich muss sagen: Es geht in 90 Prozent der Fälle gut. Das Microsoft-Chaos habe ich da natürlich auch, dafür ist die Hardware aber schlank und wirklich sehr schnell – schneller als unser W-Lan auf jeden Fall. 😉

    Ich musste mich von der Vorstellung verabschieden, dass ich damit alles kann (Publisher für Newsletter oder WordPress ist krampfiger), aber der Alltag läuft. Ich war sogar überrascht, weil iServ-WebDAV und Nextcloud über den Dateimananger inzwischen wesentlich besser laufen als unter Windows, wo es ständig hakt und um Wartung bettelt. Da war ich erstaunt. Und für größere Sachen nehme ich halt den Mac, den ich mit meiner Frau teile, oder irgendwann mal ein Macbook. Vielleicht bieten die neuen iPad Pro auch wirklich noch mal mehr, wenn sie denn kommen.

    Natürlich gibt es aber auch Probleme: Manche Befehle sind umständlich, mancher Workflow ist ohne Maus schwer umsetzbar; das kostet Zeit. Und die Preise für die Einstiegs-iPads sind auch massiv hochgegangen. Dafür halten die Teile aber auch wirklich einiges aus.

  6. Ich bin ebenfalls Windows/Android Nutzer.
    In der Schule bin ich u.A. der Admin für die aktuell 500 Ipads (und nächstes Jahr +250).
    Wo stehe ich? ich google auf meinem Android Smartphone, wie man am Ipad einen Screenshot macht. Ab kommendem Jahr ist auch meine Klasse eine „Ipadklasse“. Bis dahin werde ich auch in der unterrichtlichen Schiene on fire sein. Aktuelle Kosten für Gerät, Hülle Stift und Versicherung für das Ipad 9 (Vorgängermodell) ca. 620€ in verschiedenen Finanzierungsmodellen. Auch ältere Ipads (ab 6. Generation), die privat mitgebracht werden, konnten in unsere Verwaltung integriert werden. Ob das Surface Go 1 (zeitgleich erschienen) noch seinen Dienst erfüllen würde, weiß ich nicht.
    Aus Adminseite muss ich aber sagen, dass die Verwaltung und Nutzung ziemlich stabil läuft. Das ist das große Plus an Ipads. Das höre ich von Laptopschulen (Windows) oder Surface-Schulen anders.
    Bei uns die Entscheidung für Ipads hatte folgende Gründe:
    1)Das Kooperationsgymnasium hat ipads.
    2) Der Schulleiter und die didaktische Leitung haben Iphones.
    Ggf. muss man 1) und 2) tauschen.

    1. Fand ich witzig, deine 1) und 2) – habe ich so auch wahrgenommen. Ich hätte ja schon gerne etwas gehabt, das mehr „redaktionelles Arbeiten“ ermöglicht (ergo Surface oder Ähnliches), aber 3) der Schulträger mag iPads und 4) andere Schulen auch.

      Inzwischen bin ich okay damit, zwischendurch hätte ich die Wände hochgehen können, weil konkrete pädagogische oder didaktische Szenarien m.E. unterrepräsentiert blieben…

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