Vor einigen Wochen erhielt ich eine Anfrage der Universität Siegen, ob meine Klasse 5 bereit wäre, mit Lehramtsstudenten eine Mathematikwerkstatt zu gestalten.
”Klar”, habe ich gedacht. Für Projekte, die einen mich aus dem Schulalltag herausnehmen, bin ich immer zu haben und für die Kinder ist es sowieso spannend, mit “echten Wissenschaftlern von der Universität” zu forschen. In der Praxis ist das in einer Integrationsklasse aber dann doch nicht so einfach.
Denn normalerweise würde ich einen Bus bestellen und mit den Kindern einen Ausflug in die Uni machen. Im Idealfall noch eine Führung durch die Gebäude etc. Mit zwei Rollstuhlkindern ist das aber nicht so einfach zu machen. Freundlicherweise erklärten sich die Dozentin samt Kurs bereit, zu uns in die Schule zu kommen. Finde ich als fertiger Lehrer auch gar nicht schlecht, wenn die hin und wieder eine Schule von innen sehen. Aus verschiedenen Gründen.
Im Labor kann man unter Idealbedingungen arbeiten: Die Kinder sind von der neuen Umgebung eingeschüchtert und deutlich braver, als im gewohnten Umfeld Schule. Bei uns wird das Projekt von der Schulglocke gestört und von anderen Kindern auf dem Gang. Und als die Studenten mittendrin feststellen, dass sie zu wenig Stoppuhren haben, freue ich mich insgeheim. Nicht schadenfroh – sondern mehr… “Ja, so ist Schulalltag. Da fehlt auf einmal die Kreide. Oder eine Gruppe unbeaufsichtigter Schüler stört meinen Unterricht. Da muss man dann improvisieren.”
Die Studenten haben verschiedene Stationen vorbereitet, an denen sich meine Klasse mit verschiedenen Fermi-Aufgaben auseinandersetzen durfte. Wie viele Lakritzschnecken muss man aneinanderlegen, um eine Schnur zu bilden, die so lang ist, wie eine Kette aus allen Schülern der Schule. Wie lang wird eine Linie Zahnpasta, die man aus einer Tube drückt? Sowas.
Drei Schulstunden sind dafür vorgesehen. In unserem kleinen Raum sind irgendwann neben 28 Schülern auch sechs Studenten, eine Dozentin, zwei Integrationshelfer und zwei Lehrer. Die Lautstärke ist… produktiv. Ein zielgerichtetes Murmeln erfüllt das Klassenzimmer, an einer Station streitet sich eine Gruppe über den richtigen Lösungsweg. Überall rauchen die Köpfe. Ich habe Zeit, um auf der Couch einen Blogeintrag zu schreiben und mich mit der Dozentin zu unterhalten. Nach einer Zeitstunde wird der Umgangston merklich lauter, deutlich rauher. Die Klasse braucht dringend eine Pause. Wenige sind überfordert. Und irgendwann frustriert. Im Unterricht ist das Alltag – für die Studenten eine gute Erfahrung: Was nun, wenn jemand nicht mehr mag?
Skurril: Nach drei Stunden Rechnens habe ich eigentlich noch zwei Stunden Unterricht mit meiner Klasse: Mathematik. Ich ahne früh, dass das heute nichts wird. Angesichts der Lautstärke (auch nach der Pause) denke ich über etwas Meditatives nach. Schlafen. Oder atmen. Vielleicht die Betrachtung eines weißen Blattes Papier mit anschließender Analyse. Meine Kollegen beglücken mich mit Spielvorschlägen. “Drei Häuser müssen mit Gas-, Wasser- und E-Werk verbunden werden, ohne dass sich die Kabel überschneiden dürfen. Dafür gibt es keine Lösung, aber ich biete meinen Schülern zehn Euro an, wenn sie mir die Lösung präsentieren – damit sind die immer gut beschäftigt”, schlägt mir jemand vor. In Gedanken sehe ich mich schon stammelnd vor der Klasse, das Rätsel nur fehlerhaft wiedergebend und von meiner eigenen Klasse um 150 Euro erleichtert. Neee.
Schließlich zieht eine Kollegin eine DVD aus ihrem Fach. Ein Disney-Film. Großartig. Als die Kinder kichernd, lachend, schmunzelnd, verträumt dem Film folgen, geht mir das Herz auf.
Am Ende des Tages wollen alle Prinzessin werden. Auch ich.
Die Wette hättest du eingehen können. Die einzige mir bekannte Lösung ist auf einer Donut-Welt.
Und…du hast ein Sofa in deinem Klassenzimmer?
Wenn ich die Formulierung fehlerfrei hinbekommen würde.. aber nachher sitze ich da 😉
Ja, das Sofa ist ein Bestandteil der Inklusion. Meine beiden Zwillinge müssen ja den ganzen Tag im Rollstuhl sitzen – das ist mordsmäßig anstrengend. Also haben wir ein Sofa (auf dem Bild hinten in blau erkennbar), damit die sich mal strecken und ausruhen können. 🙂