Einer der schönsten Aspekte meines Berufes ist die Möglichkeit, mich kreativ austoben zu können. Spiele, Übungen und Material zu erfinden, gestalten und zu schreiben ist etwas, dass ich unwahrscheinlich schätze. Diese Homepage und ihre Anbindung an die sozialen Medien gibt mir darüber hinaus die Gelegenheit, Interessierte an meinen Ideen und Gedanken teilhaben zu lassen.
Da bleibt nicht aus, dass mir hin und wieder Kritik um die Ohren fliegt.
So empörte sich vor ein paar Tagen ein Physiklehrer über meine Berechnung von Elsas Zauberkraft: Das sei überhaupt keine KRAFT, sondern eine ENERGIE und meine Berechnung sei überhaupt und sowieso grausig, fehlerhaft und simplifiziert…
Puuh.
Im Internet stolpere ich über eine zauberhafte Anekdote:
Ein Mathematik-Professor schrieb folgendes an die Tafel:
9x 1= 9
9x 2=18
9x 3=27
9x 4=36
9x 5=45
9x 6=54
9x 7=63
9x 8=72
9x 9=81
9×10=91
Viele Verspottungen wurden im Hörsaal gemacht, weil der Professor sich vertan hatte.
9×10=91!
Der ganze Raum lachte ihn aus. Der Professor wartete bis alle wieder still waren, dann sagte er:
„So wirst Du in der Welt gesehen. Ich habe diesen Fehler mit Absicht gemacht, um Ihnen zu zeigen, wie sich die Welt angesichts eines einzigen Fehlers verhält. Keiner von Euch gratulierte mir, dass ich neun Mal alles richtig gemacht habe und recht hatte.
Keiner der dich das Richtige tun sah und dich dafür lobte. Aber alle Leute haben dich verletzt, gelästert, und gedemütigt weil du dich nur einmal geirrt hast. So ist das Leben! Wir müssen lernen, Menschen für „ihre Erfolge“ zu schätzen.
Es gibt Leute, die viel mehr tun, was richtig ist, als falsch, und – am Ende nach einem einzigen Fehler beurteilt werden, – und von den anderen neun Treffern, nicht bewertet werden. Das funktioniert für uns alle. Mehr Lob und weniger Kritik. Mehr Liebe und Zuneigung und weniger Hass und Grausamkeit. Lass uns lernen, einander zu schätzen, anstatt uns gegenseitig zu zerstören.“
Eine gute Geschichte deren Intention mir ausnehmend gut gefällt. Mein erster Gedanke war, das mit meiner Klasse auszuprobieren. Mein zweiter Gedanke war, schon jetzt meine Lehren daraus zu ziehen.
Im #twitterlehrerzimmer habe ich vor einigen Tagen bezüglich meiner Merkplakate (s.Bild) um Rat gefragt. Ich war mit Aufbau und Farbgestaltung noch nicht glücklich.
Binnen kürzester Zeit erhielt ich Dutzende Rückmeldungen und Verbesserungsvorschläge. Dabei wurden auf verschiedenen Plakaten auch sachliche Fehler entdeckt. Rechtschreibfehler. Rechenfehler. Formfehler. Copy’n’Paste-Fehler.
Und, anders als der weise Mathematikprofessor aus der Anekdote, habe ich meine Fehler nicht mit Absicht eingebaut. Schusseligkeit. Mangelnde Sorgfalt. Unkonzentriertheit. Flüchtigkeitsfehler halt.
Doch „Verspottungen“ sind mir an keiner Stelle begegnet. Statt dessen nüchterne Vorschläge. Vorsichtig formulierte Direktnachrichten mit dem Hinweis auf eine Großschreibung hier, eine fehlerhafte Potenz dort.
In meinem Alltag erlebe ich unglaublich viel Wertschätzung.
Denke ich an meine Klasse, würde dies genauso ablaufen: Kein Verspotten, kein Kichern. Ich verliere meine Autorität nicht, wenn ich im Unterricht Fehler mache. Ich muss sie nicht einmal absichtlich provozieren – denn sie passieren mir auch so. Aber es herrscht eine Kultur des „Fehler machen dürfens“. Das gilt sowohl für meine Klassen, als auch für mich.
So bleibt denn, bei längerem Nachdenken, von der zauberhaften Anekdote nicht mehr viel übrig, dass ich in meinem Alltag wiederfinden würde. Das taugt nicht so sehr für eine herzerwärmende Anekdote – spricht aber für mein Umfeld.
Bis auf den erwähnten Physiklehrer. Es tut mir tatsächlich leid, dass mein Buch seinen Ansprüchen nicht genügt und er der Meinung ist, dass das „jeder Physiklehrer mit ein wenig Erfahrung ohnehin besser umsetzt„. Cool hätte ich gefunden, wenn er mir geschrieben und Verbesserungsvorschläge für die 4. Auflage gemacht hätte.
Andererseits: Als Bestseller-Autor kann man es wohl nicht allen recht machen und selbst Stephen King hat ein paar enttäuschte Rezensenten ;-).
Übrigens: Die Merkplakate finden sich komplett auf der Download-Seite dieses Blogs als anpassbare PowerPoint-Datei zum herunterladen, anpassen, weiterbenutzen. Für sie gilt zum einen die unausgesprochene Einladung, gerne eigene Plakate zu erstellen und dieser Sammlung zum Wohle aller zuzufügen als auch die Aufforderung, mich gerne auf Fehler aufmerksam zu machen. Das Dokument wird laufend erweitert – wiederkommen lohnt sich also.
Ansonsten gilt: Mehr Liebe und Zuneigung und weniger Hass und Grausamkeit. Lass uns lernen, einander zu schätzen, anstatt uns gegenseitig zu zerstören.“
Gegenseitige Wertschätzung der geleisteten Arbeit ist enorm wichtig und ein starker Motor. Das merkt man innerhalb eines Lehrerkollegiums aber auch in der Arbeit mit Klassen. Dein Beitrag hat mir das mal wieder ins Gedächtnis gerufen. Danke dafür!
Ich habe hier schon so viele Anregungen von diesem Blog entnommen. Und auch wenn ich bei manchen Beiträgen, wie der Einbettung von Unterrichtseinheiten in ein Computerspiel, nur staunend und ein wenig neidisch mitlese, so bin ich immer wieder froh, über den eigenen Tellerrand hinwegschauen zu können.
Was ich damit sagen will, lass dich von so abwertenden Kommentaren nicht runterziehen. Da hat jemand nicht verstanden, worum es bei diesen Aufgaben überhaupt geht, nämlich um eine halbwegs kontextorientierte Einbettung bzw. Anwendung.
Ich nutze mehrere deiner Publikationen im Unterricht bzw. als Ideengeber bei der Vorbereitung desselben.
Und vor vielen Jahren im Referendariat hat mein Hauptseminarleiter mal eine tolle Aussage gemacht, die ich immer zu beherzigen versuche. “ An einem fertigen Haus ein paar Verschönerungen anzubringen ist im Vergleich zum Bau des Hauses einfach. Dementsprechend kann ich bei jeder Stunde, jedem Arbeitsblatt… Verbesserungen anbringen. Das kann man machen. Man darf aber nicht die schon erbrachte Leistung aus den Augen verlieren.“
In dem Sinne ist dem letzten Satz des obigen Beitrags nichts hinzuzufügen. Schöne Ferien und viel Elan für all die Vorhaben und Veränderungen!
Danke 🙂
Wundervoll geschrieben und ein starkes Beispiel. Stärkenorientierung ist etwas, was viele KuK noch lernen müssen. Die Defizitorientierung hat sich jahrelang festgesetzt.
Daran müssen wir arbeiten.
Zur Geschichte mit dem Mathe-Prof:
Dieser Pseudo- Matheprof beschwert sich weil ihn keiner gelobt hat, dass er in Teilen das 9er Einmaleins beherrscht?
Aber vermutlich hätte ich auch gelacht und gedacht: typisch Matheprof. Kann DGLs lösen aber scheitert beim kleinen Einmaleins. Ganz sicher wäre ich aber, dass sich der Mathe- Prof nicht beschwert hätte. War es vielleicht nicht doch ein Germanistik-Inmathewarichimmerschlecht-Prof? Aber warum rechnet er dann an der Tafel?
Fragen über Fragen.
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