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Von ‚chatGPT‘ zum ‚persönlichen Ghostwriter‘ zur ‚Schule der Zukunft‘

Meine älteste Tochter hat sich sechs Jahre lang durch ihre zweite Fremdsprache gequält. Vokabeln auf Karteikärtchen geschrieben, Hausaufgaben mithilfe des Google Translators (bzw. deepl.com) gemacht und zuletzt jede Klausur und jede verbleibende Unterrichtsstunde rückwärts gezählt. Mit Abschluss des Faches ist dann jedoch – wie ein schaler Witz – ihr Interesse an der Sprache aufgekommen. Seit Monaten lernt sie in ihrer Freizeit Vokabeln und übt Sätze. Unterstützt wird sie dabei von einer App, die mittels intelligentem Algorithmus gezielt fördert und fordert. Herr Mess schreibt gerade an einer Reihe dazu (Link).

Sicher nicht üblich (und gewiss nicht als Angriff auf den klassischen Schulunterricht zu verstehen) – aber doch interessant: Die App vermittelt anscheinend genau den richtigen Schwierigkeitsgrad, um meine Tochter anzutreiben.

Von 'chatGPT' zum 'persönlichen Ghostwriter' zur 'Schule der Zukunft' 1Eine KI als Ghostwriter?

Auch ich lasse mich gerne antreiben: Die KI „SudoWrite“ richtet sich speziell an Autoren und verspricht fulminant Unterstützung beim kreativen Schreiben. Die Webseite ist voll des Lobes und weil ich gerade am dritten Teil meiner Roman-Reihe arbeite, habe ich mehr als nur einen Blick gewagt.

Und wurde natürlich enttäuscht.

Mehr als eine Aneinanderreihung statistisch sinnstiftender Sätze ist nicht drin. Selbst, als ich detailliert einen Handlungsverlauf vorgebe, ist das Ergebnis Mist. Zur Erinnerung: Künstliche Sprachmodelle wie chatGPT sind weder kreativ noch wirklich intelligent. Sie reihen Worte nach statistischen Wahrscheinlichkeiten aneinander. Ich habe an dieser Stelle ausführlicher darüber geschrieben. Es bleibt wie es ist: Das Ergebnis ist völlig unbrauchbar und ich bin froh, nicht direkt ein Jahresabo abgeschlossen zu haben.

Aber.

Aber vielleicht sind auch meine Eingabebfehle nur ungenau? Ich hatte über den Faktor der Prompts letzte Woche bereits etwas erzählt. Ich wage einen neuen Anlauf – diesmal mit dem bing chat, den ich für meine Zwecke in den Modus „kreativ“ versetze.

Verhalte dich wie ein professioneller Ghostwriter und imitiere den Stil eines speziellen Autors. Ich gebe dir einige Textbeispiele die ich geschrieben habe und deine Aufgabe ist es, diesen Stil zu imitieren.

Und los gehts.
Ich sende die ersten paar Kapitel an die KI und bitte sie anschließend, das nächste mit vorgegebenem Handlungsverlauf weiterzuschreiben.

Das Ergebnis verblüfft mich.
Es ist immer noch weit davon entfernt, einen Autor zu ersetzen. Selbst einen so mittelmäßigen Schreiberling wie ich einer bin. Praktisch jeder Satz wird verändert. Aber das Ergebnis ist im Vergleich sehr viel besser, sehr viel hilfreicher als das, was Sudowrite mir ohne Vorlage geliefert hat. Die größte Hürde ist aktuell die Beschränkung des KI-Gedächtnisses. Der Chatverlauf ermöglicht mir nicht mehr als 20 Antworten.

Wie sähe das Ergebnis aus, wenn die KI beide erste Bände im Gedächtnis hätte? Wenn sie mir konkrete Vorschläge machen könnte, die nicht nur auf den Inhalten der Romanen basieren, sondern auch meinen Stil exakt imitieren? Man füttere eine KI mit den gesammelten Werken von Stephen King und lasse einen Hobby-Amateur wie mich nur loslegen.

Ich denke: In weniger als drei Jahren wird der Buchhandel von der schieren Anzahl an KI-generierten Romanen durch Ghostwriter so überschwemmt, dass dies das Ende jeder professionellen Schriftstellerei bedeutet. Wenn darüber hinaus der Stil guter Autoren immer besser imitiert werden wird, wird es nahezu unmöglich, solche Werke als Plagiate oder „KI-erstellten Schund“ zu erkennen. Eine zufällige Varianz in der Auswahl der statistisch gewählten Worte wird reichen.

Und noch etwas.

Die Schule der Zukunft

Aktuell ist es noch relativ leicht, KI-erstellte Schüleraufsätze zu erkennen. Wenn Mahmut keinen geraden Satz schreiben kann und plötzlich einen Aufsatz über Zellosmose schreibt, ist dich Sache meist klar. Besonders, wenn der Aufsatz mit dem (inzwischen berüchtigten) „Als ein KI SPrachmoedll kann ich…“ beginnt und der Delinquent sogar zu faul war, das Ergebnis auch nur ein einziges Mal gegenzulesen.

Aber.
Aber in zwei, drei Jahren werden die iPhones und Samsungs der Welt KI-Modelle an Bord haben. Sie werden „die Sprache“ ihrer Benutzer sprechen und imitieren können. Es wird Lehrkräften völlig unmöglich sein, bei irgendeiner Arbeit, die sie nicht – wie in einem Strafgefangenenlager – persönlich überwacht haben, den wahren Urheber ausfindig zu machen. Immer kleinere Ohrhörer (besonders unter dem Kopftuch), Smartwatches und Handys werden in kürzester Zeit Prüfungen obsolet machen. Vom Ghostwriter zum Ghostflüsterer?

Wie aber damit umgehen?

Neben allerlei Gartenarbeit habe ich dieses Pfingswochenende mit der Korrektur einer Klassenarbeit verbracht. Und wie so oft, frage ich mich bei dem ein oder anderen enttäuscht, wo er gedanklich in den letzten Wochen während der Unterrichtszeit gewesen ist. Kommende Woche werde ich wieder (und wieder und wieder und wieder) mit den Kindern analysieren, woran es lag. Was soll ich ändern? Was müssen sie ändern? Ein ewiges Spiel mit unbefriedigendem Ausgang.

Ich kann mir vorstellen, dass die Entwicklung intelligenter Algorithmen im Bildungssystem extrem an Fahrt aufnehmen wird. Und während wir in Deutschland eher sorgsam und traditionell unterwegs sind, ist das international gesehen nicht so. Vor ein paar Jahren waren wir Auto-Exportweltmeister – inzwischen ist das China. Und während die hiesige Genossenschaft aus FDP/BILD/CDU den Verbrenner hochhält und mit dem ewigen Verlust von Arbeitsplätzen droht, hat weltweit der Siegeszug der E-Autos begonnen. Keine Sau wird auf uns warten.

Im Bildungsbereich wird diese Entwicklung noch schneller vonstatten gehen. Die Sprachapp-Duolingo beispielsweise muss nicht für jedes Land neu entwickelt werden. Sie funktioniert überall. Durchsetzen wird sich, was schnell und billig ist und was funktioniert. Wir befinden uns da in einem weltweiten Wettbewerb. Seit Jahren steht die Frage im Raum, warum jedes Bildungsland sein eigenes Süppchen kocht und warum nicht alle Lehrinhalte OpenSource zur Verfügung stehen.
An meiner eigenen Schule gibt es keine ‚Einzelkämpfer‘. Alle Kolleginnen und Kollegen teilen den gleichen Pool an Arbeitsmaterialien, teilen die gleichen Reihen, entwickeln gemeinsam Unterrichtsvorhaben. Wir schreiben die gleichen Klassenarbeiten, gleiche Tests und kaufen Material stets für die Schule. Der Gedanke, wieder allein durch die Welt zu stromern erscheint aus dieser Perspektive völlig absurd. Die Zukunft der Schule ist international.

Wie wird sich das auf die Rolle der Lehrkräfte auswirken, wenn Material automatisch ausgewählt, ausgewertet und optimiert wird? Wenn individueller Unterricht im Bereich Fachverständnis tatsächlich individuell ist?
Von 'chatGPT' zum 'persönlichen Ghostwriter' zur 'Schule der Zukunft' 2Ich weiß es nicht. Ich kann mir vorstellen, dass wir zukünftig echte „Lernbegleiter“ sind. Gesprächspartner und Ideengeber. Mehr für Zwischenmenschliches verantwortlich, als den fachlichen Fortschritt. Alle fachlichen Inhalte zu den Küken könnte zukünftig eine KI vermitteln. In einfacher Sprache oder mit komplexen Vokabeln. Eher oberflächlich oder – für die WAS IST WAS-Leser unter den Kindern – schon tiefergehend. Ein Ghostlehrer. Mein Job wäre dann, das Küken mitzubringen. Dafür zu sorgen, dass es sich nicht erschreckt und liebevoll behandelt wird.

Aber: Ist das noch ein echtes Küken oder auch nur ein KI-Bild?

8 Gedanken zu „Von ‚chatGPT‘ zum ‚persönlichen Ghostwriter‘ zur ‚Schule der Zukunft‘“

  1. Sollte es tatsächlich mal soweit kommen, dass ich als Lehrkraft einfach nur noch Realia in den Unterricht bringe, und irgendein Algorithmus das Unterrichten übernimmt, kann man den Lehrberuf echt in die Tonne kloppen. Das kann dann wirklich jeder…

  2. „In weniger als drei Jahren wird der Buchhandel von der schieren Anzahl an KI-generierten Romanen durch Ghostwriter so überschwemmt, dass dies das Ende jeder professionellen Schriftstellerei bedeutet. “

    Da bin ich mir nicht sicher! Ist es nicht eher so, dass es Expertise benötigt, um die „Werke“ der KI zu generieren (Promts), zu beurteilen und zu verbessern? ChatGPT erwähnt neuerdings auch immer den Autor, wenn man einen Text „im Stil von“ anweist. Ein menschlicher Eingriff zur Verhinderung von Missbrauch.

    1. Nun, hinterher einmal drüber gehen und die Verweise entfernen. Am Ende könnte die schiere Masse an Literatur jede Orientierung ersticken. WIe jener Eumel, der in 8 Monaten 97 „Bücher“ (eher Kurzgeschichten) veröffentlich und damit Geld verdient hat.

  3. Wir hatten neulich SchiLF (eigentlich zum Thema Schulraumgestaltung), letztlich ging es dann natürlich auch um Bedürfnisse und fachspezifische Anliegen. Ich habe (im Fach Deutsch) festgestellt, dass sich der Deutschunterricht massiv wird wandeln müssen, weg von einer Aufsatzdidaktik hin zu kreativen Formen – d.h. zum Beispiel Aufführungskonzepte erstellen um umsetzen statt Dramenszenenanalyse. Zusätzlich rückt sicher die Lesekompetenz auch am Gymnasium wieder mehr in den Fokus. Ich finde das gut, weil der derzeitige Deutschunterricht an vielen Stellen weder den SuS noch dem Lehrstoff gerecht wird.

    Du ahnst, wie oft ich mal wieder (analog zum Gendern) „Das ist alles Spekulation“ oder „Ich bin ja nun extra GYMNASIALlehrer geworden, um diesen ganzen Quatsch nicht machen zu müssen“ gehört habe. Manchmal frage ich mich, ob die Verbeamtung von Leuten, die ihre eigenen Wünsche permanent vor die Lebenswirklichkeit anderer stellen, so eine gute Idee ist.

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