Durch Herrn Rau bin ich auf das Buch “Tom’s Midnight Garden” aufmerksam geworden (nebenbei bemerkt ein weiterer Grund dafür, einen Blog zu führen und möglichst viele zu lesen). Die Beschreibung klang ganz wunderprächtig und erinnert tatsächlich an “Die Frau des Zeitreisenden”. Als treuer Greys Anatomy-Gucker habe ich auch bei diesem schnulzigen romantisch-sehnsüchtigen Roman mehr als einmal schlucken müssen.
Ohne das Buch genauer zu kennen, habe ich es als neue Vorlese-Lektüre (dazu mehr hier) für meine Klasse ausersehen, eine gebrauchte Ausgabe bei Amazon gefunden und begonnen, es meinen Schülern vorzulesen.
Durch verschiedene Umstände musste eine Kollegin (Deutsch) in meiner Klasse vertreten und in Ermangelung einer Alternative bot ich ihr das Buch zum Vorlesen an. Die Klasse kannte es nicht. Ich kannte es nicht. Aber sie würde das bestimmt prima hinbekommen.
Die Kollegin freute sich, forschte schnell nach ein paar Informationen zur Autorin Philippa Pearce und druckte das Deckblatt der englischen Ausgabe des Buches aus. In der Klasse sprach sie mit den Kindern über die unterschiedlichen Titelbilder und es wurden Mutmaßungen angestellt, worum es in dem Buch gehen könnte.
Anschließend wurden die ersten Seiten vorgelesen, bis die Kollegin stoppte und die Schüler bat, in Stichworten den möglichen weiteren Verlauf des Buches schriftlich zu skizzieren. Einzelne Ideen wurden an der Tafel gesammelt; und dabei zeigte sich, dass die Jungen eher auf Gespenster, Angst und Grusel hofften, während die Mädchen ihren Fokus auf den Garten und das Klettern auf Bäumen legten.
Aus der Genderperspektive ist das natürlich ganz spannend zu betrachten.
Ich jedenfalls komme mir reichlich dämlich vor. Wieder einmal.
Da freue ich mich monatelang, mit dem Vorlesen von Büchern ein wunderbares Ritual gefunden zu haben – und dann schüttelt eine Deutschkollegin mal eben unvorbereitet eine komplette Stunde aus dem Ärmel, die weit, weit über das hinausgeht, was ich (als Naturwissenschaftler) so mit dem Lesen von Büchern verbinde.
Ich hoffe, dass das bleibt: Dieses sich-dämlich-fühlen. Das Staunen über die Einblicke und Arbeitsweisen anderer.
Sehr schön!
Und (für mich) sehr gut nachvollziehbar – sowohl das „naturwissenschaftliche Verständnis“ von „Buch lesen“ als auch das sich-dämlich-fühlen genauso wie das Staunen.
Wie war das mit den „unterschiedlichen Modi der Welterschließung“? 😀 😀 😀
Sie kann halt nicht aus ihrer Sicht als Deutschlehrerin raus. Ich würde wahrscheinlich nur Bücher, die mit Latein zu tun haben, nehmen und würde dann immer irgendwas raussuchen lassen, was mit meinem Fach zu tun hat 😀
Das ist eher Übung, denke ich, als eine grundsätzlich andere Sicht. Aber Übung und Erfahrung machen schon viel aus. Mir ging es früher als Vielleser und Lehrer auch so, dass ich erst mal nicht wusste, was ich zur Lektüre mit Schülern machen sollte.