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In diesem Artikel werfe ich einen Blick auf die Arbeitsstrukturen von Nobelpreisträgern, vergleiche sie mit denen in der Schule und stelle die Frage in den Raum, wie viel wir uns im Bildungssystem davon abgucken können?

Nobelpreisträger sind Teamspieler

Jöran Muuß-Merholz ist Diplom-Pädagoge und Buchautor (und Fernsehmensch und noch ganz viel anderes) und hat auf seinem Blog auf einen ganz spannenden Zusammenhang hingewiesen: Schaut man sich die Gewinner der Nobelpreise an, erkennt man einen signifikanten Anstieg der Team-Gewinner gegenüber Einzelpersonen in den letzten Jahrzehnten.

Veranschaulicht in einer Grafik sieht das so aus:

Von der Schule zum Nobelpreis. 1
Quelle: Joran Muuß-Merholz https://www.joeran.de/nobelpreis-kooperation/ )

Fokussiert man sich auf die (schulnahen) Fächer Medizin (blaue Linie), Physik (orange) oder Chemie (türkis) fällt deutlich auf, dass zuletzt mehrheitlich Teams den Nobelpreis gewannen und nicht mehr einzelne kluge Köpfe (im Vergleich: Literaturnobelpreis, rote Linie).

Das Fazit von Jöran:

Wenn es um eine „bedeutendste Entdeckung oder Erfindung“, die „der Menschheit den größten Nutzen geleistet haben“ (Testament von Alfred Nobel), dann wird Kooperation immer wichtiger. Waren die Akteure in Wissenschaft und Politik in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts noch Einzelkämpfer, so sind es heute mehrheitlich Teamarbeiter*innen.

Schüler sind Einzelkämpfer

Von der Schule zum Nobelpreis. 2Bezogen auf die Schule wirft das die ein oder andere Frage auf – denn das schulische System läuft dem genau entgegengesetzt. Mehrheitlich wird Faktenwissen abgefragt, im Abitur sitzt man allein und ohne Hilfsmittel vor einer Aufgabe, die binnen kürzester Zeit und nach einem vorgegebenen Weg abgearbeitet werden muss. „Kooperation“ ist in der Schule eher ein Betrugsversuch. Das Nutzen von Internetquellen während der Abiturprüfung? Undenkbar (außer man ist Björn Nölte!!)

Fazit:

Die erfolgreichsten Schüler (bezogen auf den Schulabschluss) sind jene, die Fakten und Lösungswege am besten auswendig lernen und wiedergeben können. Das war schon immer so und ist auch weiterhin der Fall.

Muss hier nicht ein Umdenken stattfinden?

Vor einigen Monaten schrieb ich über das Konzept „Request to Retest„, bei dem ein Schüler sich nach erfolgloser Prüfung dieser erneut stellen kann, wenn er seinen Lernfortschritt dokumentiert. Anstelle des „Pech gehabt, nächstes Thema“ oder aber einer „aufgezwungen Berichtigung“ tritt hier die aktive Möglichkeit des Schülers, seinen Fehler auszubessern (mehr dazu hier).

Letztlich geht es ja im größten Teil der Schulzeit gar nicht so sehr um Prüfungsergebnisse, sondern um Kommunikation, Kollaboration, Kreativität und kritisches Denken. Um Eigenverantwortung und Bildung und Menschwerdung. Und all diese Dinge passen hervorragend in offenen, projektorientierten Unterricht und überhaupt nicht in Prüfungen im schulischen Sinn.

Umdenken?

Die Mehrheit bleibt unter ihren Möglichkeiten.

Von der Schule zum Nobelpreis. 3Jeder von uns (ich ganz besonders) denkt in festgefahrenen Strukturen und engen Grenzen. Sie werden uns nicht nur von unserem Wissen und unserer Erfahrung vorgesetzt, sondern auch durch äußere Umstände, z.B. Gesetze (So sehr ich es mir auch wünsche – es ist nicht erlaubt, dass ich mir 10k Follower bei Twitter kaufe, um mein Selbstbewusstsein zu heben).
Oder: Wenn ich im Kollegium vorschlage, gemeinsam essen zu gehen dann schlägt jemand vor zum Italiener zu gehen, die Hauswirtschaftskollegin wirft in den Raum, man könne doch gemeinsam kochen und ein Dritter, man könne in seinem Garten zusammen grillen. All das sind völlig normale Vorschläge.
Aber niemand kommt auf die Idee, am Straßenrand ein paar Schnecken und Heuschrecken zu suchen, sie einzusammeln und dann gemeinsam zu verspeisen. Was für ein verstörender Gedanke! In anderen Teilen der Welt hingegen wäre das völlig akzeptabel. Wir sind gefangen in unseren kulturellen Grenzen. Und wenn man sich innerhalb dieser Grenzen, dieser Normen bewegt, dann tut man, was alle tun. Das Wort „Norm“ hängt mit dem Begriff „normal“ zusammen.
Erst, wenn ein Möbelbauer auf den Gedanken kommt, vielleicht keine fertigen Möbel mehr zu verkaufen, landet man am Ende vielleicht bei einem Geschäft wie IKEA. Erst, wenn ein Buchhändler auf die Idee kommt, vielleicht gar kein lokales Geschäft mehr zu benötigen, entsteht so etwas wie Amazon. Statistisch gesehen leisten drei Prozent der Menschen herausragendes. Im Sport. Im Beruf. Im Ehrenamt. Drei Prozent. Die Mehrheit bleibt unter ihren Möglichkeiten.

Um Grenzen zu überwinden, muss man aus ihnen ausbrechen.

Balance wahren

Webt man diese drei Gedanken zusammen, so komme ich zu dem Schluss, dass Teamarbeit eminent bedeutsam ist. An meiner Schule wird der Teamgedanke extrem hochgehalten und – so empfinde ich das – senkt dadurch massiv die Arbeitsbelastung. Ob Schulorganisation, Fachinhalte oder – ganz profan – Klassenarbeiten: Bei uns gibt es keine Einzelkämpfer. Aber es gilt auch: Ein Team besteht aus lauter fähigen Einzelpersonen. Erst, wenn diese ihre Expertise, ihr Wissen und ihre Leidenschaft einbringen können, ist eine Gruppe überhaupt leistungsfähig. Quasi der Gegenentwurf zur symbolischen „Gruppenarbeit“ in der Schule: Einer denkt, einer schreibt, zwei unterhalten sich.

Ich behaupte: Nicht nur zum Nobelpreis reicht es nur, wenn man vorher gelernt hat, richtig hart – und allein! – zu arbeiten. Auch ein guter Arzt wird man nur, wenn man vorher wahnsinnig viel Wissen angesammelt hat. Krankheitsbilder und Heilungsverläufe auswendig gelernt hat. Ein guter Lehrer ist nicht nur ein guter Teamplayer, sondern auch jemand, der Körpersprache lesen, der Gesprächsmuster analysieren und beeinflussen und pädagogische Konzepte formulieren kann.

Von der Schule zum Nobelpreis. 4

Fazit

Wenn Sie es wider Erwarten geschafft haben, diesen Artikel bis hier zu lesen, dann haben Sie das mutmaßlich allein vollbracht. Neue Ansichten und Fakten haben es in Ihr Kurzzeitgedächtnis geschafft und verweben sich dort mit dem, was Sie schon wissen. Ob Sie zu dem Schluss kommen, das ist doch alles Quatsch oder interessant, so habe ich das noch nicht gesehen ist dabei nebensächlich: Sie haben Wissen erworben und dies geschieht erst einmal nicht im Team.
Erst im zweiten Schritt kann man darüber diskutieren.

In den Kommentaren hier.

Oder bei Twitter.

Oder einem Kaffee.

Oder wir sammeln gemeinsam ein paar Heuschrecken ein und grillen sie in meinem Garten.

5 Gedanken zu „Von der Schule zum Nobelpreis.“

  1. Zu Ende gelesen!
    Und von meiner Seite bestärkt dieser Artikel meine Gedanken der letzten Tage.
    Nach einem Schulwechsel zwecks sehr deutlicher Reduzierung der täglichen Fahrzeit stelle ich fest:
    Irgendwie ist mein Schwung weniger, Ideen für den Unterricht und auch mein pädagogisches Händchen sind gefühlt fantasielos. Mich macht das unzufrieden und in den Ferien war Muße zum Überlegen der Ursache da.
    Ergebnis:
    In der vorherigen Schule gab es Teams. Austausch über Beobachtungen zu Schülern, Austausch zum Umgang mit Schülern, Ideen zur Unterrichtsgestaltung, Verwerfen von Dingen und neu ordnen. Dabei viel lachen, gemeinsames Essen und auch das eine oder andere Gespräch über Schule hinaus.
    DAS hat mich viel besser sein lassen als Lehrerin. Das hat mich zufrieden gemacht.
    Ich gewinne sicher kein Nobelpreis damit, aber sehr viel Selbstwirksamkeit und Zufriedenheit.
    Macht es bei euch also weiter wie bisher. Es lohnt sich für den persönlichen Gewinn.
    Fazit für mich:
    Vielleicht neue Schule?
    Und dort Team finden und auch in den Klassen ein „Wir“ leben?
    Das passt inhaltlich vielleicht nicht immer und überall im Unterricht ,aber auf der menschlichen Ebene wäre ein guter Anfang. Wenn es Menschen gibt, die das mit versuchen.
    Vielleicht hilft das Schaubild dabei?
    Und ein wenig Glaube an „Veränderungen sind möglich?

  2. Ich kann aus meiner Schülerrolle sagen, dass mich die Referendar*innen nerven, weil sie so viel Gruppenarbeit machen. Das Konzept bzw. die Grundidee von Gruppenarbeit würde ich an sich befürworten. Aber die Umsetzung sieht in den meisten Fällen doch eher miserabel aus. Die SuS habe alle verschiedene Charakterzüge und Interesse. Gruppenarbeit ist immer auch Kommunikation verbunden. Ich arbeite nicht gerne in einer Gruppe, weil es mich nervt, wenn um mich herum 3 Personen stehen, die mir beim Arbeiten zu sehen. Jeder Mensch strukturiert anders und die meisten, mich mit inbegriffen, finde ihre eigene Art am besten. Wenn ich in einer Gruppenarbeit den Part des Schreibens übernehme, kann ich nicht gut mitdiskutieren und meine Punkte einbringen. Wenn ich nicht schreibe, ist mein Einfluss auf die Struktur geringer. Das größte Problem an Gruppenarbeit ist, dass jeder dort mit seinem eigenen Anspruch hinein geht. Die Menschen, die geringere Ansprüche habe oder denen die Arbeit schlicht und ergreifend egal ist, ordnen sich unter. Ich mag Gruppenarbeit. Gruppenarbeit mit kompetenten Personen, die alle ein Ziel verfolgen.
    Ich würde mir einfach von den neuen, jungen Lehrer*innen wünschen, dass sie genau überlegen, wo eine Gruppenarbeit sinnvoll ist und wo nicht.

    1. Danke für deinen Einwurf.
      Ich würde unterstellen, dass die meisten jungen Lehrer*Innen sich das recht genau überlegen – aber eine heterogene Klasse immer Unzufriedenheit erzeugt, gleich welche Methode genutzt wird: Einer mag gern allein, der nächste im Team arbeiten. Zufrieden sind am Ende nie alle.

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