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5 Minuten Schulentwicklung: Physikunterricht.

Mit Beginn dieses Schuljahres ist, inmitten der Corona-Pandemie, an meiner Schule ein riesiger Schulentwicklungsschritt vollzogen worden. Wir haben den Stundenplan an vielen Stellen aufgelöst und vielstündige Lernbüros eingeführt. Den Unterricht in „Gesellschaftslehre“ und „Naturwissenschaft“ haben wir daran angedockt und überdies als Projektunterricht fest im Lehrplan verankert. Zu jedem Halbjahr dürfen sich die Kinder in Werkstätten einwählen, die ihren Neigungen entsprechen – so sind drei meiner Schüler*innen dieses Halbjahr in einem Kletterkurs.

So kommt es, dass in meiner Klasse mit 28 Kindern rund 20 verschiedene Stundenpläne gelten. Jedes Kind ist in einem anderen Lernbüro, in einer anderen Werkstatt und arbeitet über mehrere Monate hinweg an eigenen Projekten (hier Beispiele dazu). Ich kann mein Kollegium gar nicht genug für diesen gewaltigen – auch kognitiven – Kraftakt bewundern.

Meine kleine Gesamtschule aus Siegen hat etwas vollbracht, dass sogar Marianne Janik, die Geschäftsführerin von Microsoft Deutschland, so aufmerksam hat werden lassen, dass sie über uns geschrieben hat.

Schulentwicklung ist ein dauerhafter Prozess

Betrachte ich die vergangenen Monate, dann haben wir diese Entwicklung nicht als „Schritt“ betrachtet, sondern als „Prozess“. Und das ist herausfordernder, als es zunächst klingt:

Die Einführung von Tabletklassen oder die Erarbeitung einer Handynutzungs-Verordnung ist ein Arbeitsakt, der mit Einführung und Umsetzung relativ zügig abgeschlossen ist. Sobald Die Tablets da sind, kann man sich der nächsten Baustelle zuwenden.

Eine so gewaltige Schulreform, wie wir sie aber durchgeführt haben, steckt voller Fehler und Optimierungsmöglichkeiten. Viele Kleinigkeiten. „Wie lässt sich einfach mitteilen, dass das Lernbüro XY morgen ausfällt?“
Nichts dramatisches, aber Ärgernisse die im Laufe der Wochen und Monate ausgebügelt wurden. So haben wir uns als Schule in einem ständigen Reflektionsprozess befunden. Eltern gaben Feedback, Schüler*innen gaben Feedback, Lehrer*innen meldeten zurück, an welchen Stellen es Möglichkeiten zur Verbesserung gab und gibt.

Baustelle: Physikunterricht (aus Perspektive der Lehrkraft)

Eine größere Baustelle unseres Schulsystems ist der naturwissenschaftliche Projektunterricht. Er bietet grundsätzlich alle Freiheiten, die das Herz begehrt: Fächerübergreifendes Arbeiten samt Projektgedanken. Viel Zeit im Stundenplan durch den Projekt-Fachunterricht und die angedockten Lernbüros, in denen die Kinder in den Fachräumen experimentieren und forschen können. Großartig wäre überdies der Gedanke, zusätzlich noch freiwillige Werkstätten anzubieten: Lust auf Genetik? Lust auf Radioaktivität? Wähle einfach eine passende Werkstatt dazu!

Aber: Die Freiheit ist auch herausfordernd: Auf welchem Fachbereich liegt der Fokus in welchem Jahr? Wann kommen biologische, chemische oder physikalische Inhalte vor?

Baustelle: Physikunterricht (aus Perspektive der Schulleitung)

Aus Schulleitungsperspektive bereitet der naturwissenschaftliche Unterricht größere Bauchschmerzen: Fachunterricht und Lernbüros müssen von Fachlehrer*innen begleitet werden und das frisst viele Stunden. Das Land gibt vor, wie viele NW-Stunden von Klasse 5-10 erteilt werden müssen.

Wenn ich im Jahrgang 5 bspw. mit dem Fach Biologie starte, brauche ich bei einer vierzügigen Schule u.U. haufenweise Biologielehrer. in der 5. Führe ich den Gedanken von (jahrgangsstufen-)gemischten Werkstattkursen fort, müssen alle diese Kurse gleichzeitig stattfinden, also „auf Band“ liegen. Das macht den Bau des Stundenplans komplizierter und kostet Lehrerstunden.

Schwierig sind außerdem etwaige Ausfälle: Kolleg*innen die in Elternzeit gehen, Vertretungskräfte die von heute auf morgen wegbrechen können, Lehramtsanwärter*innen mit zeitlich begrenzter Perspektive.

5 Minuten Schulleitung

Mit einem halben Jahr Erfahrung und einem Blick für die Baustellen, haben uns heute eingeschlossen und den ganzen Tag geplant und gerechnet und diskutiert und verworfen. Obwohl man nur herumsitzt, ist das eine wahnsinnig anstrengende Arbeit: Immer wieder nachschlagen, was die BASS sagt. Immer wieder eine komplette Schülerlaufbahn durchdenken. Immer wieder überlegen, wie solche Kurse in zwei, drei, vier Jahren aussehen könnten.

Am Ende sind wir mit einem guten Zwischenergebnis auseinandergegangen. Das muss sich jetzt zwei Tage setzen. Am Donnerstag treffen wir erneut zusammen und bessern aus, was uns bis dahin an groben Schnitzern aufgefallen ist.

Nächste Woche Dienstag optional ein drittes Treffen, bevor es dann in die NW-Konferenz mit allen Kolleg*innen geht. Denen wird sicher nochmal das ein oder andere auffallen, was uns entgangen ist.

Perspektivisch werden wir – so ist zumindest der aktuelle Stand mit Garantie auf Veränderung – dem Fach Physik eine größere Bedeutung zukommen lassen. Dieser Gedanke bereitet mir gleichzeitig Bauchschmerzen und kitzelt mich.

Ich halte mich für einen ganz passablen Mathematiklehrer und auch im Fachbereit Technik bin ich nicht ganz fehl am Platz. Aber in der Physik fehlt mir seit jeher der rote Faden. Immer wieder habe ich Highlights im Unterricht gehabt: Bären vom Schuldach geworfen oder Kinofilme im Unterricht analysiert. Aber ich will mehr.

Ich will mich selbst so auf meinen eigenen Unterricht freuen, wie ich das oft genug in Mathematik oder Technik empfinde.

Sollte die Physik durch die NW-Konferenz wirklich an Bedeutung gewinnen, habe ich ein halbes Jahr Zeit meinen roten Faden zu suchen. Und ich freue mich drauf. Das wird nochmal richtig spannend.

2 Gedanken zu „5 Minuten Schulentwicklung: Physikunterricht.“

  1. Glückwunsch!
    Das hört sich toll an, ein Lehrer der sich auf seinen Unterricht freut. Neben all der anderen positiven Berichte (Tabletklasse, Projektunterricht, Lernbüros erc).
    Überlege mit Sohn nach Siegen umzuziehen!!

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