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Schulentwicklung: Beratung & Lernbüros #2

Die Corona-Krise hat alte Strukturen aufgebrochen und schulisch viel durcheinandergewirbelt. Das bietet auch die Chance, Schule nachhaltig zu verändern. In dieser Artikelreihe beschreibe ich, wie meine Schule diesen Transformationsprozess angeht. Viel von dem, was in diesem und weiteren Artikeln steht, habe ich mir nicht selbst ausgedacht, da steckt viel KnowHow von anderen Schulen und Kollegien drin.

Gemeinsamer Anfang

Wenn die Rolle der Lehrkraft mehr als Lernbegleiter oder Tutor aufgefasst und wenn den Schüler*innen mehr Eigenverantwortung zugemutet werden soll, dann braucht es feste Zeiträume zur Organisation dieser Abläufe. Mit diesen Zeit-Räumen beginnt ab dem kommenden Schuljahr jeder Schultag.

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Von 8:00 bis 8:30 Uhr haben die Klassenlehrer*innen Zeit, mit einzelnen Kindern die Arbeitsphasen zu planen: Wann erledigst du welche Aufgaben? Musst du dich diese Woche vielleicht mehr auf Englisch konzentrieren? Hast du letzte Woche evtl. Mathematik etwas vernachlässigt? Diese Planungen werden im Lernplaner (s.hier) eingetragen.

Wenn nichts ansteht (weil ein Großteil der Schüler*innen irgendwann den Dreh raus hat und sehr schnell selbstorganisiert arbeiten kann), lässt sich die Zeit für lustige Anekdoten und Beziehungspflege oder einen fließenden Anfang nutzen: Zu tun gibt es schließlich immer.

Lernbüros zum Arbeiten

Aus dem gemeinsamen Anfang geht es den Vormittag über in die verschiedenen Lernbüros. Diese Räume sind von verschiedenen Fachlehrer*innen besetzt: Im Erdgeschoss stehen drei Räume für Mathematik zur Verfügung, eine Etage darüber vier Räume für Englisch (zwei um still zu arbeiten und zwei, um Hörverstehens- und Sprechübungen miteinander anzugehen).

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Schüler*innen, die heute lieber ihre naturwissenschaftlichen Aufgaben angehen wollen, finden die Fachräume geöffnet: Ob Biologie, Chemie oder Physik – überall sitzt eine Fachlehrerin bereit und hilft bei Fragen, unterstützt bei der Durchführung von Experimenten und hält Material bereit. Bei der Planung gilt es aufzupassen: Montags ist vielleicht der Physikraum nicht besetzt. Aber das haben die Kinder schnell verinnerlicht.

In den Matheräumen liegt Material bereit. Würfel zum berechnen des Volumens, Memory-Spiele zum merken der binomischen Formeln und natürlich: Jede Menge Lerntheken. Die Lernbüros sind für alle offen: Es sitzen 5er neben 7ern im gleichen Raum – aber alle Kinder können sich jene Lehrer*innen aussuchen, mit denen sie am besten klarkommen: „Mittwochs hat Frau Müller den Matheraum 1 – da will ich auf jeden Fall hin! Die erklärt mir alles ganz genau!“ „Uh.. Frau Müller? Niemals! Donnerstags ist Herr Müller im Matheraum 2! Der ist viel besser! Ein Wunder, dass die verheiratet sind!“

Planer für Lernbüro

Es wird spannend werden zu beobachten, welchen Einfluss dieser Faktor auf das Lernen nimmt. Wenn ich sich ein Kind jene Lehrer*innen aussuchen kann, mit denen es auf fachlicher und emotionaler Ebene am besten klarkommt, kann das eigentlich nur positiv wirken.

In den Lernbüros wird konzentriert gearbeitet. Die Fachlehrer*innen unterstützen und zeichnen im Lernplaner ab, das und wie gearbeitet wurde – darauf können die Klassenlehrkräfte zugreifen.

Kurz vor der Mittagspause gibt es noch ein zweites Beratungsband.

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Hier wird im Klassenverband weiter an den Hauptfächern gearbeitet oder Beratungstätigkeiten durchgeführt. „Jonathan, wie kommst du voran?“ Solch eine Stunde lässt sich auch als Klassenlehrerstunde nutzen oder (hin und wieder) als Fachstunde.

Im Grunde unterscheidet sich das nur im Detail von der Arbeit, die bisher auch schon lief: Der Zeitumfang ist größer und die Lernbüros werden nun thematisch sortiert, statt nach Klassen. Die Blockung auf den Vormittag führt jedoch dazu, dass zwischen acht und zehn in der gesamten Schule eigenverantwortliches Arbeiten an den Orten und mit jenen Personen herrscht, an und mit denen man sich wohl fühlt. Und es verschiebt das eigentliche Lernen weg vom Unterricht hin in die offenen Angebote. Denn klar ist: Bei einer massiven Ausweitung der Lernzeiten muss an anderer Stelle gekürzt werden.

Aufregender wird der Aufbruch der klassischen Schulfächer sein, von dem ich später-  noch erzählen werde, zunächst aber wollen wir noch einen Blick auf den Fachunterricht werfen.

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10 Gedanken zu „Schulentwicklung: Beratung & Lernbüros #2“

  1. Annette Früchtel-Nagel

    Ein Traum!
    An bayerischen Gymnasien muss die Klassenleiter*in die Zeit, die sie für die Klassenleitung braucht vom Fachunterricht abzwacken. Das meiste geht dann leider für Formalkram drauf, der sich in die Kategorie „dringlich“ und „unbedingt zu erledigen“ schiebt, für den Bereich der Teambildung und der Förderung der Sozialkompetenz bleibt dann leider nur noch der Katzentisch…
    afn

  2. Lieber Jan-Martin,

    nach dem kurzen Begeisterungsruf bei Twitter jetzt mal ausführlicher. Ich bin wirklich beeindruckt von der Flexibilität und dem Mut bei euch. Ich freue mich sehr auf viele neue Berichte über dieses Vorhaben und nehme wahnsinnig viel mit an Inspiration. Vielen Dank für deine Einblicke!

    Viele Grüße
    Sarah

  3. Ich wünsche euch auf jeden Fall auch viel Erfolg bei eurem Vorhaben und freue mich ebenfalls darauf, im nächsten Schuljahr zu lesen, wie es läuft.

    Die Idee, dass sich jeder Schüler in den Lernbüros seinen Lehrer aussuchen kann, ist sicher interessant. Hier sehe ich aber auch eine Gefahr: Was macht ihr, wenn sich 80 % der Schüler lieber etwas von Frau Müller und nur 20 % von Herrn Müller erklären lassen wollen? Das könnte durchaus zu einer ziemlich ungleichen Belastung der verschiedenen Lehrkräfte führen.

    Interessieren würde mich auch, wie diese Umstrukturierung im Kollegium aufgenommen worden ist. Bei so einschneidenden Maßnahmen wird es ja sicher nicht nur Befürworter, sondern auch Gegner gegeben haben – wie nehmt ihr die mit ins Boot und überzeugt sie? Denn damit ein solches Projekt funktioniert, müssen ja zumindest sehr viele Kollegen an einem Strang ziehen.

    1. Das sind Gedanken, die wir uns im Vorfeld auch gemacht haben.
      Ein Aspekt wird sein, dass ein Lernbüro nur x viele Schüler:innen aufnehmen kann, dann ist es voll. Die Räume dürfen also nicht überladen sein. Außerdem gilt: Frau Müller ist vielleicht super – aber wenn bei Herrn Müller nur 5 Kinder sitzen und er plötzlich viel mehr Zeit hat, ist sein Lernbüro womöglich deutlich attraktiver, als das mit Frau Müller und 25 Lernenden.

      Zum zweiten Teil der Frage, der Implementation, schreibe ich später einen ausführlichen Artikel in der Reihe.

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