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Harlem Shake in unserer Schule.

Ein wirklich, wirklich langer Tag ist für mich zu Ende.

Meine (geliebte) Co-Klassenlehrerin Tamara geht in Mutterschutz und lässt mich im Stich mit meiner Klasse allein. Dadurch fehlt sie nicht nur als Person, sondern es müssen für Deutsch und Englisch sinnvolle Lösungen gefunden werden. Verabschiedet wurde sie mit einem Überraschungs-Harlem-Shake meiner Klasse. (ich sprang mit Blumen aus dem Klassenschrank, just in der Sekunde, da sie vor Wut über das Chaos explodieren wollte… :-D) und einem Frühstück in den ersten zwei Stunden.
Ich selbst bleibe mit Bauchschmerzen zurück. Ich bin gerade ein paar Monate Lehrer und soll allein eine Klasse führen? Und dann eine Inklusionsklasse? Gefühlt hat Tamara alles Wichtige erledigt und immer den Überblick über alles gehabt. Ich fühle mich wie ein Scharlatan.

Weiter ging es mit einer Mathematikarbeit. Mal sehen, was das geworden ist. Anschließend ein Fußballturnier. An meiner Schule gibt es einmal im Jahr ein großes Fußballturnier aller Jahrgänge. Vorfreude und Hoffnung mischen sich mit Frotzeleien und allgemeiner Spannung. Ich erzählte meiner Klasse vom Ringelmann-Experiment und schwor sie darauf ein, dass wir uns – wenn nicht durch besondere fussballerische Begabung – so doch durch eine starkes Miteinander auszeichnen. Ich wolle fliegende Wechsel sehen und würde lieber mit meiner ganzen Klasse Letzter,  als dass nur fünf Leute uns zum Sieg brächten und alle anderen auf der Bank zusähen.
Eine Herausforderung sind meine beiden Zwillinge mit Glasknochen gewesen. Auf die Tribüne kommt man nur über ein Treppenhaus. Links und rechts und vorne und hinten und überall sind kreischende, jubelnde und fluchende Schüler. Einigermaßen erfolgreich haben meine Schüler Gassen gebildet und Bodyguards gespielt. Die Integrationshelferinnen trugen die Mädchen, zwei Schüler die Rollstühle und auf gings ins Getümmel.

imageSolche Situationen sind Streß pur. Zweihundert Schüler auf engem Raum, ohrenbetäubender Lärm, dichtes Gedränge. Nicht nur der Rest meiner Klasse musste sich in den vergangenen Monaten darin üben, Rücksicht auf die Zwillinge zu nehmen – auch die beiden Mädchen mussten lernen, solche Situationen auszuhalten. Aber alles ging gut.

Das Turnier selbst war in erster Linie Spaß. Die Mädchen brauchten ein Spiel, um die Sportart (und die Richtung, in die sie spielen mussten) kennenzulernen, schlugen sich dann aber achtbar aus der Affaire. Nachdem sie im ersten Spiel noch sang- und klanglos untergingen, klopfte mir ein Kollege mitfühlend auf die Schulter: “Nur Mut. Als nächstes steht ein Tischtennisturnier an – fang am besten rechtzeitig mit dem Training an.” Aufregung gab es zu Schluss. Unsere Jungs holten Sieg um Sieg und wurden zunächst verdient Zweiter. Zweiter? Großes Getümmel. Die Spielleitung hatte sich verzählt. Die jubelnde Parallelklasse zurückgepfiffen. Aufregung. Ein Elfmeterschießen sollte die Entscheidung bringen.

imageMittlerweile wartete mein Oberstufen-Physikkurs brav vor dem Saal auf mich. Aber ich konnte unmöglich meine eigene Klasse im Stich lassen. Also schrieb ich einigen via Facebook wo ich sei.
Ich verstehe alle Kritiker dieses sozialen Netzwerks und möchte auch keine (weitere) Debatte vom Zaun brechen: Aber an dieser Stelle sieht man den praktischen Nutzen: Die Schüler lasen meine Nachricht und kamen vollzählig in die Halle geströmt, um meine Kasse anzufeuern (ich musste ihnen Druck machen, die richtige Klasse zu bejubeln). Das ist schlicht und ergreifend praktisch.
Das Elfmeterschießen gewannen wir – wiederum nach Turbulenzen, Tränen und Frust und falschem Zählen durch die Schüler-Spielleitung.

So sehr ich mich über den Erfolg meiner Klasse freue, gab es heute andere Dinge, die mir wichtiger waren1. Die fliegenden Wechsel haben wunderbar funktioniert. Jene Schüler, die nicht spielen wollten, unterstützten die anderen mit ihren Vuvuzelas und lautem Gegröhle. Eines der Mädchen hatte ihre Cheerleader-Uniform dabei und tanzte abseits des Feldes. Jeder in der Klasse hatte das Gefühl, etwas beigetragen zu haben. Und als meine 5er unten noch feierten und sich langsam Richtung Kabine bewegten, halfen meine 11er die Rollstühle und Zwillinge nach unten zu geleiten. Als ich in der letzten Stunde des Tages wieder vor meiner eigenen, glücklichen Klasse saß, sprachen wir über das Turnier und den Erfolg und trafen die Entscheidung, den Preis (Süßigkeiten) mit eben jener Parallelklasse zu teilen, die im Elfmeterschießen so unglücklich verloren und zwischenzeitlich viel Frust aufgebaut hatte. Also strömte meine gesamte Klasse in deren Unterricht, bedankte sich für das Turnier und den Wettkampf und übergab die Hälfte des Preises.

Hinterher kam die Kollegin zu mir und erzählte von den Reaktionen der Klasse. “Eigentlich waren wir voll sauer auf die 5b, aber das sind wir jetzt gar nicht mehr.”
Erziehung ist und bleibt ein wesentlicher Bestandteil dieses Berufs. Und ich glaube, alle meine Schüler haben heute eine Menge gelernt.

Abends dann noch Elternstammtisch.
Austausch von Anekdoten und Sorgen. Ein geselliger Abend – auch wenn man als Lehrer natürlich immer etwas außen vor ist. Etwas Sehr wehmütig, weil es auch der Abschied meiner Kollegin war.

Damit wünsche ich zum einen frohe Osterferien und verknüpfe das direkt mit einer Entschuldigung: Dieses Blog ist angesichts seiner Größe zu unübersichtlich geworden und wird irgendwann nächste Woche umgebaut – dadurch entsteht bestimmt eine Menge Chaos. Das liegt dann an mir.

Lehrer sein. Kein Halbtagsjob.

3 Gedanken zu „Fußballturnier (mit Glasknochen)“

  1. wie schön 🙂 wenn man diesen Artikel ließt wäre man gerne dabei gewesen!
    So soll es doch schließlich sein!

    Kannst stolz auf deine Kids sein 🙂

    liebe Grüße & schöne Osterferien

  2. Toll, so viel Erfolge an einem Tag! Mit der fünften Klasse, mit der elften Klasse, mit den Mädchen, mit den Jungen, im Fussball, in der Gemeinschaft, in der Erziehung, mit den Eltern! Zehre davon, wenn mal wieder andere Zeiten kommen. Ich freue mich mit und wünsche schöne Ostern! (Hier in Hamburg sind die ferien leider schon vorbei).
    Und wer braucht denn eine zweite Klassenlehrerin, wenn alles so gut klappt…. :>)

  3. Pingback: Lehrerwechsel vs. Kontinuität? - ...ein Halbtagsblog...

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