Zum Inhalt springen

„Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“

In einem kurzen Film, der für eine bessere Lehrerausbildung wirbt, berichten drei Lehrer (Quelle: „Lehrer am Limit„) darüber, wie überfordert sie stellenweise mit ihrer Rolle als „Lehrende“ während des Referendariats gewesen seien.

Einer von ihnen erzählt, wie er von einer Schülerin über alle Tische hinweg angeschnauzt wurde: „Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“

Wie reagiert man da1?

In einer Artikelreihe zum Kommunikationsmanagement setze ich mich mit der Frage auseinander: „Welches Handwerkszeug macht eigentlich einen guten Lehrer aus?“
Weil der letzte Text aus dem Mai stammt, lohnt sich ein kleiner Rückblick zum anknüpfen an das Vorwissen:

Rückschau der Artikel"Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!" 1

  1. Zunächst habe ich Stammtisch-Thesen gesammelt und offene Fragen aufgeschrieben: Männer haben es leichter als Frauen. Wie schafft es Kollege X, so souverän vor der 8e zu stehen? (Link zum Artikel)
  2. Es macht einen Unterschied, ob ich mich selbst fortbilde oder nach Wegen suche, mein (ganzes) Kollegium zu stärken. Letzteres ist besser und bietet mehr Möglichkeiten der Umsetzung.  (Link zum Artikel)
  3. Das Kurskiosk als eine Möglichkeit, Expertise und Training im Kollegium zu steigern. (Link zum Artikel)
  4. Etwas außerhalb der Reihe: Ich analysiere, weshalb ich immer wieder den Drang verspüre, mir ein iPad zu kaufen und erfasse drei Leitlinien eines guten Verkäufers. Diese Grundlagen werde ich später noch einmal aufgreifen (Link zum Artikel)
  5. In „Der Lehrer als König im Klassenzimmer“ führe ich in das Statusmodell von Johnstone ein und erkläre, warum auf der Bühne den König „immer alle anderen spielen“, nur nicht der König selbst. (Link zum Artikel)
  6. In „Der Lehrer als Schauspieler im Klassenzimmer“ steige ich tiefer in das Statusmodell ein und beschreibe anhand verschiedener Prominenter den Unterschied zwischen Hoch- und Tiefstatus und betone, dass der eine nicht besser als der andere ist. Der Artikel schloss mit einer Selbstbeobachtung:
    Bewege ich mich mehr im Hoch- oder im Tiefstatus? Wie rede ich mit meinem Partner? Wie mit meinen Kindern? Wie gehe ich mit Kolleginnen und Kollegen um? Wie begegne ich Referendaren, wie dem Hausmeister und wie der Schulleitung? (Link zum Artikel)

Zur Erinnerung:

Wann immer sich zwei Menschen begegnen („Man kann nicht nicht kommunizieren“) handeln sie Status aus: Wer führt, wer folgt? Menschen neigen zu einem Statusausgleich: Wer immer im Tiefstatus ist, will das Gegenüber irgendwann herunterziehen (z.B. profan durch Geläster), wer immer im Hochstatus ist, zieht den Gesprächspartner irgendwann nach oben („Jetzt hör mal auf zu jammern, kneif die Arschbacken zusammen und…“).

Die Zeiten, in denen ein Lehrer (bzw. eine Lehrerin) den Klassenraum betreten und aufgrund ihres Berufes davon ausgehen konnte, im Hochstatus akzeptiert und respektiert zu werden, sind vorbei. Das oben aufgeführte Beispiel des Kollegen verdeutlicht dies:

Die Schülerin stellt den Hochstatus des Lehrers öffentlich in Frage, zieht ihn herunter.

Lehrertypen

Ein Großteil der Lehrerinnen und Lehrer lässt sich folgenden drei Typen zuordnen (der Lesbarkeit wegen beschränke ich mich auf ein Geschlecht):

  1. Herr A: Er ist sehr beliebt, besonders bei den Kleinen. Aber spätestens in der Mittelstufe herrscht Chaos pur. Er versucht sich durchzusetzen, aber die Schüler nehmen ihn nicht wirklich ernst.
    Er ist ein Tiefstatus-Spieler.
  2. Herr B: Er ist nicht nur unbeliebt, sondern gefürchtet. In seinem Unterricht herrscht ein eisernes Regime. Die Schüler haben Angst vor ihm.  Disziplinprobleme gibt es bei ihm nicht. Er ist ein permanenter Hochstatus-Spieler.
  3. Herr C: Bei ihm scheint alles irgendwie von allein zu laufen. Er straft nie, wird von den Schülern aber respektiert. Oft der Typ Vertrauenslehrer. Er ist ein Status-Wechsler.

Ich behaupte: Jeder wäre gerne wie der dritte Lehrer. Vielleicht nicht mehr, wenn man schon zwanzig Jahre als Lehrer gearbeitet und sich mit seiner Position abgefunden hat – aber niemand geht ins Referendariat mit dem Ziel, ein gefürchteter Professor Snape zu werden.

Denn – und das ist so wichtig, dass ich es noch mehrfach erwähnen werde – wir Lehrer haben manchmal den Eindruck, immer im Hochstatus agieren zu müssen. Aber das ist falsch. Falsch! Falsch!!

Ein an Herrn C angelehnter Lehrer ist kein Hochstatus-Spieler. Er begegnet den Kindern immer wieder auf Augenhöhe, er kann über sich selbst lachen und fühlt sich in seiner Autorität nicht angegriffen, wenn ihm ein frecher Spruch gedrückt wird. Er „spielt“ mit seinem Status, wie auf einer Wippe.

Hoch- und Tiefstatus

Um aber ein Statuswechsler zu werden, müssen wir zunächst verstehen, durch welche Gesten, Körperhaltungen und Signale ich bei anderen den Eindruck von Hoch- bzw. Tiefstatus erzeuge.

TiefstatusHochstatus
  • redet schnell, nervös und leise
  • benutzt Füllwörter wie „äh“ und „hm“
  • meidet oder unterbricht den Blickkontakt
  • Blick führt oft zum Boden
  • nimmt wenig Raum ein, Hände dicht am Körper oder im Gesicht
  • macht viele überflüssige Bewegungen
  • versucht alles richtig zu machen und andere zufriedenzustellen – reagiert dabei schnell
  • entschuldigt sich eher zu oft, gern auch vorauseilend
  • lässt sich unterbrechen
  • antwortet schnell
  • sitzt asymetrisch und klein auf dem Stuhl; fluchtbereit
  • spricht zielgerichtet und deutlich; eher langsam
  • plappert nicht, sondern spricht fundiert; nimmt Zeit und Raum beim Sprechen in Beschlag
  • spricht bewusst leise, um die anderen zum Zuhören zu zwingen oder bewusst laut, weil es alle hören sollen
  • hält den Blickkontakt ohne zu starren
  • hält den Blick oben
  • nimmt viel Platz ein, nutzt weite Gesten; sitzt gelassen auf dem Stuhl
  • wenige Bewegungen, eher ruhig und selbstsicher
  • gibt Anweisungen
  • respektiert die Privatsphäre des Gegenübers nicht – dringt in deren Raum ein
  • antwortet eher langsam – macht Pausen beim Sprechen
  • führt das Gespräch

Kommen wir gedanklich noch einmal zu dem Beispiel der Schülerantwort zurück („Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“) und versuchen sie einzuordnen:

Vorstellbar ist, dass der Lehrer bisher immer im Tiefstatus agiert hat: Er versucht die Kinder zu überreden, doch mitzumachen und verspricht bei gutem Benehmen auch eine Belohnung. Die Klasse nimmt ihn nicht ernst und jene Schülerin drückt das auch stellvertretend für die ganze Klasse aus: „Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“
Denkbar ist aber auch, dass der Lehrer bisher immer im Hochstatus agiert hat. Er lenkt, bestimmt, führt den Unterricht. Gelacht wird nicht, nur gearbeitet. Es macht sehr deutlich, dass er den Schülern nur wenig Respekt entgegenbringt – die haben ja auch noch nichts geleistet im Leben. Und irgendwann sind die Schüler nicht nur gelangweilt, sondern auch genervt von ihm, bis einer Schülerin schließlich die Hutschnur platzt: „Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“

Der entscheidende Punkt ist: Die Fehler wurden vorher gemacht.
Eine kluge Reaktion jetzt kann höchstens die Situation gesichtswahrend retten – aber im Vordergrund muss die Frage stehen: Wie konnte es zu dieser Situation kommen?

Das ist natürlich unangenehm und beinhaltet auch die Fragen Ist mein Unterricht vielleicht wirklich schlecht? Wie stehe ich generell vor dieser Klasse? Wie ist mein Verhältnis zur Klasse und dieser Schülerin im speziellen? Warum hat die Schülerin das Bedürfnis, mich vor allen so zu demütigen?

Eine Antwort darauf lautet: Die Beziehung zu meinen Schülern lässt sich durch das Statusmodell verstehen und (positiv) beeinflussen.

Reaktionsmöglichkeiten

Aber, alle diese (wichtigen) Fragen einmal beiseite gewischt: Wie würde ich konkret in dieser Situation reagieren?

Situation: Ich mache Unterricht. Anastasia quatscht über zwei Bänke hinweg mit ihrer besten Freundin. Ich weise sie daraufhin (Hochstatus), den Schnabel zu halten und besser aufzupassen, das Thema sei – natürlich – wichtig. Anastasia ist genervt (Tiefstatus) und sagt: „Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“ Anastasia untergräbt meine Autorität. Sie reißt mich aus dem Hochstatus und die ganze Klasse sieht zu.

  1. Ich könnte darum kämpfen, meinen Hochstatus zurückzugewinnen. Dazu könnte ich sie mehr oder weniger dezent maßregeln. Von einem bestimmten „Du bleibst nach der Stunde einmal hier“ bis zum Rauswurf aus dem Unterricht oder dem Zitieren zum Direktor gibt es eine Fülle an Möglichkeiten.
    Die Gefahr besteht natürlich, dass Anastasia sich erst recht verweigert: „Nö. Und Sie können mich nicht zwingen.“
  2. Ich könnte ihren Spruch ignorieren und im Unterricht weitermachen. Dann würde ich im – von ihr aufgezwungenen – Tiefstatus verharren und so tun, als wäre nichts geschehen. Eine Konsequenz könnte aber sein, dass ich zukünftig mit noch mehr Unterrichtsstörungen zu kämpfen habe, die ich nicht mehr einfangen kann.

Tatsächlich würde ich einen dritten Weg wählen. Ich würde den Unterricht an dieser Stelle abbrechen und mit der Klasse auf eine Meta-Ebene wechseln: „Autsch. Das war aber hart – aber okay: Lasst uns kurz über den Unterricht sprechen: Die binomischen Formeln sind vorgegeben, die können wir nicht einfach ignorieren, aber ich vermute, dass euch die vielen Arbeitsblätter langweilen. Dann lasst uns mal darüber sprechen: Was wünscht ihr euch? Wie stellt ihr euch guten Unterricht vor? Was kann ich verändern?“

Zunächst einmal begebe ich mich nicht in ein Status-Gerangel mit der Schülerin: Ich kann mich als Lehrer nicht von ihr demütigen lassen und sie kann im Anschluss vor ihren Freunden nicht klein beigeben – solche öffentlichen Hahnenkämpfe sollte man vermeiden. Ich ignoriere ihren Spruch aber auch nicht, lasse mich also von ihr auch nicht einfach in den Tiefstatus ziehen.
Ich übergehe den Ton ihres Vorwurfs, greife die Sachaussage aber auf. Mit der Aufforderung, über den Unterricht zu sprechen und Vorschläge der Schüler einzuholen, hebe ich den Status der Schüler selbstständig an und begebe mich selbst in den Tiefstatus. Damit drücke ich deutlich aus, dass ich ein Status-Gerangel nicht nötig habe und das meine Autorität nicht davon abhängt, immer im Hochstatus zu sein.
Folgen nun weitere Beleidigungen „Herr Klinge, Ihr Unterricht ist halt voll scheiße weil sie so eine Kackstimme haben“ kann ich versuchen, die Klasse immer wieder auf die Sachebene zu ziehen: „Leute, wir können uns gerne über den Unterricht unterhalten – aber vernünftig. Stell dir vor, ich würde so über dich sprechen.“

Schüler die sich ernst genommen fühlen, die respektiert werden, „respektieren auch zurück“.

Hausaufgaben

Letztlich, um den Bogen zurück zu schlagen, kann eine Reaktion darauf aber nur sekundär sein! Darum zwei Fragen zum weiterdenken, über die ich beim nächsten Mal schreiben möchte:

  1. Welche Hochstatus-Verhaltensweisen haben einen positiven Einfluss auf meinen Unterricht?
  2. Welche Tiefstatus-Verhaltensweisen haben einen positiven Einfluss auf meinen Unterricht? (Das ist nicht ganz trivial!)

1: Zur Klarstellung: Ich kenne weder den Lehrer im Video noch die erwähnte Situation. Ich maße mir kein Urteil über ihn, die Schüler oder seinen Unterricht an. Es dient nur exemplarisch für viele Erfahrungen, die Lehrerinnen und Lehrer täglich machen.

3 Gedanken zu „„Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!““

  1. Die Äußerung „„Autsch. Das war aber hart – aber okay: Lasst uns kurz über den Unterricht sprechen: Die binomischen Formeln sind vorgegeben, die können wir nicht einfach ignorieren, aber ich vermute, dass euch die vielen Arbeitsblätter langweilen. Dann lasst uns mal darüber sprechen: Was wünscht ihr euch? Wie stellt ihr euch guten Unterricht vor? Was kann ich verändern?“ steht m.E. nur demjenigen offen, der vorher nicht im „Tiefstatus“ agiert hat. Sonst wirkt „aber okay“ und „Was wünscht ihr euch?“ wie weiteres Anbiedern.
    Dem hier vorgeschlagenen Ansatz, über den Unterricht zu sprechen, würde ich ein anderes Gespräch vorlagern, das in „Autsch. Das war aber hart“ anklingt: Wie wollen wir miteinander kommunizieren? Wie trete ich (Lehrkraft) Euch Schüler*innen entgegen? Wie trete ich (Schüler*in) meinen Mitschüler*innen und der Lehrkraft entgegen? Darum würde ich – wenn ich die Nerven hätte!! – vielleicht sagen: „Puh! Diese Ausdrucksweise kommt für mich jetzt aus dem Nichts. Da muss ich erst einmal schlucken. Ich möchte nicht, dass eine Schülerin zu mir pauschal und ohne Einleitung ‚Ihr Unterricht ist scheiße‘ sagt. Es fällt mir sehr schwer, das nicht als Beleidigung zu hören. Bitte lass mich wissen, was in dir vorgeht, dass du mir so einen Kopper an den Kopf wirfst.“
    Im Anschluss bekomme ich eine Rückmeldung darüber, ob diese Schülerin (und vielleicht mehrere) mich als ständig anbiedernd oder von oben herab erlebt hat oder ob gestern ihr Hund gestorben ist und sie ihre Wut darum an Gott und der Welt darum an mir auslassen möchte. – So etwa…

  2. Danke
    für den Impuls, mal wieder über Status und Status-Schaukeln nachzusinnen.

    Beide Reaktionswege (Meta-Ebene und auch Beziehungs- und Kommunikations-Klärung) sind für mich vorstellbar und auch schon erprobt.

    Die langfristige, bewusste und reflektierte Beziehungsgestaltung auf – immer wieder – Augenhöhe scheint mir ein Schlüssel zu gelingendem Unterricht zu sein.
    😉

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert