„Und? Wie war es?“
Jedes Mal, wenn ich als Referent irgendwo einen Vortrag oder Workshop gehalten habe, wird mir mi Anschluss diese Frage gestellt. Und jedes Mal fühle ich mich mit einer Antwort unwohl. Als Zuhörer habe ich oft genug erlebt, wie das Auditorium mit offenen Augen geschlafen oder gar – Höhepunkt einer Lehrerfortbildung – auf einem Handy gemeinsam die Eishockey-Weltmeisterschaft verfolgt hat, während vorne mit Begeisterung referiert wurde. Fazit der Organisatoren hinterher: „Mensch, da waren alle so leise und konzentriert – das war ein richtiger Erfolg!“
Diese Erfahrungen habe ich nicht vergessen und darum hüte ich mich, meine eigenen Workshops überzubewerten. Waren die Leute wirklich interessiert oder nur höflich? Haben sie zugehört oder geschlafen?
Ich bin da skeptisch.
Nun ist der Roman fertig. Naja, zumindest der erste Entwurf. Denn zusätzlich zur eigenen, eingeschränkten Perspektive wird man im Laufe eines Projektes unweigerlich betriebsblind: Rechtschreibfehler, halbe Sätze oder Plotlöcher, die einem Leser direkt ins Auge springen, fallen mir nicht mehr auf.
Ich suchte mir also ein unvoreingenommenes Auge – Menschen, die das Buch kritisch lesen: Testleser*innen.
Ein Trick dabei ist, man solle sagen, das Manuskript sei das Buch eines Freundes, aber man verstehe nix davon, „ob du das nicht mal kritisch lesen könntest?“ Dadurch erhält man ehrliche Rückmeldung und keine – aus „Rücksicht auf deine Gefühle“-geschönte.
Eine grundsätzliche Frage ist natürlich: „Bitte sag mir, ob es völliger Schrott ist“. Wenn meine Leser*innen beim Lesen ein Gefühl des Fremdschämens haben, sollte ich das Projekt lieber heute als morgen unter dem Deckmantel des Schweigens begraben. Ehrlicherweise bereitet mir der Gedanke aber nur wenig Sorgen: Ich schreibe regelmäßig seit vielen Jahren und habe auch ein paar Gedanken mit Storytelling verbracht (an dieser Stelle ein gnadenlos gutes Video darüber, wie man mit einigen wenigen Änderungen den mittelmäßigen Film „Passengers“ sehr viel ausdrucksstärker hätte machen können), als das mein Roman wirklich völliger Trash ist. Ja, vielleicht ist das Genre nicht jedermanns (und jederfraus) Sache – aber grundsätzlich wird das Gesamtwerk schon die Qualität eines Schüleraufsatzes übersteigen.
Mir geht es also weniger um die Frage: „Ist das Buch gut genug, um veröffentlicht zu werden?“ Sondern um „Wie viel Arbeit muss ich noch hineinstecken, um es zu veröffentlichen?“ Dadurch verschiebt sich die Perspektive der Leser*innen hin zu einem konstruktiven Blick:
- Welche Szenen sind langweilig? Können gestrichen werden?
- Wo fällt man aus dem Lesefluss? Was passt nicht?
- Wo ist etwas zu knapp, zu schnell abgehandelt?
Bei der Rückmeldung in den letzten Wochen habe ich gemerkt, dass mir die kritischsten Kommentare am meisten geholfen haben. „Streich das letzte Kapitel“, schrieb eine Freundin. Und sie hat absolut recht. Nun endet der Roman ein Kapitel früher und es fühlt sich besser an.
Wichtig für diese Phase der Korrektur: Sowohl die Testleser*innen als auch ich behalten im Hinterkopf, dass sie ein Buch lesen, das vielleicht nicht ihrem üblichen Genre entspricht. Deswegen gilt bei jeder Kritik die Frage, ob sie „berechtigt“ ist oder vielleicht geschmacksabhängig: „Ich finde das Buch öde, es gibt nicht genug Zombies“ mag eine berechtigte Kritik an einem apokalyptischen Zombieroman sein. Im Fall einer romantischen Komödie ist die gleiche Aussage aber anders einzuordnen und vielleicht weniger berechtigt.
Trotzdem kaue ich nervös an meinen Fingernägeln, während eine Handvoll „Freunde“ (in Anführungszeichen!) mit unbarmherziger Lust meinen Roman zerfleddern.
Nahezu jeder Vorschlag, jede Korrektur wird angenommen – insgesamt sind das alles aber eher Kleinigkeiten, kosmetische Aspekte. Keine riesigen Plotlöcher die gestopft werden müssen, keine Figuren die völlig verändert aus der Korrektur hervorgehen. Die akribische Vorarbeit zahlt sich jetzt aus.
Ich bin auf der Zielgeraden und das ist – exakt heute, da dieser Blogartikel erscheint – der aktuelle Stand.
Alle Rückmeldungen der Testleser*innen wurden eingearbeitet – das Buch ist fertig. Wie geht es jetzt weiter?
Alle Teile der Reihe:
- Wie schreibt man einen Roman?
- Prämisse und Buchrücken ausarbeiten
- Vom Buchrücken zur Absatzgeschichte
- Interview mit einem Geist
- Einer Schneeflocke folgen
- Einen Roman schreiben
- Testleser*innen suchen und finden
- Self-Publishing oder Verlag? Was verdient man mit einem Buch?
- Als Autor auftreten oder unter Pseudonym schreiben?
- Apfelkuchen im Spätsommer
- Rückblick
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