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Das Klassenzimmer als Bühne.

In einer Reihe von Artikeln setze ich mich mit der Frage auseinander: Welches Handwerkszeug macht eigentlich einen guten Lehrer aus? Dabei stehen ausnahmsweise nicht Stoffvermittlung, Methoden oder die Didaktik im Fokus, sondern der Lehrer als Person.

Die Bühne

Das erste Quartal eines neuen Schuljahres empfinde ich stets als das anstrengendste. Hier habe ich die meisten Erziehungsgespräche, die höchste Anzahl an Konflikten und Arbeit. Lehramtsanwärter:Innen und Praktikant:Innen suchen sich neue Klassen und entwickeln Ihre Lehrerpersönlichkeit.

Gerade letzteres ist für mich unglaublich spannend zu beobachten. Wie wird mit der Stimme gearbeitet? Wie werden Sprechpausen gesetzt? Wie bewegt er/sie sich durch den Raum? Welche Hoch- und Tiefstatusgesten werden bewusst oder unbewusst eingesetzt? An welchen Stellen wird bewusst eine Beziehung zu den Schülern aufgebaut – und wo werden klare Grenzen gezogen?

Das Klassenzimmer als Bühne. 1

Ich betrachte das Klassenzimmer auch als Bühne. Tief eingeprägt hat sich mir die Lehre „Den König spielen immer die anderen!“. Er bezieht sich darauf, dass der König auf einer Bühne nur zu stehen hat. Sein Status, seine Rolle wird durch die eifrigen Diener gekennzeichnet, die um ihn herumscharwenzeln und eifrig bemüht sind, dass es ihm gut geht.

Die – sozusagen – Hausaufgabe des letzten Artikels dieser Reihe bestand darin, sich mit folgenden zwei Fragen auseinanderzusetzen:

  1. Welche Hochstatus-Verhaltensweisen haben einen positiven Einfluss auf meinen Unterricht?
  2. Welche Tiefstatus-Verhaltensweisen haben einen positiven Einfluss auf meinen Unterricht? (Das ist nicht ganz trivial.)

Aber bevor wir uns damit auseinandersetzen, ein kurzer Blick auf die Reihe:

Rückschau der Artikel

  1. Zunächst habe ich Stammtisch-Thesen gesammelt und offene Fragen aufgeschrieben: Männer haben es leichter als Frauen. Wie schafft es Kollege X, so souverän vor der 8e zu stehen? (Link zum Artikel)
  2. Es macht einen Unterschied, ob ich mich selbst fortbilde oder nach Wegen suche, mein (ganzes) Kollegium zu stärken. Letzteres ist besser und bietet mehr Möglichkeiten der Umsetzung.  (Link zum Artikel)
  3. Das Kurskiosk als eine Möglichkeit, Expertise und Training im Kollegium zu steigern. (Link zum Artikel)
  4. Etwas außerhalb der Reihe: Ich analysiere, weshalb ich immer wieder den Drang verspüre, mir ein iPad zu kaufen und erfasse drei Leitlinien eines guten Verkäufers. Diese Grundlagen werde ich später noch einmal aufgreifen (Link zum Artikel)
  5. In „Der Lehrer als König im Klassenzimmer“ führe ich in das Statusmodell von Johnstone ein und erkläre, warum auf der Bühne den König „immer alle anderen spielen“, nur nicht der König selbst. (Link zum Artikel)
  6. In „Der Lehrer als Schauspieler im Klassenzimmer“ steige ich tiefer in das Statusmodell ein und beschreibe anhand verschiedener Prominenter den Unterschied zwischen Hoch- und Tiefstatus und betone, dass der eine nicht besser als der andere ist. Der Artikel schloss mit einer Selbstbeobachtung:
    Bewege ich mich mehr im Hoch- oder im Tiefstatus? Wie rede ich mit meinem Partner? Wie mit meinen Kindern? Wie gehe ich mit Kolleginnen und Kollegen um? Wie begegne ich Referendaren, wie dem Hausmeister und wie der Schulleitung? (Link zum Artikel)
  7. Zuletzt ging es um unterschiedliche Lehrertypen und die passende Reaktionen auf die Schüleraussage: „Ich passe bloß nicht auf, weil Ihr Unterricht so scheiße ist!“

positives Hochstatusverhalten

Das Klassenzimmer als Bühne. 2Welches nun ist Hochstatusverhalten, das meinen Unterricht positiv prägt?

Das beginnt mit Stundenbeginn. Nicht selten stelle ich mich einfach auf die Bühne in den Raum und warte, dass es still wird. Besonders bei jungen Schülerinnen und Schülern wirkt das. Und dann, wenn ich bemerkt werde und sich alle auf ihre Plätze setzen und leise werden – dann warte ich noch ein wenig länger. Und… noch ein wenig länger. Hochstatusverhalten, das verdeutlicht: Ich bestimme, wann der Unterricht beginnt.
Meinen Status unterstreiche ich durch meine Körpersprache: Ich stehe aufrecht und bewege mich langsam. Wenn ich spreche, dann betont ruhig und leise. Ich bestimme Anfang, Lautstärke, Zeit und Geschwindigkeit.

Auch während des Unterrichts gibt es bestimmte Verhaltensmuster, die hilfreich sind, meine Rolle zu stärken:

  • den Raum beherrschen, in dem ich mich ruhig bewege und viel Platz einnehme
  • Schülerinnen und Schüler mit Namen ansprechen. Besonders, wenn man jemanden ermahnt. Nicht „ihr da hinten in der Ecke, seid bitte leiser“, sondern „Jan-Martin. Du störst meinen Unterricht.“
  • dem Gegenüber in die Augen schauen und den Blick halten. Besonders in Konfliktgesprächen.
  • eine klare Sprache benutzen, Arbeitsanweisungen verständlich formulieren.

positives Tiefstatusverhalten

Das Klassenzimmer als Bühne. 3Ich hatte an anderer Stelle schon angemerkt, dass ich die Vorstellung „die Lehrkraft müsse immer im Hochstatus sein“ für eine tragische Fehleinschätzung halte. Im normalen Alltag sind Menschen oft bestrebt, einen Statusausgleich herbeizuführen. Wir verbringen am liebsten Zeit mit Menschen, denen wir annähernd auf Augenhöhe begegnen können. Wenn uns unser Gegenüber klein hält oder – umgekehrt – wir das Gefühl haben, ständig entscheiden und lenken zu müssen, dann wird es auf Dauer anstrengend. Eltern, die ihre Kinder stets wie kleine Kinder behandeln. Ein Kollege, der geringschätzig mit mir spricht, als sei ich zurückgeblieben. Sich ununterbrochen im Hochstatus zu bewegen ist anstrengend und führt dazu, dass die Schülerinnen und Schüler irgendwann um Ausgleich bemüht sind.

Es ist wichtig, auch Tiefstatusgesten bewusst einzusetzen und den Unterricht damit positiv zu gestalten:

  • Ich mache viel Blödsinn und lasse die binomischen Formeln nicht nur von meinen Klassen singen – sondern verknüpfe das mit einer haarsträubenden Wikingergeschichte und singe (schief) begeistert mit (Beweisvideo)
  • Ein Schüler verspottet meine Bewegungen als Seniorenübung. Die Klasse lacht. Ich tue empört, rege mich gespielt auf und grinse mit.
  • Ideen und Antworten von Schülerinnen und Schülern ernst nehmen und unterstützen: Wenn sie im Rahmen eines kleinen Forschungsprojekts die Schaumhöhe von Pferdeurin oder die Spritzmuster einer Klospülung bei offenem Deckel untersuchen möchten oder Wurst radioaktiv verstrahlen wollen – dann stelle ich sowohl meine Unwissenheit als auch meine Neugierde zur Schau. „Keine Ahnung was da rauskommt! Aber unbedingt machen!“
  • Ich bin authentisch und erzähle auch mal von mir und meinen Hobbies. Ich wette mit Schülern über Fußballergebnisse um den Preis eines Kuchens.
  • Ich begebe mich mindestens auf Augenhöhe mit den Schülern, um das Supermarkt-Kassen-Gefühl zu vermeiden, bei dem die Kunden den ganzen Tag auf die Kassierer herabschauen.

Das Klassenzimmer als Bühne

Im Verlauf einer Stunde wechsle ich mehrfach zwischen Hoch- und Tiefstatusverhalten hin und her. Es gilt: Je höher mein Status ist, desto tiefer kann ich spielen. Und je tiefer ich spielen kann, desto mehr Respekt gewinne ich, denn die Schülerinnen und Schüler wissen instinktiv: Das kann sich nur jemand erlauben, dessen Status in Wirklichkeit sehr hoch ist.

All das ist immer nur ergänzend zum Unterrichtsinhalt, meinen didaktischen und methodischen Überlegungen. Aber es hilft mir, gar nicht erst in Konflikte mit Schülern zu geraten. Die absolute Mehrheit der Schüler-Lehrer-Konflikte im Unterricht lässt sich mit klarer Lehrerrolle, respektvollem Umgang und bewusstem Statusspiel verhindern.

Was aber, wenn es doch mal knallt?

Damit geht es dann beim nächsten Mal weiter.

 


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3 Gedanken zu „Das Klassenzimmer als Bühne.“

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